1 Jahr Keine Randnotiz
Die Initiative Keine Randnotiz feiert 1-jähriges und lädt zur Pressekonferenz. Selbstverständlich sind wir dabei.
Aus Schutzgründen werden in diesem Artikel keine Namen genannt, wie auch von den Akteur*innen ausdrücklich gewünscht.
Aber von vorne. Vor einem Jahr ging das unabhängige Dokumentationsprojekt Keine Randnotiz aus den bestehenden Initiativen soliport (Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt solidarisch beraten und unterstützen) und des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus in Bremen und Bremerhaven an den Start. Die Akteur*innen sahen dringenden Handlungsbedarf, die Zahl der Übergriffe von rechts sichtbarer zu machen, denn “unter dem Radar passiert so viel mehr”, als die wenigen Fälle, die es tatsächlich in die Medien schaffen. Und das formt unsere Wahrnehmung ganz maßgeblich und somit auch unser (fehlendes) Problembewusstsein.
Auf Keine-Randnotiz.de sind alle den Akteur*innen bekannt werdenden Vorfälle auf einer interaktiven Karte verzeichnet. Hier können auch direkt Vorfälle gemeldet werden, die rassistisch, antisemitisch, LGBTQIA*-feindlich oder sozialdarwinistisch (z. B. Gewalt gegen Wohnungslose oder Menschen mit Behinderung) motiviert sind, und auch Gewalt gegen Engagierte gegen Rechts wird inkludiert. Die Verifizierung erfolgt entweder über das 2-Quellen-Prinzip aus Presse oder Beratungsarbeit, oder sogar auch durch persönliche Überprüfung vor Ort, z. B. bei Propagandadelikten. Und die Zahlen steigen. Aktuell sind bereits jetzt so viele Taten registriert, wie im gesamten Jahr 2019 insgesamt.
Bereits jetzt so viele Taten registriert wie 2019 insgesamt
Das erleben die Mitarbeiter*innen der Beratungsstellen, die Betroffenen auch bei strafrechtlichen Belangen zur Seite stehen, jeden Tag. Für die Betroffenen sieht das nochmal deutlich schlimmer aus; für sie sind Gewalterfahrungen Teil ihres Alltags. Dabei wird auch betont, dass Gewalt eben nicht nur körperliche Übergriffe meint, sondern dass Gewalt viel früher anfängt. Auch Abwertung und Beleidigung, auch durch das Verbreiten von Propaganda in der Öffentlichkeit, und Bedrohung sind Gewalt. Das alles hat fühlbare und messbare Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen. Solche Gewalterfahrungen haben reale Auswirkungen auf die menschliche Psyche, steter Tropfen höhlt den Stein. Und genau das wollen die Täter*innen erreichen, sie wollen verunsichern, destabilisieren und schockieren.
Rechte Strukturen in Bremen und Bremerhaven immer offensiver
Das verfolgen die Täter*innen seit geraumer Zeit besonders öffentlichkeitswirksam mit den sogenannten Pulverbriefanschlägen, von denen es in Bremen in diesem Jahr 15 an der Zahl gab. Was diese Bedrohungen von anderen Taten abhebt ist die Tatsache, dass hierfür ein höheres Maß an Organisation und Planung nötig ist. Das deutet auf die bestehenden rechten Strukturen in Bremen und Bremerhaven hin, die mehr als besorgniserregend sind. In Bremerhaven wird ein Großteil im Dunstkreis der Partei Die Rechte verortet, die seit geraumer Zeit versucht hier Fuß zu fassen. Die Beteiligten versuchen mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit Themen öffentlich zu platzieren und Diskurse so gezielt zu beeinflussen. Auch zu Morddrohungen ist es hier schon gekommen.
In Bremen setzt sich der Kreis aus verschiedenen Gruppen zusammen, u. a. aus Hooligans aus der Fußballszene, Kameradschaften wie die kürzlich verbotene Phalanx 18, die ebenfalls ganz selbstverständlich und öffentlich die Jagd auf ihre Feindbilder betrieben haben. Aber auch in der Kampfsportszene gibt es in Bremen hochgefährliche Akteur*innen, die Sportveranstaltungen ausrichten und so die Strukturen kultivieren. Die bestehenden politischen Parteien der Rechten Szene kommen dann noch obendrauf.
Ein größer werdender Balken in einer Statistik ist real stattfindende Gewalt gegen Menschen
Für die Betroffenen der ausgehenden Gewalt ist es am Wichtigsten, Solidarität zu erleben, insbesondere in Form von Zivilcourage bei persönlichen Attacken. Das spielt eine unheimlich wichtige Rolle bei der Verarbeitung dieser Gewalterfahrungen. Ebenso verheerend gräbt es sich ins Gedächtnis, wenn von den Umstehenden niemand einschreitet. Das für mitunter zur Retraumatisierung und verstärkt die Gewalterfahrung noch, da Hilfe ganz sichtbar verweigert wird.
Zivilcourage ist unheimlich wichtig für die Betroffenen
Die Akteur*innen wünschen sich abschließend, dass durch ihre Dokumentation mehr mediale Rezeption dieser Gewalt stattfindet, und dass diese Informationen auch als Werkzeug genutzt werden, um Recherchen zu intensivieren und Einschätzungen zu verbessern. Die öffentliche Wahrnehmung dieser Gewalt muss sich wandeln.
Eine Teilnehmerin fragte abschließend noch, wo denn diese Pulverbriefanschläge größtenteils stattfanden. Das war für mich persönlich die etwas ironische Pointe, die zeigt, warum Keine Randnotiz so wichtig ist.
Wir bedanken uns für die Einladung und unterstützen selbstverständlich weiterhin die Akteur*innen in ihrer so wichtigen Arbeit!
P.S.: Auch bei uns könnt ihr eine Sammlung zu Rechtem Terror in Bremen nachlesen, die wir regelmäßig aktualisieren: Rechter Terror in Bremen
Eine Antwort
[…] 25.08.2020 – Stadtkontext – 1 Jahr Keine Randnotiz […]