Subkultur und Stadtpolitik, Beziehungsstatus: Es ist kompliziert
Gastbeitrag von Malaika M.
Bremer Subkultur tanzt fürs Zucker
Subkultur und Stadtpolitik, Beziehungsstatus: Es ist kompliziert
Der “Zucker Club” und das “Irgendwo Kollektiv” demonstrierten am 9. Juni mit rund 2000 Menschen für mehr subkulturelle Freiräume in Bremen.
Die Bremer Subkulturszene will nicht mehr nur irgendwo anderswo, außerhalb sein.
„Frei-Träume statt Investoren-Räume“
Am Samstagnachmittag gingen künstlerische AktivistInnen für die kulturelle Vielfalt auf die Straße. Weiter sprach sich die Demo gegen eine neoliberale Stadtpolitik, Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie und für Feminismus aus.
Angeführt vom Netzwerk Kulturschaffender des Zucker Clubs und Irgendwo Kollektiv wurde ein Demo-Rave durch die Innenstadt veranstaltet. Den musikalischen Auftakt gab der Zucker Club mit seinen bunten Soundwagen und kreativen und politischen Plakaten auf dem Bahnhofsplatz.
Von hier aus zogen hunderte TeilnehmerInnen in den heißen Nachmittagsstunden gut gestimmt und tanzend durch die Bremer Straßen. Die Route führte über den Dobben ins Viertel, bis hin zum Marktplatz, wo die Veranstaltung gegen 20 Uhr mit Elektromusik und einer Kundgebung friedlich ausklang.
Es gab keinerlei besondere Zwischenfälle. Allerdings kam es am frühen Abend durch die Menschenmenge zu Verspätungen des Stadtverkehrs.
Das Zuckernetzwerk ist unzufrieden über seine langjährige Standortsuche für ein Kulturzentrum und will auf die breite und kreative subkulturelle Szene aufmerksam machen.
„Zucker weils schmeckt“
Das kulturelle Viertel befindet sich selbst seit Jahren im Spannungsfeld von Szeneviertel und Gentrifizierung, und sieht die kulturelle Vielfalt u.A. von nachbarschaftlichen Interessen, Lärmschutzklagen, Mietpreiserhöhungen und Privatisierung bedroht.
Das Zucker-Netzwerk solidarisiert sich mit vielen anderen subkulturellen Kollektiven, wie dem Irgendwo, Erle31, Conartism, 4 Dimension uvm. Es wird auch von Kulturinitiativen aus anderen Städten unterstützt.
Mit dem Zuckerwerk zusammen ging auch das Aktionsbündnis „Shut down Camp Gottfried-Daimler-Straße auf die Straße um sich für menschenwürdige Orte für junge Geflüchtete in Bremen einzusetzen.
„Ein Club für Bremen“
Legendär frustrierend ist die nun schon 6 Jahre andauernde Suche des Zucker Clubs nach einer festen Bleibe.
Bis 2011 als Musikclub in der Bahnhofsvorstadt beheimatet, verlor der Zucker Club seine Räumlichkeit und startete sein Bremer Nomadenleben.nMal zog das Zucker als Zwischenlösung einen Sommer in den Lankenauer Höft oder brachte sich in diverse andere Freiluftveranstaltungen der letzten Jahre ein.
Über 60 Ímmobilien hat der Verein, nach eigenen Angaben, seit dem besichtigt und geprüft, aber nichts Langfristiges ergab sich.
Warum das alles so lange dauert?
Verantwortlich mach das Netzwerk auch eine neoliberale Stadtpolitik und eine unentschiedene Bremer Kulturpolitik. Trotz rot-grüner Unterstützung im Senat, fühlt sich das Bündnis vom Kulturressort allein gelassen und scheitert immer wieder an den Interessen des Wirtschafts – und Bauressorts. Zudem werden politische Beschlüsse des Senats zur zeitnahen Raumvergabe an das Zucker verschleppt.
Während der langjährigen Standortsuche fühlt sich das Zucker immer wieder blockiert von privaten und neoliberalen Interessensvertretungen. Hinzu kommt auch Skepsis vonseiten der konservativen Politik.
So enthält sich die CDU in der Bürgschaft zu Anträgen des Zucker-Vereins.
„Bunker oder ich geh nach Leipzig“
Ein Hochbunker im Stadtteil Walle würde dem Zucker ausreichend Platz für Musikveranstaltung und Ateliers bieten. Die vorläufige Finanzierung steht durch ein erfolgreiches Crowdfounding, einen Kredit und breiten Support. Das Kollektiv steckt mitten in der Bauplanung, Finanzplanung, Gesprächen mit Ämtern um ihr Vorhaben zu realisieren.
