Laye Condé – Ein bundesrepublikanischer Justizskandal
Der Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen hatte vor wenigen Wochen eine Infoveranstaltung zum laufenden Brechmittel-Prozess das aktuelle am Landgericht Bremen verhandelt wird angeboten. Wir haben den Stand der Ereignisse über die letzten Jahre der Prozessführung gegen den verantwortlichen Arzt, der wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) vorm Landgericht Bremen angeklagt wurde, durch einen Strafrechtler und seiner Kollegin noch einmal nachgezeichnet. Aufgrund der nun aktuell veränderten Situation, in der das Landgericht Bremen droht den Fall kurzerhand einzustellen (§ 153 a StPO), verweist der AKJ Bremen noch einmal in dieser Stellungnahme auf den Fall Laye Condé.
Stellungnahme
Bekannt ist durch die Urteile 2010 sowie 2012 des Bundesgerichtshofs (BGH), das Laye Condé durch die brutale Vergabe von Brechmittel, fixiert in Polizeigewahrsam, unter ständigen würgeartigen Festhalten seines Halses durch zwei Polizeibeamte sowie durch die rassistische Annahme eines hinzugezogenen Amtsarztes [“Afrikaner simulieren oft ihre Ohnmacht; stellen sich um die Beweissicherung zu vereiteln tot”], solange Brechmittel und Wasser in den Magen einflößte, bis Laye Condé daran erstickte. Der Arzt brachte auch nach dem L. Condé ins Koma gefallen war keine Änderung seines Verhaltens zustande, sondern wies die medizinischen Begleitperson, die L. Condé ins Krankenhaus brachten an, doch die Sicherstellung der restlichen Kokainkügelchen die sich in seinem Magendarmtrakt befinden müssten, ihm zur Beweissicherung zu übergeben. An der Verwerflichkeit seines Handels fehlt dem Arzt bis heute jede Einsicht.
Die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn blieb durch die brachiale Prozedur, die einer Folter durch Ertrinken (Lungenflügel waren komplett mit Wasser angefüllt) gleichkommt, die zu einer solang anhaltenden Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr, bzw. Sauerstoffsättigung des Blutes geführt hat, bis L. Condé ins Koma fiel und er schließlich, ohne je das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, an den Folgen verstarb. Der BGH 2012 in seinem Urteil zur Aufhebung des Freispruchs gegen den angeklagten Arzt: “Der Freispruch des Angeklagten hat keinen Bestand. [..] Die Beweiswürdigung und die Subsumtion des Landgerichts offenbaren durchgreifende Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten.” und “Entgegen der Auffassung der Schwurgerichtskammer ergeben sich durch die getroffenen Rechtsfehler ohne weiteres die Voraussetzung einer Körperverletzung mit Todesfolge.” –
Den Tod von Laye Condé zu verantworten hat nach Auffassung des BGH ein jedes Maß verlierender Amtsarzt, aber auch mitunter die zwei diensthabenden Polizeibeamten, die sich an einem widerrechtlichen, menschenverachtenden Eingriff beteiligt haben. Die ohne stichhaltige Begründung seitens der Staatsanwaltschaft nie für ihre Teilnahme an dieser Folter angeklagt wurden. Auch in einer zweiten Verlesung des Landgerichts zu der Einstellung der Ermittlung gegen die Beamten, wurde keine erkennbare Begründung deutlich, die es rechtfertigte, die Beamten nicht der Strafverfolgung auszusetzen. Diese Praxis der Staatsanwaltschaft ist bundesweit üblich, da die Staatsanwaltschaft auf die Gutstellung der Polizei mit der Justiz angewiesen ist. Ein durchgreifender Systemfehler im Rechtsstaat, der Polizeibeamt_innen einen Freifahrtschein zum Rechtsmissbrauch besorgt.
Nicht frei von Verantwortung sind wohl auch die zynischen Parteivertreter_innen, die trotz gesetzlich normierten Folterverbots, Brechmittel als probates Mittel gegen Drogenkuriere verteidigten und die Verantwortung leichtfertig an die Opfer des Brechmitteleinsatzes abgeben; sie sogar noch nach ihren Tod durch Relativierungen und polemischen Rechtfertigungsversuchen in den lokalen Medien verhöhnen.
