Einmal Sachsen und zurück
Es ist Freitag 19 Uhr. Es ist bereits dunkel und ich finde mich in der sächsischen Kleinstadt Grimma wieder. Mitten in der Innenstadt, von den warmen Lichtern der Straßenlaternen erleuchtet, stehe ich da. Neben mir ein Mob an Menschen, vor allem Männer mit Deutschlandfahnen und “Merkel muss weg”-Schildern. Ich höre sie kräftig im Chor “Wer Deutschland nicht liebt, muss Deutschland verlassen” grölen. “Fuck, was mach’ ich hier?” frage ich mich. Aber ich fange besser am Anfang an.
Seit einiger Zeit lebe ich in Sachsen. Sachsen kennt man im Norden, in Berlin und in den Großstädten des Westens nur aus dem Fernsehen. Sachsen ist ein dunkler Ort voller wütender Nazis und besorgter Bürger, ein Ort wo PEGIDA, CEGIDA und LEGIDA wöchentlich auf die Straße gehen und ihr menschenfeindliches Weltbild präsentieren. Wir alle kennen die Bilder von PEGIDA in Dresden, von den teilweise 10.000 Menschen, die laut gegen den Islam und Ausländer hetzen. Abseits der großen Bühne hören wir immer wieder von Mobs und Demos in kleineren Orten wie Freital, Heidenau und erst vor kurzem in Clausnitz. Wie läuft so eine Anti-islamische Demo in diesen Orten eigentlich ab und wer ist dabei? Gibt es auch Widerspruch?
Um das herauszufinden, bin ich ins sächsische Grimma gefahren. Dort fand an besagtem Freitag eine Demonstration der sog. “Bürgerbewegung Grimma” statt. Als Presse wollte ich mich vor Ort nicht outen, zu präsent sind die regelmäßigen Angriffe auf Journalist*innen. Um nah an die Demo heranzukommen, habe ich mich also als Teilnehmer getarnt.
Schon als die ersten Demonstrant*innen auf dem malerischen Markplatz ankommen, merke ich, dass sich hier kaum besorgte Bürger treffen. Die Menschen, die sich sammeln, scheinen sich zu kennen. Teilweise begrüßen sich die Ankommenden. Dabei sind zum einen eher junge Männer und Frauen, sportlich in Schwarz gekleidet. Eine Person mit einem “FCK ISIS”-Hoodie und eine mit den Symbolen der Identitären Bewegung. Sie unterhalten sich, Einzelne holen ab und an das Smartphone heraus, um Nachrichten zu checken. Das hatte ich nicht erwartet: Keine alten Männer mit Hut und Stock, die sich lauthals über alles und jeden aufregen, sondern junge Leute. Außerdem mehrere größere Gruppen von Hooligans. Sie sind in ihren obligatorischen Jacken und Pullis gekleidet und stehen breitbeinig in der Gegend herum.
Relativ pünktlich beginnt eine Rednerin zu sprechen, die die üblichen Plattitüden von sich gibt: Die bösen Politiker führen das Volk hinters Licht und überhaupt, wer denkt denn mal an die armen Deutschen. Nichts Neues – das scheint auch das Publikum zu denken und steht eher gelangweilt da – nur gelegentlicher Applaus. Die Teilnehmer*innen unterhalten sich auch während der Rede weiter und die positive Musik, die am Anfang der Kundgebung spielt, passt nicht zur negativen Stimmung der Rede. Ohnehin ist es eher feierlich auf der Kundgebung. Die Teilnehmer*innen schwatzen, es laufen Menschen mit bunten Klingelbeuteln herum und es werden Fahnen, Banner und Schilder verteilt. Es wird gelacht und gescherzt. Ich habe eher das Gefühl auf einem Straßenfest zu sein, als auf einer rassistischen Demonstration. Wahrscheinlich ist das Kalkül, alle Passant*innen und Anwohner*innen mit der Botschaft anzulocken: Hey, kommt doch her, wir sind nett und hören euch zu! Wir haben euch sogar Schilder und Banner mitgebracht. Fehlen eigentlich nur noch Kaffee und Kuchen.
Nur wenig später ändert sich das Bild der Demo radikal. Konnten die Veranstalter*innen das freundliche Bild auf dem Marktplatz noch wahren, schwingt die Stimmung während des Demozuges um. Erst jetzt bemerke ich die zahlreichen Hooligans. Sie beginnen die Demo zu dominieren, sowohl in Person als auch in Lautstärke. Hatte man sich vorher in der Rede noch von allen Nazis und Rechten distanziert, wird jetzt klar, wie absurd diese Aussagen waren.
“Wer Deutschland nicht liebt, muss Deutschland verlassen” und andere Sprüche dieser Art hallen durch die um diese Uhrzeit ruhige Innenstadt. Die Hools tragen die Demo und erzeugen ein beklemmendes Gefühl. Ich beginne zu zweifeln, ob der Trip nach Grimma eine gute Idee war. Eine kleine Gruppe Antifaschist*innen ist am Marktplatz geblieben, vielleicht 15 Leute und die Polizei begleitet die Demo, doch der traue ich ohnehin nur noch begrenzt.
Was ich hier sehe, ist das Dunkeldeutschland von dem Gauck sprach. Ich bin nicht wirklich Fan dieser Aussage, doch in diesem Moment erinnere ich mich daran und merke, wie mein Bild von Sachsen sich bestätigt. Das ist hier Realität. So richtig. Jede Woche, jeden Tag läuft so etwas hier ab. Jeden Tag müssen Menschen, die nicht der perversen Norm der Nazis entsprechen, Angst haben. Ich möchte mit den Antifaschist*innen nicht tauschen, die hier leben und im Alltag ihre politische Gesinnung verstecken müssen. Oder mit Menschen, die mit Übergriffen und Beleidigungen leben müssen, da sie ihre Herkunft oder sexuelle Orientierung nicht verstecken können.
Mittlerweile bin ich zurück und fühle mich wieder sicher. Selten habe ich die eigene Wohnung so sehr geschätzt, den Dönerladen gegenüber und den Späti um die Ecke. Hier brauche ich nicht mehr den Teilnehmer dieser Demo spielen, sondern kann ich selbst sein. Durchatmen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass es auch diese anderen Orte gibt. Dort ist die Freiheit der Großstädte und links-alternativen Viertel nicht vorhanden, da müssen sich Menschen verstecken, aus Angst vor gesellschaftlicher Repression. Anstatt selbst den Weg in andere Viertel als zu weit zu empfinden, sollten wir viel öfter nach Grimma, Clausnitz, Freital und den ganzen anderen Orten fahren und den Menschen dort unsere Solidarität und Unterstützung zeigen. Ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind.
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