„We dont need no parkingplätze“
Doch die beim Hochbunker ansässige Straßenverkehrs-Genossenschaft Bremen eG (SVG) droht mit einer Klage, sobald das Zucker einen Bauantrag stellen sollte.
Zurzeit blockieren Uneinigkeiten über die Stellplatzverordnung am Bunker das Vorankommen des Zuckers.
Das Zucker hat, nach eigenen Angaben, Lösungskonzepte angeboten und mit einem am Bunker ansässigen Musikverein ein Parkplatzsharing-Konzept entwickelt. Zudem verweist es darauf, dass die überwiegende Zahl der Besucher mit Rad und Bahn unterwegs sind. Trotzdem konnte noch keine Einigung über die Parkplatzfrage erzielt werden.
Die SVG fühlt sich von der Stadt übergangen und bekundet ein eigenes Kaufinteresse am Hochbunker, das Zuckerprojekt bewertet sie als „unausgegoren“.
„Bitte ein Wutbürger zum mitnehmen. Gerne scharf“
Weiterer Gegenwind kommt von der AfD im Waller Beirat. Im Hochbunker in der Hans-Böckler-Straße plant das Zuckerwerk auch die Aufarbeitung und eine Dauerausstellung zur NS-Vergangenheit des Bunkers.
Die Bremer Politik scheint zu verkennen, dass ein neues Kulturzentrum im Hochbunker mit seinen künstlerischen und politischen Impulsen den rassistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen etwas entgegen setzt.
Auch dafür müsste man nicht nach Leipzig gehen!
„Mehr Respekt für Kultur“
“Wir wollen mit euch zusammenarbeiten”, hieß es im Vorfeld in dem offiziellen Demoaufruf auf der Zucker Facebookseite in Richtung Stadtpolitik.
“Wir fordern klare Bekenntnisse zu unserer Kultur – denn wir sind Kultur und keine Wirtschaftsbetriebe ”
Das Zucker definiert sich als unkommerzielles Kulturkollektiv. Es will als künstlerisch und kulturell anerkannt werden und nicht ständig auf seine Ökonomie und Verwertbarkeit reduziert werden.
Sie wollen „nicht weiter zuschauen bei der Verdrängung, Räumung und Verhinderung von subkulturellen Orten und unkommerziellen Freiräumen“
Und schreiben in Ihrem Demoaufruf:
„Wir wollen unsere Kultur selbst gestalten – abseits von Verwertungslogik und Leistungsdenken. Eine Stadt ohne Subkultur, ohne unkommerzielle Freiräume ist nicht lebenswert!“
Bei Buten un Binnen äußerte sich dich Staatsrätin für Kultur Carmen Emigholz von der SPD am Samstag mit zaghaften Verständnis. Sie spricht vom „beteiligunsorientierten Kulturverständnis der jungen Leute“. Und findet: „wir müssen uns daran gewöhnen als Behörde, dass eine junge Generation auch Ansprüche ans System stellt“Sie schlägt ein Komitee für subkulturelle Belange vor.
Wie viel man sich davon versprechen kann, scheint unklar. Geredet worden sei in den letzten Jahren genug, genug gewartet, so das Zucker-Kollektiv laut Buten un Binnen.
Der Sprecher der Baubehörde betonte, ebenfalls bei Buten un Binnen, das Potenzial und den Gewinn für die Stadtentwicklung durch junge Kulturschaffende.
So vermittelnd und wichtig diese Stellungnahmen auch sind, die Stadt Bremen sollte sich klar zu Ihrer Subkultur bekennen und mit dieser zusammen arbeiten.
„Wir haben alles versucht, wenn ihr uns wirklich wollt, dann könnt ihr uns möglich machen.“ äußert das Netzwerk vor der Demo.
„Wir müssen irgendwo bleiben“
Wo ist die offizielle Wertschätzung für so viel Engagement?
Wo ist das aufrichtige Interesse an aktiver und gemeinschaftlicher Mitgestaltung in Bremen und überall?
Die Situation der Subkultur in Bremen ist auch ein Bild dafür, wie schwer sich die allgemeine Politik mit mehr bürgerlicher Beteiligung tut.
Mit mehr Mitgestaltung statt Verwaltung.
Eine hohe Wahlbeteiligung bitte, aber wenn Menschen sich aktiv künstlerisch, gesellschaftlich und politische beteiligen wollen, kommt ein seltsames Unbehagen auf. Irgendwie ist Mündigkeit und kulturelle Vielfalt, jenseits vom Masseneinheitsbrei, ein Störenfried im Sicherheitsbedürfnis der Bedenkenden.