Wir möchten auch auf die Parallelität der gewaltsamen Tötung Laye Condés zu einem weiteren Fall dieser Art hinweisen. Dieser ereignete sich am gleichen Tag, als im Gewahrsam der Polizei Bremen, in einer Polizeidienststelle in einer Zelle in Dessau, ein junger Mann, ebenfalls aus Sierra Leone geflohen, widerrechtlich festgehalten wurde und dort qualvoll, auf bisher ungeklärte Weise, verbrannte. Viele weitere solcher Fälle können belegt und aufgezählt werden, die ein klares Bild entstehen lassen:
In Deutschland kommen Menschen mit dunkler Hautfarbe in Polizeigewahrsam zu Tode, weil sie allein aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe und nicht wie gerne von Behördensprecher_innen und manch Abgeordnet_innen behauptet, allein aufgrund der unterstellten Straftat festgehalten werden. Sie werden in Gewahrsam gefoltert, ihre Menschenrechte ignoriert und im schlimmsten Fall durch rassistische Beamte mindestens gleichgültig oder wie es im Fall Oury Jalloh bis zum heutigen Tag nicht ausgeräumt werden konnte, sogar vorsätzlich zu Tode gebracht. In Jahrelangen Prozessen müssen dann die Familien kämpfen, dass das Schicksal ihrer getöteten Familienmitglieder Anerkennung findet.
Das Landgericht Bremen, das vom BGH bisher zwei Mal (!) dazu aufgerufen wurde, seine Arbeit sachlich richtig zu machen und u.a. die rassistische Annahme “Afrikaner täuschen ihre Ohnmacht nur vor”, nicht zur gerichtlichen Grundlage für einen Freispruch zu nutzen. BGH: “klare Rechtswidrigkeit der Eingriffsfortsetzung.”. Zugunsten des Angeklagten einen Irrtum in Erwägung zu ziehen, um einen Freispruch zu ermöglichen, ist eine abwegige Vorgehensweise, die das Gericht ohne sich dabei an der Sachlage orientiert zu haben, selbst zum Vorteil des Angeklagten erfunden hat. Viel Überzeugungsarbeit der Verteidigung brauchte es hierzu erst gar nicht. Damit macht das Gericht, das unabhängig von den verschiedenen Auffassungen der Parteien sich ein Bild machen muss. sich zum Verteidiger des Angeklagten. Der BGH hat in seinen Feststellungen die Möglichkeit eines Irrtums verneint. Das Landgericht weigert sich strikt dem BGH trotz gesetzlicher Bindungswirkung an sein Urteil nachzukommen sowie die “geboten zwingenden Folgerungen” nicht zu ignorieren.
Die Bremer Justiz will offenbar die Fakten schlichtweg nicht wahrhaben, weil nach ihrer Auffassung nicht sein kann, was nicht sein darf. Struktureller Rassismus als Kernursache für den Tod eines am Rand der Gesellschaft gedrängten Menschen. Zu Tode gekommen im Gewahrsam der Polizei und ein rassistischer Arzt ertränkt einen wehrlosen Menschen weil Menschen mit dunkler Haut sich gerne mal tot stellen. Dies soll im juristisch politisch korrektem Ton nicht im Bremer Land, nicht in einem Urteil des Landgerichts auftauchen. Dann lieber einen ungerechtfertigten Freispruch und jahrelange Auseinandersetzungen (Aufhebung der Urteile) mit dem BGH riskieren und wenn es nach neun Jahren zu unbequem im Lichte der Öffentlichkeit geworden ist, ohne ausreichende Grundlage die Einstellung des Verfahrens herbeireden.
Das Bremer Landgericht möchte den Feststellungen des BGH einfach mit Hilfe eines juristischen Tricks aus dem Weg gehen: Es senkt den Tatvorwurf von einem Verbrechen zu einem Delikt ab, verweist daraufhin auf § 153, bzw. 153 a StPO “Einstellung des Verfahrens aufgrund mangelnden öffentlichen Interesses” und “geringer schwere der Schuld des Angeklagten” und kann so, ohne die lästige Wahrheit weiter erforschen zu müssen, das gesamte Verfahren endgültig einstellen. Eine Einstellung des Verfahrens, ohne das es für die Nebenklage, der Familie von Laye Condé, in Zukunft noch ein weiteres Rechtsmittel geben wird.
Wie allerdings bei der Brisanz des Falls, der immer wiederkehrenden Berichterstattung in verschiedenen Medien, Demonstrationen, einer zweimaligen intensiven bundesgerichtlichen Beschäftigung mit dem Fall und der unabhängigen Begleitung des Falls durch verschiedene Organisationen, Institutionen, Jurist_innen und der Liga für Menschenrechte, das Landgericht und Staatsanwaltschaft zu der Auffassung gelangen konnte, es bestünde kein öffentliches Interesse, bleibt wohl ein persönliches Geheimnis der aktuell befassten Richter_innen, die sich kritischen Jurist_innen nicht erschließt.
