Danke für euren #Landesverrat!
Mein erster Blogbeitrag bei „Stadtkontext“ soll gleich ein Plädoyer sein für diese Form des Journalismus. Der Auslöser für das Verfassen dieses Gastbeitrags sind die Ermittlungen des – jetzt ehemaligen – Generalbundesanwalts Harald Range gegen netzpolitik.org. Der gleiche Ermittler also, der die NSA wechselseitig SNA nennt oder gar mit der US-Raumfahrtbehörde NASA verwechselt. #Landesverrat heißt hier also: Wenn der Staat, aber auch große Unternehmen gegen Recht verstoßen, werden nicht diejenigen verfolgt, die dieses Unrecht begehen, sondern diejenigen, die es öffentlich machen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung mehrfach festgestellt, dass der Pressefreiheit eine besondere Bedeutung zukommt und sie besonderen Schutz genießt, doch ist unsere Presselandschaft eigentlich noch so frei und unabhängig, wie sie das eigentlich als sogenannte „vierte Gewalt“ sein sollte?
Unabhängigkeit bedeutet: Auf den Leim gehen
Um mich gleich abzugrenzen von den „BRD GmbH“-Spinnern, den „PERSONALausweis“-Gestalten und sämtlichen „Fernlenkungs“- und Lügenpresse-Theorien: Darum geht es hier nicht. Es geht um eine nüchterne Betrachtung der Abhängigkeiten zwischen Medienlandschaft und Politik, aber auch zwischen Medien und Wirtschaft. Um die Feststellung, dass es eben nicht SPIEGEL, Focus, öffentlich-rechtlicher Rundfunk u.a. sind, die nicht nur von „Regierungskreisen“ als Quelle reden bzw. sagen, ihnen läge Papier XY hierzu vor und ihnen das dann als Quelle genügt. Nein, es sind Blogs wie Wikileaks, netzpolitik.org u.a., welche entsprechende Dokumente, die Rechtsverstöße des Staates offenlegen, veröffentlichen, für eine Debatte sorgen, wie sie eigentlich die klassischen Medien initiieren sollten. Haben wir also inzwischen eine fünfte Säule der Gewaltenteilung (bzw. zweite Säule der Presse) dank des Netz-Journalismus, der, genau wie in den 60er Jahren der SPIEGEL, in seinen Kinderschuhen erst mal schön mit Landesverrats-Vorwürfen belegt wird?
Eins ist klar: Im Internet können alle jeglichen Blödsinn schreiben und veröffentlichen, dank der Freiheiten im Netz hat sich ein Wildwuchs von Blogs entwickelt, einige geben sich wie normale Nachrichtenseiten, wie etwa die sogenannten „Deutschen Wirtschafts Nachrichten“ oder der rechte Blog „pi-news“. Diese sind mit Sicherheit keine Bereicherung, erstere Arbeiten mit Krawallüberschriften, welche Klicks generieren und letztlich dann das Geschäftsmodell der Betreibenden sind: Werbung platzieren und dann mit krawalligen Nachrichten für hohe Viralität sorgen. Letztere arbeiten mit dem stärksten Argument – der Angst – und wo sämtliche Belege, so sehr sie im Einzelfall vielleicht stimmen mögen, oder auch nicht, aus dem Zusammenhang gerissen und entsprechend der rechten Grundüberzeugung umgedeutet werden.
Wofür ich eine Lanze brechen will, sind die Blogs, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Lücke zu füllen, die die klassischen Medien viel zu häufig offen lassen: Investigativen Journalismus betreiben, Anlaufstation für Whistleblower*innen zu sein. Sicher, es gibt Rechercheredaktionen, bei privaten- wie öffentlich-rechtlichen Medien, diese sind aber selbstverständlich auch (teil-)abhängig, kritische Medienmenschen wie der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, können durchaus gewaltige Probleme bekommen.
Gebremst wird politische Einflussnahme auf die Medien immer wieder durch das Bundesverfassungsgericht: Im Bezug auf den besonderen Schutz journalistischer Quellen zuletzt beim sogenannten Cicero-Urteil, aber auch die öffentlich-rechtlichen Medien müssen regelmäßig vor Einflussnahme geschützt werden. Zuletzt hat das Bundesverfassungsgericht den ZDF-Staatsvertrag teilweise für verfassungswidrig erklärt und zu viel politische Einflussnahme über das Aufsichtsgremium, dem ZDF-Fernsehrat, festgestellt. Die Länder mussten daraufhin die Regelungen zur Zusammensetzung des ZDF-Fernsehrats neu regeln.
