Jahresrückblick: Rechte Vorfälle in Bremen und Umzu 2020
Zum Geleit
- In 2020 wurden in Bremen und Umzu insgesamt 111 rechte Vorfälle von Stadtkontext in die Chronik aufgenommen. Darunter waren 71 voneinander unabhängige Fälle; 40 Vorfälle waren in insgesamt 5 größere Tatzusammenhänge eingebettet.
- Dies ergibt ca. alle 3,3 Tage einen rechtsmotivierten Vorfall in Bremen und Umzu.
- Es wurden insgesamt 411 Artikel, Tweets, etc. verlinkt; hinzu kommen zahlreiche direkte Meldungen und Fotos.
Anmerkung: Bei den größeren Tatzusammenhängen ist eine Abgrenzung einzelner Fälle teilweise nicht möglich oder es liegen noch keine offiziellen Zahlen vor – es wurde daher immer nur das rechnerische Minimum gewählt, die eigentlich Zahlen liegen weitaus höher (z.B. bei Querdenken).
Die Zahlen sagen nichts über die Schwere der Taten im juristischen Sinne oder die Folgen für die Betroffenen aus. Egal ob Beleidigung und Hitlergruß am Bahnhof, Hakenkreuz oder SS-Runen an Schulen und Geschäften, Briefanschläge, Sachbeschädigungen, tätlicher Angriff oder Brandruine: Es bleibt Terror.
2020
Anfang letzten Jahres – noch bevor die Pandemie die Welt teilweise stilllegte – kam es zu einem geballten Auftreten von rechtsmotivierten Aktivitäten in Bremen. Um einen Überblick zu behalten und dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, begannen wir mit der Dokumentation dieser Fälle in Bremen und Umzu. Leider zahlte sich die Mühe aus.
2020 brachte uns Anschläge gegen Parteibüros; eine ganze Serie von Briefanschlägen gegen Parteien und Initiativen; zahlreiche Brandanschläge u.a. gegen ein alternatives Jugendzentrum im Viertel sowie im Umland gegen mehrere Restaurants von Betreibenden mit vermeintlich migrantischem Hintergrund; rassistische Attacken mit Tritten gegen den Kopf einer jungen Frau im Nachtbus. Sogenannte Propagandadelikte machten erwartungsgemäß den Großteil der Vorfälle aus, wie z.B. eine Reihe von Farbschmiereien im Viertel, die an die Markierung von jüdischen Geschäften durch die Nationalsozialisten erinnerten oder die unzähligen Hakenkreuze und Hitlergrüße im öffentlichen Raum.
Über das gesamte letzte Jahr dokumentierte Stadtkontext fortlaufend die öffentlich Berichterstattung und sammelte Meldungen über rechten Terror in Bremen und Umzu, welche ihr weiterhin unter folgendem Link abrufen könnt: Rechter Terror in Bremen.
Wir verweisen außerdem auf das Projekt Keine Randnotiz, welche ebenfalls rechte Vorfälle in Bremen dokumentieren und über die wir bereits berichtet haben.
Vielen herzlichen Dank an alle, die so tatkräftig geholfen haben, indem sie Vorfälle gemeldet, Artikel zugeschickt, Fotos geschossen oder selbst weitere Recherchen angestellt haben. Bitte hört nicht damit auf.
Auch 2021 wird es eine Chronik auf Stadtkontext geben.
Größere Tatzusammenhänge
Briefanschläge
In Bremen wurden über das Jahr verteilt 25 Briefe mit nicht identifiziertem Pulver und Drohschreiben an unterschiedliche Parteien und Initiativen in Bremen zugestellt. Hinzu kommen ungezählte ähnliche Briefe in Niedersachsen, die vermutlich von den gleichen Personen stammen. Es wurde auch aufgrund von Indizien eine Verbindung zu den Anschlägen auf Spielplätze in Bremen und Umzu hergestellt, bei denen eine oder mehrere Personen Messer und scharfe Gegenstände an Spielgeräten anbrachte/n, damit sich Kinder daran verletzen. Nach einem größeren Fahndungsaufruf und der Offenlegung einiger Details, wurde diese Aktivitäten scheinbar eingestellt. Tatverdächtige wurden zum jetzigen Zeitpunkt nicht ermittelt.
Drohmails
Es sind 9 Drohmails bekannt, die an eine Moschee, eine Geflüchteteninitiative, Politiker*innen oder Parteien verschickt wurden und nazistische Inhalte und Gewaltfantasien beinhalteten.
Brandserie in Bremen Umzu
In Niedersachsen kam es zu einer Serie von Brandstiftungen gegenüber Restaurants von vermeintlich migrantischen Inhabern. Bei allen fanden sich frisch angebrachte Hinweise auf einen rechten Hintergrund am Tatort. Wenigstens bei einem Vorfall konnten zwei Personen per Videoüberwachung dabei gefilmt werden. Ob es sich in allen Fällen um die gleichen Personen handelt oder es Trittbrettfahrer*innen gibt, ist nicht geklärt. Die Polizei hat eine gemeinschaftliche Ermittlungsgruppe gebildet. Tatverdächtige wurden bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht ermittelt.
Feuerwehrskandal in Bremen
Dieser Tatkomplex ist schwierig einzuordnen, da die Vorfälle bereits nachweisbar seit 2015 laufen (in Wahrheit vermutlich noch länger). Im November 2020 wandten sich Mitarbeitende der Feuerwehr Bremen an die Behörden wegen massiver Mobbingvorfälle, rechtsextremen Einstellungen, R*pe-Fantasien, sexueller Belästigung und vielem mehr. Die Ermittlungen laufen, sind aber aufgrund der Datenmenge noch lange nicht abgeschlossen.
Querdenken
Hervorgehoben werden muss an dieser Stelle auch die Querdenken-Bewegung, bei denen schnell offensichtlich wurde, dass eine starke Überschneidungen mit Reichsbürger*innen, Nazis,Esoteriker*innen und Impfgegner*innen besteht; deren propagierter Verschwörungsglauben ideologisch von Antisemitismus und der Verharmlosung von Gräueltaten der NS-Herrschaft durchzogen ist. Eine genaue Anzahl von Vorfällen ist hier schlichtweg nicht möglich: Von Kundgebungen und Demonstrationen über rechtsextreme Chats bis zu der Idee Kinder vor der Schule abzufangen war alles dabei. Die Polizei sitzt vermutlich noch das nächste halbe Jahr an der Bearbeitung der aufgenommenen Vorfälle nach der Eskalation der verbotenen Groß-Demonstration im Dezember.
Unerwähntes
Die Kategorisierung einiger Vorfälle unter dem Begriff „Rechter Terror“ ist leider schwierig und die Grenzen zu strukturellem oder institutionellem Rassismus, Sexismus, etc. verschwimmen. Es seien an dieser Stelle daher noch einige Vorfälle aus diesem Jahr erwähnt, die nicht in der Chronik 2020 auftauchen:
- Die Situation der Bewohner*innen der ZASt Lindenstraße: Aufgrund der engen Gegebenheiten der Unterkunft kam es dort zum ersten großen Ausbruch von Corona-Erkrankungen in Bremen und es brauchte starken Protest, bevor eine Lösung von der grünen Sozialsenatorin umgesetzt wurde. Eine Übersicht über den Verlauf kann auf der Website von togetherwearebremen eingesehen werden.
- Der Mord an Mohamed Idrissi, welcher am 18.06.2020 in Gröpelingen von Polizisten erschossen wurde und dessen Tathergang nur durch eine Videoaufnahme ans Licht kam. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die beteiligten Polizist*innen ist inzwischen eingestellt worden. Ein Pressespiegel ist auf der Seite der Initiative JusticeForMohamed zu finden.
- Der Prozess um den evangelikalen Olaf Latzel, Pastor der fundamentalistischen St. Martini-Gemeinde, welcher in sogenannten „Ehe-Seminaren“ gegen queere Personen hetzte. Trotz weitreichender Aufrufe u.a. auch anderer Kirchen und Gemeinden, brauchte die Bremische Evangelische Kirche einige Zeit, um Konsequenzen zu ziehen – dies war auch längst nicht der erste Vorfall des Demagogen. Latzel wurde inzwischen wegen Volksverhetzung verurteilt, ist jedoch in Berufung gegangen. Die BEK hat ein Predigverbot für die Dauer des Verfahrens ausgesprochen und St. Martini denkt inzwischen darüber nach, aus der BEK auszutreten. Eine Kurzübersicht gibt es z.B. bei butenunbinnen.
2 Antworten
[…] Jahresrückblick: Rechte Vorfälle in Bremen und Umzu 2020 […]
[…] 2020 wurden in Bremen und Umzu insgesamt 111 rechte Vorfälle von Stadtkontext in die Chronik aufgenommen. Darunter waren 71 voneinander unabhängige Fälle; 40 Vorfälle waren […]