Das ohne dass es dazu bisher Anlass gegeben hat, eine Einstellung des Verfahrens durch das Gericht angestrebt wird, macht diesen Fall deutlich politisch und nicht zur Alleinsache der Justiz. Die Absurdität, das aufgrund der Bremer Justizstruktur der Fall nicht an ein anderes Gericht abgegeben werden kann, sondern stets der gleiche Dunstkreis an Jurist_innen in der Justiz den Fall hin- und herziehen und nach neun Jahren längst nicht mehr Frei sind von der Einmischung vom Justizsenat oder anderer machtpolitischer Einflussnahme, potenziert ohne weiteres den Skandal. Der Versuch des Gerichts auf die Unabhängigkeit der Justiz zu verweisen und auf das Gebot, nicht durch Medien und der öffentlichen Meinung beeinflusst werden zu dürfen und sich auch nicht beeinflussen zu lassen, wirkt allein schon deshalb unglaubwürdig, da das Gezänke um diesen Fall seit Jahren nicht nur im Gerichtssaal stattfand, sondern auf den verschiedensten Ebenen Bremer Behörden, die wiederum offenkundig Einfluss auf das Gericht genommen haben. Unter dem Credo der Befangenheit müsste man mit Vernunft zu der Auffassung gelangen, dass die gesamte Bremer Justiz nach neun Jahren Dauerbeschäftigung befangen ist und den Fall in ein anderes Bundesland abgeben müsste. Nur hat dieser Pervertierung des Rechts, wie es hier nunmehr durch die richterliche Frage nach der Möglichkeit einer Einstellung des Verfahrens, inmitten der höchsten Fragwürdigkeit des Umgangs mit diesen Fall, die ganze Maschinerie der Bremer Justiz als überfordert und inkompetent offenbart. In dem Maße, das bislang kein Gesetzgeber sich so einen Versuch des Missbrauchs des Rechts durch eine staatliche Institution hätte je ausmalen können.
Das schlichte Ergebnis aus all dem ist oder soll sein: In Zukunft wird in den Behörden von Laye Condé kein Wort mehr zu hören sein. Für die Beteiligten, sei es die Polizei, der Angeklagte sowie der gesamten Bremer Justiz, sollte dies ein beschämender Ausgang sein, der es gar nicht ausreichen lässt, eine Gedenktafel für Laye Condé in der betreffenden Polizeidienststelle oder am Ort der Gewahrsamnahme zu schaffen, sondern inmitten des Landgerichts zur täglichen Ohrfeige der Justiz, sich so tief in der Widerlichkeit politischer Interessen auf Kosten des Opfers und der Familie verstrickt zu haben.
Ohne Anerkennung des Gerichts, mit der schriftlich dokumentierten Feststellung, dass es sich hierbei um keinen lediglich “unglücklichen” Ausgang einer behördlichen Maßnahme handelt, sondern dass der Tod Laye Condés seinen Ursprung in der menschenverachtenden Anwendung eines durch das EGMR gerügten Folterverfahrens hat, das man in den Behörden dennoch anwendete; vielleicht weil niemand im Lande so genau hinsieht, auf welche Weise Repression gegen Flüchtlinge/Migrant_innen ausgeführt wird. Ohne Anerkennung, dass diese Folter rücksichtslos und mit Unterstützung der Polizei Anwendung durch den Angeklagten gefunden hat, der mit weiteren Beteiligten gemeinschaftlich, die rassistisch motivierte Annahme vertrat, Laye Condé würde aufgrund seiner afrikanischen Herkunft und seiner dunklen Hautfarbe, seinen lebensbedrohlichen Zustand nur simulieren, vorsätzlich am Körper verletzte, um an Beweismittel zu kommen, die gar nicht mehr benötigt wurden, um eine Straftat nachzuweisen. Durch dieses rassistische Vorurteil wurde der kausale Verlauf der weiteren Ereignisse ausgelöst, der in der schweren Folge zunächst zum Koma und schließlich zum Tod geführt hat.
Ohne ein Urteil, dass diese offensichtlich rassistischen Hintergründe und Motive des Personenkreises der Laye Condé zu Tode brachte festhält, legitimiert das Landgericht die Handlungen wie auch das Weltbild des Angeklagten und der Polizei, und verschleiert damit die strukturell vorhandene rassistische Gewalt in deutschen Behörden.
Gemeinsam gegen eine rassistische Einstellung.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen