Achtung, es folgt ein Rant – Diesmal über reaktionäre Redner an der Uni Bremen (+Update)
Kritische Vorträge an der Universität sind immer gern gesehene Veranstaltungen, tragen sie doch einen Hauch von Rebellion in sich und versprechen spannende Diskussion. Redner*innen, die nicht durch Kritik sondern durch Ignoranz und Unwissenschaftlichkeit auffallen, gab es leider auch immer wieder – aber zum Glück auch oftmals genug Menschen, die Veranstaltungen mit rassistischen, homofeindlichen, sexistischen, ableistischen usw. Redner*innen kritisch begleiten oder verhindern konnten.
Am Montag, den 02.11.15 lädt „Die Liga der Unbequemen“ Ulrich Kutschera zum Thema „Evolutionstheorien 2015 und der kreationistische Grundtypen-Glaube“ ein.
Kutschera ist aktuell und seit längerem durch reaktionäre Ignoranz an Geisteswissenschaften und Geschlechterforschung aufgefallen, welche er 2016 mit sein Buch „Das Gender Paradoxon“ auch zu Geld machen möchte – Und das in einer Art und Weise, die sonst vor allem in den reaktionären Kreisen der AfD in der Pegida-Bewegung oder bei Pirinçci & Co. zu finden ist: Teile der Sozialwissenschaften seien eine „feministische Sekte“ und die „quasi-religiöse“ Genderforschung gleiche „einem Krebsgeschwür“. Sowieso sei nur Biologie die einzig wahre Wissenschaft, denn: „Unsere Theorien basieren auf Fakten, während in der Sozialkunde eben vor sich hin theoretisiert wird in aller Regel und Fakten wenig zählen.“ Er wirft mit Begriffen wie „Genderismus“ herum und weiß natürlich, dass sich alle Männer ausschließlich hübsche, junge attraktive Frauen wünschen, die gut kochen können. Soviel zu seiner wissenschaftlichen „Expertise“.
Es mag für einen antifeministischen Biologen schwer zu verstehen sein, dass sozialwissenschaftliche Ergebnisse aus unzähligen Studien in den letzten Jahrzehnten immer wieder bewiesen haben, dass Biologie nunmal keinen solchen Einfluss auf race, class und gender/sex haben, wie sich das einige gruselige Gestalten des letzten Jahrhunderts gerne gewünscht hätten.
Es ist zudem schon ironisch, dass Gegner der sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse über Geschlechteridentitäten allzu oft mit typisch männlichem Verhalten reagieren – der totalen Ablehnung einer für sie scheinbar identitätsbedrohenden Erkenntnis. Lustigerweise kann dieses Verhalten mit Theorien aus der Geschlechterforschung ziemlich gut erklärt werden: Wenn die Konzepte eines binären heterosexuellen Geschlechterbildes als tief verwurzelter Teil der Identität in Frage gestellt werden, setzt automatisch in einem psychodynamischen Vorgang der Versuch der Bewältigung dieser „Krise“ ein. Jede*r hat einen anderen Umgang damit: Es gibt viele, die neue Erkenntnisse prüfen und innerpsychisch einen Weg finden, diesen in ihre Identität zu integrieren, um ihre sogenannte Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Andere wiederum finden einen meist schädlichen Umgang der Ablehnung, indem sie sich mit allem was ihnen zur Verfügung steht gegen diese Erkenntnisse wenden, um ihre alte, überholte, aber vermeintlich sichere Identität aufrecht zu erhalten. Die unreflektierte Männlichkeit zeigt sich in solchen Momenten besonders stark und kann belustigend zur Kenntnis genommen werden oder auch tiefe Angst vor männlichem Bewältigungsverhalten hervorrufen.
Kaum eine*r würde heutzutage noch behaupten, dass Frauen für den Herd und Männer für den Beruf biologisch angelegt seien oder dass es ausschließlich heterosexuelles Verlangen in unserer Welt gäbe. Solche Ideen sind weltfremd, rückwärtsgewandt, ignorant und gefährlich. Gruppen, die sonst solche Theorien aufstellen, sind normalerweise nicht solche, mit denen eins etwas zu tun haben möchte, sondern eher in der Gegendemo steht.
Dass der AStA der Universität Bremen diesen Redner nun auch noch durch das kostenlose Drucken von Flyern und Plakaten unterstützt, entzieht sich meinem Verständnis und lässt mich kopfschüttelnd zurück. Das in der Mehrheit geäußerte eher linke Selbstverständnis der Hochschulgruppen an der Uni Bremen steht diesem zumindest konträr gegenüber, trotzdem scheint es keine Einwände zu geben, solche Menschen reden zu lassen.
Auf ihrer Internetseite schreibt die „Liga“:
„Nie war es so einfach, sich zu informieren und Informationen zu verbreiten, wie in Zeiten des Internets. Bei allen Vorteilen, die damit einhergehen, haben sich das auch Esoteriker, Impfgegner, Homöopathen, Astrologen, religiöse Eiferer, Rechtspopulisten und andere Scharlatane zu Nutze gemacht, um Menschen zu beeinflussen, zu übervorteilen und sich mit ihrer Naivität eine goldene Nase zu verdienen. Anstatt die Möglichkeiten des Internets zu nutzen, um sich auf breiter Basis kritisch zu informieren, Quellen zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung zu bilden, wird viel zu oft auf Verschwörungstheoretiker und radikale Gegenthesen vertraut.“
Dies sollten die Veranstalter*innen der „Liga“, zu denen auch Mitglieder der Uni-Hochschulgruppe der „PARTEI“ gehören, sich am besten selbst zu Herzen nehmen. Zum superduperkritisch sein, sollte die kritische Selbstreflektion eigentlich an vorderster Stelle stehen.
„Gemeinsam haben diese vor allem eines: Sie bieten fernab von wissenschaftlichen Fakten ein einfaches Wahrheitsversprechen, das keiner objektiven Prüfung standhalten kann. Im Rahmen unserer Vortragsreihe laden wir prominente Redner ein, widmen uns diesem Phänomen, klären auf und entschlüsseln die perfide Vorgehensweise windiger Geschäftemacher und Menschenfänger.“
Redner, die mit unwissenschaftlichen und längst widerlegten Konzepten einer vergangenen Epoche aus dem menschenfeindlichen Lager jonglieren und diese als Wahrheit (auch in Buchform!) verkaufen, fallen genau in die Kategorie der „Liga“, welche sie laut Selbstaussage so sehr verachtet. Sie täte gut daran abzusagen und ihre Redner in Zukunft genauer unter die Lupe zu nehmen.
„(…) Eine Absage der Veranstaltungen kommt für uns aus verschiedenen Gründen nicht in Frage, die den Rahmen eines FB-Kommentars aber sprengen, das kann man aber gerne persönlich vor Ort besprechen – dass wir in der Gruppe Kutscheras Aussagen zu den Gender Studies geschlossen und vorbehaltlos teilen würden, gehört sicherlich nicht dazu.“
Das erscheint dann doch eher sehr bequem. Hier steht der Wunsch nach einem reibungslosen Veranstaltungsablauf vor wissenschaftlicher Konsequenz und Verantwortung. Der gute Herr sei wegen eines anderen Themas in der Veranstaltung – Dann hätten sie jedoch, neben ihrem zweiten Redner, auch eine weitere Person einladen können, die nicht durch reaktionäre Thesen aufgefallen ist. Letztendlich geben sie Kutschera so oder so eine öffentliche Bühne, die er in sein Portfolio schreibt und damit seine angebliche Expertise untermauert. Wenn er in Zukunft für weitere Veranstaltungen angefragt wird, stehen dann die Veranstalter*innen in Bremen und der AStA mit ihrem Namen als Bürgen dahinter – Völlig egal, ob sie in der Veranstaltung oder generell seiner Meinung waren oder nicht.
UPDATE: Die Veranstaltung wurde abgesagt!
Die „Liga“ schreibt dazu in einem Beitrag auf facebook, dass sie durch Kommentare auf einen weiteren Text von Kutschera hingewiesen wurde, der erst jüngst am 26.10.15 beim rechtslastigen Deutschen Arbeitgeber Verband (DAV) erschien. Dieser Text gab letztendlich den Ausschlag für die Absage der Veranstaltung:
„In besagtem Artikel weitet Ulrich Kutschera seine Kritik an Gender Studies aus und formuliert homophobe und rassistische Gedanken, Vorurteile und Ressentiments, denen wir hiermit deutlich widersprechen wollen. (…) Wir hatten Ulrich Kutscheras Formulierung über Gender Studies als kritikwürdige und unzulässig vereinfachende Meinung zu einem Einzelthema wahrgenommen, die sich erstens mit unserem Vortrag nicht überschnitt und zweitens nicht auf ein in seiner Gesamtheit abzulehnendes, konservativ-populistisches Weltbild hinzudeuten schien. Das hat sich mit seinem zweiten Artikel ohne Zweifel und ohne einen Spielraum für anderweitige Deutungen geändert“
Unter anderen kommentierte Lilja Bunke zuvor :
[Triggerwarnung!]: „Ihr bietet mit eurer Veranstaltung jemandem Raum, der nicht nur extrem sexistisch ist, sondern auch zunehmend mit rassistischer Hetze gegen Geflüchtet (Es gebe keine Flüchtlingskrise, sondern eine Invasion, die zu Vergewaltigungen, Kindermissbrauch und Diebstahl führen würde) auffällt. Das ihr seine sexistische Scheiße nicht geschlossen teilt ist aber natürlich sehr beruhigend. Sehr gut auch eure Aussage, dass eine Absage aus verschiedenen Gründen nicht in Frage kommt – der Scheiß ist nicht „unbequem“ sondern rassistisch, homophob und sexistisch. Eure „Lösung“ zu hoffen, dass es in Veranstaltung schon zu Diskussionen kommen wird ist grob fahrlässig. Ihr schiebt damit einfach nur die Verantwortung an andere ab und nehmt in Kauf unwidersprochen einen Raum für Rassismus, Sexismus und Homophobie zu öffnen. Herzlichen Glücklich, ihr seid nicht gegen den Unsinn dieser Welt sondern mitten drin im braunen pediga & co. Sumpf.“
Wir danken den Studierenden und Kommentatoren, die sich nicht beirren ließen, weiter den Druck auf die Veranstaltung erhöhten und Hinweise recherchierten, die letztendlich zur Absage führten. Ohne eine politisch aktive Studierendenschaft und die Aktivist*innen wäre es nicht möglich gegen solche Menschen vorzugehen und ihre Auftritte zu einem Reinfall zu machen.
Wir verzichten an dieser Stelle darauf, auch noch auf den Text eines antifeministischen, homofeindlichen und rassistischen Biologen auf rechtslastigen Seiten zu verlinken. Stattdessen sei auf eine Analyse des Politikwissenschaftlers und Soziologen Floris Biskamp über Kutschera verwiesen: Männerfantasien – Die antigenderistische Ideologie des Ulrich Kutschera.
Wir bedanken uns sehr für den Hinweis und die Unterstützung bei anonym.
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