Achtung, es folgt ein Rant. Diesmal über unpassende Vergleiche.
Die Piratenpartei in Bremerhaven setzt sich mit ihrer neuesten Kampagne dafür ein, dass die Häfen in Bremerhavener Hand überführt werden, um der Stadt eine wirtschaftliche Grundlage zu sichern. Das Hafengebiet in Bremerhaven gehört nämlich eigentlich Bremen und Steuereinnahmen, etc. fließen auch in die Stadt, nicht nach Bremerhaven, obwohl dort vermutlich die meisten Arbeiter*innen wohnen. So weit ist die Kritik nachvollziehbar.
Der Bogen ist nur überspannt, wenn Möchtegern-Seeräuber den Besitz des Hafengebietes mit kolonialistischer Ausbeutung gleichsetzen, indem sie “Ein Ende der Kolonialzeit” fordern.
Hunderte Jahre Ausbeutung, Sklaverei, Folter, Völkermord, Entmenschlichung, Rassismus, wirtschaftliche Abhängigkeiten, die bis heute nachwirken. Das ist Kolonialismus. Es gibt Vergleiche, die zieht mensch einfach nicht. Nicht einmal um etwas in Wahlkampfzeiten zuzuspitzen.
Der Kolonialismus ging unter anderem auch stark von den Handelsstädten Bremen und Bremerhaven aus. Der Wohlstand der Städte baute auf Ausbeutung der deutschen Kolonien auf und bis heute wird ein Großteil der Gewinne über weiterhin bestehende Abhängigkeiten eingefahren.
Ich verstehe den Vergleich, der gezogen werden sollte. Das Geld fließt nach Bremen, statt nach Bremerhaven, dass sei ungerecht usw. blabla. Es ist auch wichtig das zum Thema zu machen und mal darüber zu sprechen. Überhaupt ist Kritik an kapitalistischer Ausbeutung weltweit immer notwendig, aber das tun die PIRATEN eben nicht.
Als die deutschen Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg wegfielen, taten die Bremer Kaufleute alles, um dies wieder rückgängig zu machen und Bürgermeister Spitta berief sich in einer Rede zur Einweihung des Kolonialdenkmals (heute: Antikolonialdenkmal) auf »die unverjährten und unverjährbaren Rechte Deutschlands auf gleichberechtigte koloniale Betätigung in der Welt«.
Und das ist auch, was die Piratenpartei Bremerhaven damit indirekt fordert. Sie wollen kein Ende der Kolonialzeit, sie wollen auch ein Stück vom Kuchen. Um es mal etwas in Wahlkampfzeiten zuzuspitzen.
Moin Tabbo,
ja, die „Möchtegern-Seeräuber“ spitzen im Wahlkampf zu. Und ja, auch ich als Initiator unseres Bürgerbegehrens „Ende der Kolonialzeit“ möchte die wirtschaftliche Ausbeutung Bremerhavens durch die Stadt Bremen nicht im Zusammenhang mit Sklaverei, Entmenschlichung, Terror, Völkermord und Folter bringen. Soweit hast Du also Recht.
Aber was ist eigentlich Kolonialismus und gibt es ihn auch noch heute in abgeschwächter Form?
Wikipedia sagt:
„Als Kolonialismus wird die meist staatlich geförderte Inbesitznahme auswärtiger Territorien und die Unterwerfung, Vertreibung oder Ermordung der ansässigen Bevölkerung durch eine Kolonialherrschaft bezeichnet.“ Nun ist Bremerhaven weit von Vertreibung oder Ermordung entfernt, eine staatliche (oder stadtbremische) Inbesitznahme und zumindest wirtschaftliche Unterwerfung und Ausbeutung sehe ich schon.
Dass dies alles während des Unrechtsregimes in der Nazizeit entstanden ist macht die Sache nicht besser.
Die Frage ist, ob Gewalt ausgeübt wird. Zum Thema Gewalt schreibt Wikipedia:
„Als Gewalt (von althochdeutsch waltan „stark sein, beherrschen“) werden Handlungen, Vorgänge und soziale Zusammenhänge bezeichnet, in denen oder durch die auf Menschen, Tiere oder Gegenstände beeinflussend, verändernd oder schädigend eingewirkt wird. Gemeint ist das Vermögen zur Durchführung einer Handlung, die den inneren oder wesentlichen Kern einer Angelegenheit oder Struktur (be)trifft.“
Wenn nun Gewalt zwingend zur Kolonialisierung dazu gehört und hierzu Handlungen zählen, die Dinge beherrschen und schädigend auf sie einwirken so sehe ich hier Parallelen zum Verhältnis im Land Bremen ebenso wie ich das Verhalten der Europäischen Union gegenüber Griechenland als Kolonialisierung ansehe.
Beherrschen, Willen aufzwingen, ausbeuten fremder Gebiete, das bedeutet für mich Kolonialismus und deshalb werde ich auch weiterhin im Wahlkampf für das #endederkolonialzeit werben.
liebe Grüße
René Russell
Pirat
Spitzenkandidat für die Wahl
zur Bremischen Bürgerschaft
in Bremerhaven
Moin René,
wenn Kolonialismus für dich nur “beherrschen, Willen aufzwingen, ausbeuten fremder Gebiete” ist, dann beziehst du dich auf eine Definition, aber ignorierst komplett den historischen Kontext in dem dieser Begriff steht. Und dieser historische Kontext und ein Vergleich damit ist das Problem.
Im Prinzip sagst du im ersten Absatz, dass du mir zustimmst und der Vergleich nicht richtig ist und in den folgenden Absätzen sagst du dann, dass du trotzdem einen Vergleich ziehst. Könnt ihr halt machen, aber widersprecht ihr euch halt selbst.
Ich weiß nicht, was ich überhaupt erwartet habe. Ein “Ja, aber trotzdem!” ist aber schon bitter. Muss der Wahlkrampf sein.
Beste Grüße,
T.