Der Blick von oben – die Sache mit den Privilegien
Eine Gruppe Endzwanziger sitzt abends gemütlich beim Feierabendbier zusammen. Die Gespräche drehen sich um Sport, die letzten und nächsten exotischen Fernreisen, und natürlich den beruflichen Erfolg. Es wird sich gegenseitig zur Gehaltserhöhung beglückwünscht, und jeder kann sich für den erreichten Erfolg ordentlich auf die Schulter klopfen. Haben sie sich ja schließlich verdient!
Haben sie? Haben sie sich ihren Wohlstand, ihr Einkommen, und ihre berufliche Position wirklich selbst verdient? Oder haben sie vielleicht einfach Glück gehabt, in eine bestimmte Familie, ein Umfeld und eine bestimmte ethische Zugehörigkeit hineingeboren worden zu sein, und dadurch über Kapital sowie einen gewissen gesellschaftlichen Status verfügen zu können?
Privilegiert zu sein bedeutet, mit Vorteilen ausgestattet zu sein.
Privilegiert zu sein bedeutet, mit Vorrechten bzw. Vorteilen ausgestattet zu sein. Als Einzelperson, aber auch aus Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe. Die Personengruppe, die weltweit am meisten Bevorzugung und am wenigsten Widerstände erfährt, sind weiße heterosexuelle Männer. Sie müssen nicht gegen Diskriminierung ankämpfen, weder in Bezug auf ihr Geschlecht, ihre Hautfarbe, oder ihre Sexualität. Ihnen versperren praktisch keine Vorurteile den Weg, und auch die gesellschaftliche Anerkennung ist ihnen einfach in die Wiege gelegt worden. Höchstwahrscheinlich muss sich kein weißer Student anhören, ob er nicht lieber einen Dönerladen eröffnen will statt Medizin zu studieren.
Traurige Wahrheit ist, dass sowohl bei Bewerbungen als auch bereits in der Schule – oft auch unbewusst – Vorurteile z.B. gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund herrschen, gegen die sie sich zur Wehr setzen und behaupten müssen – jeden Tag. Und auch zwischen Männern und Frauen befindet sich nach wie vor eine Kluft aus Vorurteilen, Klischees und Diskriminierungen, gegen die die Frauen immer wieder aufs Neue ankämpfen müssen.
Die privilegierteste Gruppe von allen hat solche Probleme nicht. Sie können von ihrer Position ganz oben in aller Ruhe darüber referieren, dass sie sich nicht vorschreiben lassen wollen, “schwul” bitte nicht mehr als Schimpfwort zu gebrauchen. Oder wie sehr es sie stört, dass die “Asylantenkinder” in der Kita eine warme Mahlzeit umsonst bekommen (auf ihre Kosten!), oder dass der Einzug einer rechtspopulistischen Partei in einen Stadtteilbeirat ja nicht so schlimm ist, weil das ja nur daran liegt, dass die Wahlbeteiligung so niedrig war und deswegen nicht repräsentativ ist.
Gerne lässt eins sich auch über das vermeintliche Liebesleben von Frauen aus, und wie sie sich benehmen sollten (für Männer gilt das selbstverständlich nicht!), oder es wird eifrig am beruflichen Werdegang gefeilt und mit einer gewissen Arroganz auf diejenigen herabgeblickt, die das nicht tun, weil sie sich beispielsweise ein berufsbegleitendes Studium schlicht nicht leisten können.
Es ist ein Privileg, in einem Land ohne Krieg, Verfolgung und Hunger leben zu können.
Diese Beispiele ließen sich beliebig fortführen. Ob zur Situation der griechischen Bevölkerung oder der der Flüchtlinge, alle hätten ja entweder selbst Schuld oder könnten selbst zur Verbesserung ihrer Situation beitragen, wenn sie nur wollen würden! Dass es ebenfalls ein Privileg und außerdem unglaubliches Glück ist, in einem Land ohne Krieg, Verfolgung und Hunger leben zu können, wird selbstgefällig ignoriert.
Der Mythos vom selbst erarbeiteten Glück hinkt, und zwar gewaltig. Es ist Zeit ihn zu sprengen.
Wer z.B. ein Unternehmen gründen will, braucht Kapital. Entweder aus der Familie, wo es dann bereits vorhanden ist, oder von einer Bank, aber nur wenn die Kreditwürdigkeit gegeben ist. Und kreditwürdig ist eins, wenn Sicherheiten (Kapital) vorhanden sind. Keine Sicherheiten, kein Kapital, kein Geld. Die Privilegien schlagen zu. Vorstellungsgespräch: Ali, Alexandra und Patrick treten gegeneinander an, bei identischer Qualifikation. Ali fällt den Vorurteilen zum Opfer, Alexandra wird als typisch durchsetzungsschwache Frau eingestuft, und könnte ja außerdem bald schwanger werden. Patrick bekommt den Job. Hallo Privilegien.
Kapitalismus lebt, indem sich einige auf Kosten anderer bereichern. Es gibt Gewinner und Verlierer, sonst würde das System nicht funktionieren. Anders ausgedrückt: Es geht uns nur so gut, weil es anderen so schlecht geht.
Als weiße Frau gehöre auch ich zu einer privilegierten Gruppe; zwar nicht ganz oben, aber schon ziemlich weit. Ich bin Mitglied in 6 gemeinnützigen Organisationen und spende was ich entbehren kann. Ich bin politisch aktiv und gehe so oft es meine Arbeitszeit zulässt auf Demos um Nazis zu blockieren, oder eine Verschärfung des Asylrechts abzuwenden,und vieles andere. Und stets begleitet mich der Gedanke “Dir geht’s doch so gut, du bist so privilegiert, du könntest viel mehr tun!”
Ich frage mich, warum dieser Gedanke nicht viel mehr Menschen verfolgt. Es tut nicht weh etwas abzugeben und auf ein bisschen Luxus zu verzichten, damit es anderen ein bisschen besser geht, ganz im Gegenteil! Wer viel hat, kann abgeben. Er sollte sogar, da er nur auf Kosten anderer überhaupt so viel hat.
Es gibt viele Möglichkeiten seine Privilegien zu nutzen. In Form von Geld, Zeit, oder gesellschaftlicher Stellung. Stellt euch den Nazis in den Weg! Das ist nämlich nicht nur die Aufgabe der linken Szene, sondern die Aufgabe von allen. Greift ein, wenn ihr Rassismus beobachtet. Das heißt Verantwortung übernehmen, und seine gesellschaftliche Anerkennung nutzen. Und statt den Joghurt zu Hause wegzuschmeißen, weil ihr ihn nicht gegessen habt und er jetzt abgelaufen ist, kauft nächstes Mal einen weniger und spendet das Geld. Das ist Reichtum.
Erkennt eure Privilegien und nutzt sie!
Aus Bequemlichkeit andere machen zu lassen, oder die eigene privilegierte Situation gar nicht erst als solche wahr zu nehmen, oder gar abzustreiten, und sich nicht zuständig zu fühlen, ist der Inbegriff der Arroganz. Wenn es ein “ganz oben” gibt, muss es auch ein darunter geben, welches das oben trägt. Jeder Mensch sollte sich das bewusst machen.
Erkennt was ihr habt, und vor allem warum ihr es habt. Und nutzt es. Manche Dinge vermehren sich nämlich durch Teilen.
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