Beim Weser Kurier online kommentiert jemand:
„Seien wir doch mal ehrlich! Niemand möchte sie gerne in der Nachbarschaft haben, die so genannte Sub-Kultur. Überall, wo die sich ankündigen, sind die Nachbarn alarmiert und drohen mit Klage. Dem Vernehmen nach sind diese Leute laut, machen Dreck und fordern, ohne selber wesentliches zu leisten. Spaß haben wollen, auf Kosten anderer Menschen kommt nicht bei jedem gut an [..]“
Kulturschaffenden sind im gutbürgerlichen Bewusstsein (auch der Bildungsbürger im Viertel) noch immer chaotisch, weltfremd, radikal, unwirtschaftlich und hedonistisch.
Die städtische Schmutz -und Lärmbelastung durch wirtschaftliche Interessen, Verkehrsaufkommen, lange Öffnungszeiten, Bodenversiegelungen, Stadtraumverdichtung oder Fußballveranstaltungen wird ausgeblendet. Ein anderer Leser befürchtet, dass das Zucker die Steuergelder der arbeitenden Bevölkerung fordert, die sie um ihren Schlaf bringt.
Gerade mit den Anwohnern sollte das Zucker im Dialog bleiben und sein Bemühen um Lärmschutzgutachten deutlich machen.
Muss man wirklich Angst davor haben, dass sich junge Menschen für Kunst, Diskurse und ihre Stadt einsetzten möchten?
Die Stadt Bremen sollte eine Antwort auf die Frage finden, ob sie das Potenzial der jungen Subkultur für Stadtentwicklung, Kulturarbeit und Kunst fördern will um neue Perspektiven für Bremen zu entwickeln.
Der Abwanderung ins Umland und durch Armut bedrohte Stadtstaat kann nur profitieren von dem eigenständigen Engagement junger Kulturschaffender. So fordert die Jugendinfo Bremen im Netz Bremen zum Support ihrer Subkultur auf.
Die Freiräume und Arbeits- und Lebensbedingungen für junge Kulturschaffende und Künstler im öffentlichen Raum werden durch eine wirtschaftsorientierte Stadtplanung immer wieder beschnitten. Allgemeiner Raum wird privatisiert oder zu Investoren-Arealen.
Es muss sich niemand wundern, dass von der Subkultur, manchmal laut, Freiräume eingefordert werden und das Recht auf Mitgestaltung des Stadtraums. Die Politik ist ganz allgemein auf freiwilliges und eigenverantwortliches Engagement angewiesen. Der große, ehrenamtliche Einsatz bei der Aufnahme der Geflüchteten in den letzten Jahren, hat das wieder deutlich gemacht.
Also was soll diese Angst vor Partizipation jenseits vom Gang zur Urne und über konservative Wertmaßstäbe hinaus?
Ist es nicht wunderbar und unterstützenswert, dass es hier junge Menschen gibt, die Lust haben aktiv zu werden?
Die sich für Kunst Stadt und Umwelt engagieren.
Und die musikalische, literarische, künstlerische und partizipatorische Veranstaltungen machen.
Die sich für Minderheiten einsetzt und neue gesellschaftliche Perspektiven entwirft.
„#bremen du kannst so großartig sein!“
Nach der Demo bedankt sich das Zucker-Kollektiv auf Facebook für die breite Unterstützung.
„…danke für den besten Tag gestern! Wir haben mehr als deutlich gemacht, was wir wollen und wir haben gezeigt, dass wir viele sind!“
Zier dich doch nicht so,
du wirst ja auch nicht jünger;
Komm schon, trau dich, sag ja.
Bremen du kannst so großartig, andersartig sein,
und ich weiß,
du hast Angst, vor so Vielem,
aber lass dich doch ein, komm schon,
versuch’s mal.
Die Kunst liebt dich und will mit dir tanzen.
Wir können soviel gemeinsam erleben
Vertrau dir selbst,
denn wie alle Verliebte
will ich nicht irgendwo, anderswo, außerhalb von dir sein.
Quellen:
zucker-club.de
https://www.facebook.com/Zucker-Club-151849535090/
https://www.facebook.com/KaiWargalla/
https://www.nordbuzz.de/ausgehen/bremen-zero-schmeckt-nicht-demo-rave-zucker-club-irgendwo-fordert-freiraeume-subkultur-9941810.html
https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-demorave-fuer-subkulturelle-partys-in-bremen-_arid,1737511.html
https://www.nordbuzz.de/ausgehen/zucker-club-irgendwo-kollektiv-genug-gewartet-breite-unterstuetzung-demo-rave-aufruf-bremen-9916596.html
https://weserreport.de/2018/06/panorama/rave-fuer-mehr-subkultur-in-bremen/
https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/demo-rave-subkultur-bremen100.html
Die Überschriften sind Sprüche die auf Plakaten der Demo standen, danke für eure Kreativität.