Fünfter Prozesstag gegen antifaschistische Ultras
Fünfter Prozesstag des Verfahrens gegen antifaschistische Ultras
Am 18.02.2016 begann der 5. Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras mit der Vernehmung von Pascal S., der zum Tatkomplex vom 09.07.2014 an der Hochstraße/Kurfürsten-Allee vernommen wurde.
(Siehe auch AKJ Bericht: Zweiter Prozesstag)
Vernehmung Pascal S.
Pascal S. schilderte den damaligen Vorfall teilweise abweichend von den Aussagen des Hauptgeschädigten Florian M., wie folgt: Er habe sich mit den Zeugen Florian M. sowie Sergej D. und Patrick S. zu viert unter der Hochstraße aufgehalten und Musik gehört. Eine Person sei vorbeigekommen und habe Rufe wie: „Deutschland! Scheiß Deutschland!“ von sich gegeben. Daraufhin seien Florian M. und Patrick S. der Person hinterher gegangen, in der vom Zeugen Pascal S. vermuteten Absicht, sich mit der rufenden Person schlagen zu wollen. Florian M. und Patrick S. seien daraufhin wenige Minuten später zurückgekehrt und hätten weiter Alkohol getrunken. Eine viertel Stunde später hätten drei maskierte Personen sie angegriffen. Der Zeuge sagte weiter aus, er habe die Angreifer schon von weitem auf ihre Gruppe zukommen sehen und seine Freunde aufgefordert, unverzüglich wegzulaufen.
Auf Nachfrage des Vorsitzenden gab der Zeuge weiter an, die Angreifer aufgrund ihrer Maskierung nicht erkannt zu haben. Sie hätten eine „rote und zwei helle (graue-weiße) Sturmhauben“ getragen. Dies widerspricht den bisherigen Beschreibungen der Maskierungen, welche bisher immer als „schwarz„ oder „schwarz mit roten Streifen“ bezeichnet worden waren. Des Weiteren gab der Zeuge an, in Richtung des Polizeipräsidiums vor den Angreifern weggelaufen zu sein. Er habe deshalb das weitere Geschehen unter der Hochstraße nicht gesehen. Er gab auch an, den Angriff auf dem Polizeipräsidium in der Vahr gemeldet zu haben. Laut Vorhalt der Notiz eines dortigen Polizeibeamten durch den vorsitzenden Richter, soll sein Freund demnach mit einem „Totschläger“ geschlagen worden sein. Auf Nachfrage des Vorsitzenden, ob diese Aussage tatsächlich auch so zutreffe. antwortete Pascal S.: „Nee, war doch nicht so“.
Ähnlich verhält es sich auch mit einer ihm vorgehaltenen früheren Angabe aus dem Protokoll der Polizei. Hier gab er an, die Täter hätten „Mützen und Schals dabei gehabt“. Auch hier revidierte er seine damalige Aussage. Bezüglich der möglichen Angreifer gab der Zeuge an, dass Florian M. unmittelbar nach der Tat erklärt habe, er kenne die Täter bzw. die Person, mit der es vorher zum Wortgefecht gekommen war. Auf die Nachfrage des Richters, ob diese Person denn am Angriff beteiligt gewesen sei, konnte Pascal S. keine Angaben machen. Ein paar Wochen nach der Tat habe Florian M. dem Zeugen dann gesagt, dass es sich bei den Angreifern um Personen handele, die „sein Bruder aus dem Fitnessstudio“ kenne. Der Richter erkundete sich daraufhin danach, ob der Zeuge auch kürzlich mit Florian M. darüber gesprochen habe. Der Zeuge berichtete lediglich, Florian M. habe ihm gegenüber nach seiner Aussage am 01.02.2016 vor Gericht geäußert, dass das Verfahren wohl „fallen gelassen“ würde. Dies sah der Zeuge auch als Grund, nicht der ersten Ladung des Gerichts zur Vernehmung zu folgen.
Vernehmung Sergej D.
