Kritischer Gegenwind: Mahnwache gegen das Vergessen vor Kühne + Nagel
Am vergangenen Sonntag, dem 8. Mai, wurde von den Bremer Landesverbänden der Grünen Jugend (GJ) und der Jungsozialist*innen in der SPD (Jusos) eine Mahnwache vor der hiesigen Niederlassung von Kühne + Nagel abgehalten. Anlass war der Tag der Befreiung, an dem vor 71 Jahren die Allierten Streitkräfte das Nationalsozialistische Regime bezwangen. Unter diesem Regime nahm das Speditionsunternehmen eine entscheidende Rolle bei der Ausplünderung von Jüd*innen in besetzten Ländern ein: Im Rahmen der „M-Aktion“ wurden Einrichtungen von ca. 65.000 Wohnungen in den Benelux-Staaten und Frankreich in das deutsche Reich abtransportiert.
Die beiden Partei-Jugendverbände wollten auf die Tatsache aufmerksam machen, dass Kühne + Nagel noch immer nicht angemessen mit seiner Vergangenheit umgehe und nur auf Druck der Öffentlichkeit (vor allem auf Bestreben der taz) einräumte, dass das Unternehmen „zum Teil im Auftrag des Nazi-Regimes“ tätig gewesen sei. Stärkerer Wind erschwerte dabei jedoch einen Teil der Aktion, bei dem der Bereich vor dem Gebäudeeingang symbolisch in „Adolf-Maass-Platz“ umbennennt werden sollte. Maass war größter Anteilseigner der Firma, bevor er 1933 wegen seines jüdischen Glaubens ohne Entschädigung aus dem Unternehmen gedrängt wurde. Sein Schicksal ist durch Kühne + Nagel bis heute nicht aufgearbeitet worden und eine öffentliche Auseinandersetzung oder ein Gedenken werden durch das Unternehmen nicht praktiziert. Wie schon zuvor bei der Crowdfunding-Aktion der taz für ein Mahnmal für die Arisierungsgewinne von Kühne + Nagel, sind es diesmal GJ und Jusos, die mit ihrer Aktion auf das Schicksal von Adolf Maass aufmerksam machen müssen.
Bis auf die halbherzige Pressemittelung aus dem März 2015 ist Kühne + Nagel offenbar nicht bereit, sich den Fragen einer kritischen Öffentlichkeit zu stellen. Als Antwort auf eine Anfrage von Stadtkontext, die unter anderem in Erfahrung bringen wollte, wie das Unternehmen das Schicksal von Adolf Maass würdigt oder zu würdigen gedenkt; wieso externen Unternehmenshistoriker*innen der Zugang zu den Archiven versagt wird und in welcher Form Bereitschaft besteht, sich mit Kritiker*innen auseinandersetzen, erhielten wir lediglich die bereits erwähnte alte Erklärung.
Auf seiner englischen Webseite führt das Unternehmen das Ziel unternehmerischer sozialer Verantwortlichkeit auf („Corporate Social Responsibility“). Doch angesichts der Lustlosigkeit, mit der Kühne + Nagel sich zur Aufklärung seines Anteils an Plünderungen, Enrechtung und Mord im NS-Regime zwingen lassen muss, kommen am Prinzip der Übernahme von Verantwortung ernste Zweifel auf. Die Mahnwache von GJ und Jusos war ein kleiner Beitrag zur Aufrechthaltung der Kritik an der Praxis von Kühne + Nagel. Für eine nachhaltige Veränderung der Aufarbeitungspolitik des Unternehmens braucht es jedoch wohl noch mehr Gegenwind.
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