Geht verdammt noch mal zur Wahl!
Die Bundestagswahl steht vor der Tür, und viele Menschen werden das auch diesmal wieder ignorieren. Weil sie zum Beispiel der Ansicht sind, es würde ja eh nichts ändern, oder weil sie ja nicht das System unterstützen wollen, welches sie ablehnen. Oder weil sie zu faul sind. Oderoderoder.
Stimmt das? Gehen wir doch mal die häufigsten Argumente durch, um zu sehen was da dran ist, und ob ihr nicht doch lieber wählen gehen solltet.
1.Meine Stimme ändert doch eh nichts!
Der Klassiker. Okay, du bist ein Mosaiksteinchen von vielen. Natürlich ändert deine einzelne Stimme für sich genommen nichts, weil du eben nicht der*die einzige Wahlberechtigte bist. Die Frage ist aber: Willst du dich beteiligen? Ein Mosaik entsteht nur dadurch, dass sich viele kleine Teile zu einem ganzen zusammensetzen.
Und noch viel wichtiger ist folgendes: Wer nicht wählt, wählt rechts.
Durch jede nicht abgegebene Stimme erhalten die verbleibenden Stimmen mehr Gewicht und somit mehr Macht. Dadurch können z.B. rechtspopulistische Randparteien plötzlich mit rein zahlenmäßig gesehen wenigen Stimmen doch Sitze erhalten, weil diese wenigen Stimmen im Verhältnis ausreichen.
100 Wahlberechtigte
75 gehen hin
3 wählen AfD
= 4% AfD
100 Wahlberechtigte
50 gehen hin
3 wählen AfD
= 6% AfD
Hintergrund ist, dass Anhänger*innen von rechtspopulistischen Parteien in aller Regel eine viel höhere Motivation haben zur Wahl zu gehen, da sie von bestimmten Themen getrieben werden, die ihnen besonders wichtig sind. Daher entfallen die “Nichtwählerstimmen” statistisch gesehen eher den größeren Parteien, die Populisten werden hingegen prozentual gestärkt, wie das Beispiel veranschaulicht.
Deine nicht abgegebene Stimme kann also sehr wohl etwas zum Schlimmeren verändern, und deine abgegebene Stimme helfen dies zu verhindern.
2. Ich will kein System unterstützen, was ich ablehne
Ein weit verbreitetes Argument, zu dem sich mir verschiedene Gegenfragen aufdrängen: Wie will ich ein System verändern, wenn ich mich von ihm zurück ziehe? Warten, bis jemand anders ein neues erfindet, oder hab ich selbst irgendwelche Vorschläge? Wenn ja, was tue ich dafür diese Vorschläge umzusetzen? Engagiere ich mich vielleicht in einer NGO oder ähnlichem? Und wie ablehnenswert ist die parlamentarische Demokratie denn überhaupt, und warum? Hierzu gibt es viele Ansätze und Perspektiven, daher sollen diese Fragen nur ein paar Denkanstöße sein, um diesen Standpunkt etwas besser zu reflektieren.
Sich hinsetzen und darüber beschweren, dass man das aktuelle System nicht mag, und man sich deswegen nicht beteiligt, ist weitestgehend sinnfrei. Um etwas zu verändern muss man anpacken. Das heißt also, sich vorerst mit der bestehenden Situation zu arrangieren, und daran arbeiten, Veränderungen zu entwickeln und umzusetzen. Von nix kommt nix. (Hint: Zum Beispiel die Piratenpartei hat als ganz normal wählbare Partei damals einen solchen Ansatz verfolgt, und wollte grundlegende Änderungen der gelebten Demokratie vorantreiben.)