Daraufhin wurde der Zeuge Sergej D. in den Saal gerufen. Er sagte aus, dass eine Person „vorbeigefahren“ sei, hinter der Florian M. und Patrick S. nach einem kurzen Wortgefecht dann hinterher gelaufen seien. In einer anderen Version war bisher davon die Rede, die Person sei an der Gruppe vorbei gelaufen. Worum es bei dem Wortgefecht ging, will der Zeuge aber nicht verstanden haben. Abweichend von den Zeugen Florian M. und Pascal S. gab dieser Zeuge nun an, mit der Gruppe das Fußball-Spiel aber gar nicht gesehen, jedoch selbst ca. zwei Flaschen Wodka an dem Tag getrunken zu haben. Auf die Frage des Vorsitzenden, wie betrunken er denn gewesen sei, sagte er: „Geht. Ich trinke ja viel.“ Er habe sich jedoch zur Tatzeit nicht beeinträchtigt gefühlt. Zum Zeitpunkt des Angriffs wollte er gerade die Toilette aufsuchen. Auf dem Weg dorthin hörte er Pascal S. hinter sich rufen: „Lauft!“. Er habe sich umgedreht und sei von einem der Angreifer zwei bis dreimal ins Gesicht geschlagen worden, danach will er aber keinerlei Schmerzen verspürt haben. Auch habe er keine Verletzungen davongetragen. Auf Nachfrage des Vorsitzenden, bezüglich des Aussehens der Täter, versicherte er, aufgrund der Dunkelheit und Kürze des Angriffes, habe er außer der „schwarzen“ Maskierung nichts wahrnehmen können.
Auf Nachfrage, ob die zuvor vorbei gelaufenen Person an dem Angriff beteiligt gewesen sei, erklärte er, das nicht zu wissen. „Niemand aus der Gruppe“ habe die Person zum Tatzeitpunkt gekannt. Florian M. habe erst nach seinem Krankenhausaufenthalt die Vermutung geäußert, dass es sich bei der Person um einen der Angeklagten handele. Diese Information habe nach Einschätzung des Zeugen Pascal S., der Geschäfigte Florian M. wohl von seinem Bruder.
Dem Zeugen wurde das polizeiliche Protokoll vorgehalten, in dem er damals angegeben hatte, es seien „vier Angreifer“ vor Ort gewesen. Dazu sagte er dem vorsitzenden Richter nun: „Ich glaube nur drei, aber ich weiß es einfach nicht mehr so genau. Es ist ja auch schon zwei Jahre her.“
Auf Nachfrage des Staatsanwaltes zu dem Täter, der mit einem Ghettoblaster geworfen haben soll, erklärte der Zeuge, es habe sich dabei um die Person gehandelt, die auch ihn selbst geschlagen habe. Diese Person sei „nur ein Stück größer“ als er selbst gewesen. Zu seiner eigenen Körpergröße konnte der Zeuge auf Nachfrage überraschenderweise keine Angaben machen.
Die Angaben des Zeugen ließen somit insgesamt keine belastenden Schlüsse bezüglich der Angeklagten zu.
Der Zeuge Patrick S.
Der bereits mehrfach geladene Zeuge Patrick S. erschien auch an diesem Verhandlungstag wieder nicht. Daraufhin ordnete der Richter die sofortige zwangsweise Vorführung an und ließ Polizeibeamte nach seinem gegenwärtigen Aufenthalt suchen. Auch nach einer Unterbrechung konnte Patrick S. dem Gericht nicht vorgeführt werden, da er inzwischen unter einer anderen Adresse wohnhaft ist.
Vernehmung Polizeibeamter Andre M.
Als nächstes wurde der Polizeibeamte Andre M. in den Saal gerufen. Der wies darauf hin, dass der Zeuge in einem bisher noch nicht zur Sprache gekommenen Sachverhalt geladen ist. Es geht um einen neuen Tatkomplex, der sich nach dem Bundesligaspiel zwischen dem SV Werder Bremen und dem FC Schalke 04, am 23.09.2014 ereignet haben soll. Der Beamte wurde um eine genaue Schilderung der Geschehnisse gebeten und seine heutigen Erinnerungen an den Fall vorzutragen.
Er sei nach dem Spiel im Einsatzwagen im Bremer Viertel unterwegs gewesen und habe per Funkspruch von einer Körperverletzung, ausgehend von drei Personen, erfahren. Die gemeldeten Täter seien flüchtig und wären über die Straße „Vor dem Steintor“ in Richtung der „Lübecker Straße“ unterwegs. Er und die anderen, sich im selben Einsatzwagen befindenden, Polizeibeamten hätten schließlich vor einer Kneipe an der „Lübecker Straße“ gehalten und hätten sich zunächst in dem Gebiet verteilt. Nachdem ein Kollege vorschlug, in einem Hinterhof, nicht weit von der besagten Kneipe, nachzusehen, seien sie dort auf zwei Personen gestoßen. Die angetroffenen Personen seien außer Atem gewesen. Einer von Ihnen wäre gerade dabei gewesen eine „rote Jacke“ auszuziehen und auf den Boden abzulegen. Auf Nachfrage gab der Beamte an, dass sie jedoch nicht den Eindruck machten, sich verstecken zu wollen. Die durchgegebene Täterbeschreibung habe nach seinem Eindruck aber gepasst, woraufhin man die Verdächtigten zu weiteren Kontrollen zum Einsatzfahrzeug geführt und Fotos von ihnen gemacht habe. Die Personenkontrollen ergaben, dass es sich dabei um Wesley S. und Milan B. handelte.
Später sei eine dritte Person in einer der Nebenstraßen der Lübecker Straße aufgegriffen und den anderen Beamten zugeführt worden. Hierbei habe es sich um den Beschuldigten Valentin S. gehandelt. Darüber hinaus seien Gegenstände wie ein „schwarzes Halstuch“ und „schwarze Gartenhandschuhe“ bei den Verdächtigten vorgefunden und vor Ort beschlagnahmt worden. Anschließend seien die Verdächtigten in Gewahrsam genommen worden.
Von dem vorsitzenden Richter auf die genaue Täterbeschreibung aus dem Funkspruch angesprochen, führte der Zeuge aus, er wisse es zwar „nicht mehr genau“, könne sich aber noch an die „rote Jacke“ erinnern. Der Vorsitzende fragte, von wem diese Personenbeschreibung ursprünglich ausging und wies darauf hin, dass in den Akten lediglich vermerkt sei, dass die „Beschreibungen“ bezüglich der Verdächtigen „zugetroffen“ hatten, jedoch „keine genauen Angaben“ zu der vorher per Funk durchgegebenen Täterbeschreibungen vermerkt worden sei.
Der Zeuge führte aus, der Funkspruch sei von einem „Verkehrspolizisten“ ausgegangen. Jener sei nicht zu den Kontrollen auf dem Hinterhof hinzugekommen. Er kenne diesen Kollegen nicht und habe seinen Namen auch erst im Nachermittlungsverfahren überhaupt feststellen können.
Außerdem fiel ihm bei der Vernehmung ein, dass eine Gruppe ihm am selben Tag bereits im Vorfeld verdächtig aufgefallen sei, als er sich vor Anpfiff des Bundesligaspiels am Osterdeich als Beamter aufhielt, um potentielle Ausschreitungen zwischen „Heim- und Gästefans zu unterbinden“. Die Gruppe um die Person mit der „roten Jacke“ habe sich ebenfalls am Osterdeich aufgehalten, hätten aber, nachdem der Zeuge auf sie zuging, den Deich zügig verlassen.
Auf Nachfragen nach Einzelheiten der Kontrollen der Personen auf dem Hinterhof, verwies der Zeuge wiederholt auf seinen Bericht, da er sich nicht mehr genau erinnere.
Nicht alle Zeugen erreichbar
Der Vorsitzende wies daraufhin, dass er sich das Erscheinen weiterer Zeugen zu den bisher verhandelten Sachverhalten erhoffe. Darunter soll der Verkehrspolizist L. für die nächste Verhandlung nochmal geladen werden. Dieser war verhindert und konnte heute nicht vernommen werden.
Da mit einem Erscheinen des Zeugen Jaroslaw S. auch weiterhin nicht zu rechnen sei, soll dessen damalige Aussage zum nächsten Prozesstag verlesen werden. Weiter standen Überlegungen im Raum, die Mutter der Brüder Florian und Daniel S. als Zeugin zu laden.
Staatsanwalt lehnt Stellungnahme ab
Verteidigerin Voigt fragte nach einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, bezüglich ihres Antrages vom vierten Prozesstag. Der Staatsanwalt hielt es jedoch nicht für erforderlich, auf den Antrag von Voigt einzugehen.
Kritik Arbeitskreis kritischer Jurist_innen
Aus Sicht des AKJ Bremen ist diese Ablehnung ohne Begründung nicht nachvollziehbar. Gerade nicht mit Hinblick darauf, dass es hier der zuständige Staatsanwalt war, der das Verfahren eröffnete, obwohl von Anfang an nicht genügend beweisbare Tatsachen durch Polizeibehörden und Staatsanwaltschaft ermittelt wurden. Aus unserer Sicht ist es zwingend, dass der Eröffnung des Hauptverfahrens einer Prognose zugrunde liegt, die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung eines jeden Angeklagten verspricht. Davon ist nach fünf Verhandlungstagen bei diesem Strafverfahren bisher nichts zu erkennen. Zudem mangelt es extrem an dem konstituierenden Gebot, für jede Justiz stets ein faires und objektives Verfahren anzustreben. Dieses Interesse scheint zumindest bei der Staatsanwaltschaft von Anfang an nicht bestanden zu haben.
Bitten auf Freilassung Valentins aus der U-Haft
Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass das Vorbringen Wesemanns „unzutreffend“ sei.
Der Prozess wird am 22.02.2016, um 09.00 Uhr im Landgericht Raum 218 fortgesetzt.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen
2 Antworten
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