Es ist toll, dass wir so ein Bundesverfassungsgericht haben, meiner Meinung nach ist es einer der wenigen Institutionen in diesem Land, die nach wie vor uneingeschränkt das Grundgesetz und die Grundrechte verteidigen. Aber in einer Demokratie muss der Schutz der Grundrechte eben auch aus der Gesellschaft heraus kommen, investigativer Journalismus und unabhängige Blogs übernehmen hier eine zunehmend wichtiger werdende Rolle. Die aktuellen Ermittlungen gegen netzpolitik.org sind daher auch als Ritterschlag für diese Form von Journalismus zu sehen.
Und was ist mit Blogs wie Stadtkontext?
Und was hat das mit eher kommunal orientierten Blogs wie Stadtkontext zu tun? Sehr viel: Ich bin mir sicher, dass auch einer Stadt in der die Partei mit an der Regierung sitzt, bei der ich Mitglied bin, solche Blogs gut tun. Alles andere wäre ja auch vermessen zu behaupten 😉
Anlässe gibt und gab es hier in Bremen genügend: SpacePark, Klinikum Bremen-Mitte, Polizeieinsatz am sogenannten „Terrorwochenende“, um nur einige zu nennen. Nicht zu vergessen die Wirtschaft, dem Aufdecken von Lohndumping, Verstöße gegen Arbeitsschutz, Mindestlohn-Verstöße und so weiter und so fort. Wieso werden nicht auch Blogs wie Stadtkontext zu Anlaufstellen für kommunale Whistleblower, welche aufdecken, wenn hier Dinge passieren, die wenig mit Recht und Verfassung zu tun haben oder vielleicht formaljuristisch Rechtens sind, aber moralisch zweifelhaft? Wieso nicht zum „Sand im Getriebe der Stadt“ werden?
Es wäre schön, wenn wir keine Whistleblower*innen benötigen würden, wenn sich alle an die Regeln halten, die wir uns in dieser Gesellschaft gemeinsam geben, grade und insbesondere die, die in Exekutive, Legislative und Judikative besonders daran gebunden sind. Da aber jeder nicht-naive Mensch sieht, dass dies illusorisch ist, braucht es eine „Fünfte Säule“ der Gewaltenteilung bzw. die „Zweite Säule“ der Presse: Das freie Bloggertum.
Und was muss Usus werden in einer Demokratischen Gesellschaft? Der Schutz von Whistleblower*innen, sie sind das Gegenteil von dem, was ihnen vorgeworfen wird! Eben keine Landesverräter*innen. Sie tragen mehr zum Schutz der Verfassung und der Grundrechte bei als alle Verfassungsschutzbehörden zusammen. Wir danken Euch!
Weiterdenken: Die Schere im Kopf
Zuletzt müssen wir uns überlegen, wie wir diese Gesellschaft dazu bekommen, die Unabhängigkeit ihrer Mitglieder zu schützen. Auch in unserer Demokratie gibt es sie zunehmend: Die Schere im Kopf. In der Wirtschaft kennen wir dies, wir haben uns daran gewöhnt. Wir wissen genau, was wir sagen dürfen und was nicht, damit unser Job und damit unsere Lebensgrundlage nicht in Gefahr geraten. Seien es Versuche zur Betriebsratsgründung, die oftmals mit fadenscheinigen Kündigungsgründen belegt werden, gegen die man* sich zwar zu Wehr setzen kann und muss, man* aber als Arbeitnehmer*in immer am kürzeren Hebel sitzt. Der Schere im Kopf bedienen wir uns aber auch immer häufiger außerhalb der Arbeitswelt im Internet. Nutzt man* Worte wie „Bombe“ noch, wohlwissend, dass diese im falschen Kontext – maschinell gelesen und aus Datenbergen ausgewertet – zu entsprechenden Wahrscheinlichkeiten führen können?
Man* weiß es nicht, also lässt man* es.
Was wünsche ich mir?
Die Stärkung der hiesigen demokratischen Strukturen und nicht deren langsame Erosion. Diese Langsamkeit ist es nämlich, mit der sich viele dann doch arrangieren, der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier. Und dass wir uns als Gesellschaft Grenzen geben, die wir in keinem Falle überschreiten, auch wenn wir als Kurzschlussreaktion gegen einen etwaigen „Terrorangriff“ wieder einmal meinen, für ein bisschen mehr Sicherheit viel Freiheit aufgeben zu müssen.
David Mohr ist Mitglied der Partei Bündnis 90 / Die Grünen, Delegierter aus Bremen in der Grünen Bundesarbeitsgemeinschaft Medien- und Netzpolitik, Mitglied im Rundfunkrat von Radio Bremen, Softwareentwickler
Gastbeiträge geben die Meinungen der jeweiligen Autor*innen wieder und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten von Stadtkontext. Vielmehr sollen sie als Bereicherung für Debatten verstanden werden und der Blog als eine Plattform für Gäste dienen.
Beitragsbild 10 Jahre Netzpolitik – Fight for your digital rights! CC-BY-SA/2.0 von Melanie Twele
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