Und wer jetzt auf die Idee kommt, eine Satire-Partei zu wählen, um seinen Missmut gegenüber dem System auszudrücken, dem sei folgendes ans Herz gelegt:
Eine Satire-Partei zu wählen muss man sich leisten können, sprich es muss einem so gut gehen, dass man keinen Bedarf an wirklichen politischen Veränderungen hat. Es ist zwar immernoch besser als gar nicht zu wählen, da man so wenigstens seine Stimme abgegeben hat und sie nicht die Falschen stärkt, aber so gehen auch Stimmen für Abgeordnete verloren, die sich für bestimmte Themen einsetzen, die für manche von uns sehr wichtig sind. Fragt doch mal die Alleinerziehenden, die Niedriglohn- und Hartz-IV-Empfänger*innen, oder die denen eine Abschiebung droht oder deren Familie im Krisengebiet festsitzt, wie sie das so finden, wenn Parlamentssitze von Satirikern besetzt werden.
3. Aber keine Partei stimmt mit mir zu 100% überein!
Das ist normal. Selbst Parteimitglieder liegen oft “nur” bei einer Übereinstimmung von rund 90%. Das liegt eben daran, dass in einer Partei natürlich ein Konsens gefunden werden muss, und individuelle Meinungen im Detail dann oft etwas abweichen. Eine 100%ige Übereinstimmung ist also sehr unrealistisch. Das ist aber auch nicht relevant. Konzentrier dich auf die Themen, die dir am Wichtigsten sind, und schaue, welche Partei dies genauso sieht, und sich für die Umsetzung ausspricht.
Deswegen gibt es so nützliche Tools wie den Wahl-O-Mat oder deinWal . Die durchzutickern dauert nur wenige Minuten, und wenn du magst, kannst du dein Ergebnis hinterher genauer betrachten und dich näher informieren über einzelne Themen oder Parteien. Auch die “Wahlprüfsteine” oder die Medienberichterstattung können dir weiterhelfen. Nimm dir einen Moment Zeit, und schon hast du eine Orientierung und einen Überblick, ohne dass du seitenlange Parteiprogramme wälzen musst.
Soweit, so gut. Und wer immernoch nicht überzeugt ist, seinen Hintern am 24.09. zum Wahllokal zu schwingen oder Briefwahlunterlagen anzufordern, hier noch ein paar weitere Argumente fürs Wählen:
4. Es heißt nicht ohne Grund WahlRECHT
Deine Regierung wählen zu können ist ein von unzähligen Menschen über Jahrhunderte hart erkämpftes Recht und ein Privileg. Auch aktuell riskieren Menschen in vielen Ländern ihr Leben, um dieses Recht für sich und die nachfolgenden Generationen zu erkämpfen und so die Zukunft ihres Landes zu verändern. Jeder von uns sollte daher dieses Recht schätzen und es nicht wegwerfen und mit Füßen treten. Zeigt etwas moralischen Anstand und Respekt.
5. Schaff ein Gegengewicht
Die Wählergruppe über 60 ist in Deutschland die größte und somit stärkste. Sie bestimmt also maßgeblich den Ausgang der Wahlen. Und auch das Durchschnittsalter der Politikerinnen ist ähnlich hoch. Politik wird hier also von (überwiegend männlichen weißen) Alten für Alte gemacht. Zwar ist die Auswahl an jungen Politikerinnen bei allen Parteien zugegebenermaßen überschaubar, aber ein paar gibt es doch. Du kannst also mit deiner Stimme dazu beitragen, mehr Vielfalt in den Bundestag zu bringen, damit deine Interessen dort auch Gehör finden.
So, und jetzt will ich nichts mehr hören. Geht verdammt nochmal wählen.
Anm. d. Red.: Dieser Artikel richtet sich an Leser*innen, die sich aus dem aktuellen politischen Diskurs weitestgehend zurück gezogen haben. Wir wollen versuchen, ihnen den Sinn des Wahlrechts wieder näher zu bringen und aufzeigen, warum politische Teilhabe so wichtig ist. Tut man dies nicht, werden bestimmte Bevölkerungsgruppen sich immer weiter aus dem Diskurs verabschieden, immer weniger gehen wählen, was zur Folge hat, dass die Interessen und Bedürfnisse dieser Gruppen auch noch weniger im Parlament gehört werden.