Verteidigung von Neonazis
Würden kritische Jurist_innen aus Bremen einen Neonazi verteidigen?
Wir sind der Auffassung, dass jeder Mensch das bedingungslose Recht auf gewissenhafte Verteidigung hat, gleich welcher Ideologie eine Person folgt, gleich welcher Tat eine Person beschuldigt wird. Auch sind wir der Ansicht, dass es Jurist_innen stets frei stehen muss, wen sie vertreten. Diese Entscheidung darf nur von ihrem Gewissen abhängig gemacht werden, nicht jedoch von Dritten.
Wir möchten betonen, dass es ein wesentliches Merkmal eines fairen Verfahren ist, dass jeder Mensch die Möglichkeit bekommen muss, von fachkundigen Jurist_innen verteidigt zu werden und das Recht inne haben muss, diesen Rechtsbeistand selbst zu wählen. Sei eine Straftat, die jemandem zur Last gelegt wird, auch noch so schwerwiegend. Die Unschuldsvermutung muss überdies stets gewahrt sein und darf nicht bei Ereignissen, die in der Bevölkerung großen Unmut erzeugen, zum Nachteil des Beschuldigten relativiert werden. Auch und gerade dann nicht, wenn eine Person aufgrund ihrer Vorstrafen oder dem Verhalten in der Öffentlichkeit, für viele den Eindruck erwecken mag, schuldig zu sein.
Diese Prinzipien sind nach unserer Auffassung ebenso Fundament eines fairen Prozesses, wie das Recht auf richterliches Gehör. Sie müssen gerade bei unbequemen Fällen von Jurist_innen akzeptiert und getragen werden. Volle Anerkennung dieser Prinzipien ist auch gerade dann gefordert, wenn es sich bei einer beschuldigten Person um einen bekennenden Neonazi handelt. Es kann nicht einfach beliebig ausgewählt werden, ob eine Person, die einer Straftat beschuldigt wird, nur dann in den Genuss von Rechtsbeistand, richterlichem Gehör und Unschuldsvermutung kommt, wenn diese Person erst eine für alle ansprechende Gesinnung inne hat. Würden diese Prinzipien nicht mehr strikt vertreten und gegen noch so starken Unmut in der Öffentlichkeit verteidigt, würden Jurist_innen sich als Teil der Gesellschaft zu Gesinnungsrichter_innen über eine beschuldigte Person erheben und entzögen jedem beschuldigten Menschen willkürlich auf die Art, das unbestreitbare Recht auf eine faires und möglichst objektives Verfahren.
Für uns problematisch ist bei der Entscheidung der Kollegin Tina Gröbmayr die Tatsache, dass sie als Aktive beim Arbeitskreis kritischer Jurist_innen, sich durch ihre Unterstützung des AKJ, sich auch als Unterstützerin linker Strukturen profiliert. Den Arbeitskreisen kritischer Jurist_innen an den verschiedenen Fakultäten ist gemeinsam, dass sie sich, in welcher Ausdrucksform auch immer, gegen Rassismus und Antisemitismus engagieren.
Wir haben daher unter anderem die Frage diskutiert, kann eine Person aus dem Kreis kritischer Jurist_innen, Klient_innen vertreten, die vor oder bei Übernahme des Mandats erkennbar rechtsradikal sind?
Wir sind der Ansicht, grundsätzlich können Kolleg_innen aus dem Kreis der AKJ Gruppen das nicht, wenn sie nicht dem AKJ als linksorientiertes Bündnis von Studierenden und Anwält_innen, mit seinen Ambitionen in Widerspruch zu den Bestrebungen setzen möchte, sich auf allen Ebenen, in jeder Situation, gegen Rassismus und Antisemitismus zu engagieren. Die persönliche Entscheidung, als Strafverteidiger_in einen Neonazis zu vertreten, ohne zum Kreis kritischer Jurist_innen zu gehören, wollen wir hier nicht bewerten und verweisen auf die obere Stellungnahme, dass jede_r Jurist_in diese Entscheidung von ihrem Gewissen abhängig machen muss. Wir wollen jedoch nicht so tun, als gäbe es nicht genügend rechte, bzw. rechtsradikale Anwält_innen in der BRD, die ebenso geeignet neonazistische Klient_innen bei Strafprozessen vertreten können und auch wollen.
Wir haben darauf geschaut, wie eine Verteidigung von Neonazis durch Kollege_innen beim AKJ zu bewerten ist, die sich selbst dem linken Spektrum zuordnen.
Auf der einen Seite haben linke Anwält_innen ein kritisches Bewusstsein für die Auswirkungen von Rassismus und Antisemitismus in der Bevölkerung. Sie setzen sich persönlich ein bei der aktiven Unterstützung von linken Aktionsgruppen, sie stellen sich gegen menschenverachtende Ideologien und drücken ihre Sympathie und Hilfsbereitschaft durch ihre Tätigkeit im Studium und im Beruf aus. Beispielsweise kennen wir in Bremen dies durch die Teilnahme als Prozessbeobachter_in. Wir wissen dies von Kolleg_innen, die als Demobeobachter_in auftreten und sicherlich auch weit außerhalb des Studiums oder der Tätigkeit als Anwält_in. Auf der anderen Seite sich zu entscheiden, diese Strukturen und ihre Erfahrungswerte dergestalt zu nutzen, um das Potential daraus Neonazis zur Verfügung zu stellen, also konkret bekennende_n Faschist_in darin zu unterstützen, für sie eine Strategie auszuarbeiten, wie diese möglichst günstig aus einem Prozess herauskommen, ist für uns der Kern der Kontroverse.
Diese Menschenliebe, wie sie Tina Gröbmayr als erklärende Humanistin propagiert, halten wir für naiv und das falsche Signal. Nicht zuletzt dann, wenn durch die Übernahme der Strafverteidigung nicht nur lediglich der aktive Neonazi Unterstützung durch linke Strukturen findet, sondern auch gleich die Institutionen hinter neonazistischen Mandant_innen. Wir könnten die Frage stellen, warum die Kanzlei von Tina Gröbmayr wohl davon Abstand nehmen würde, beispielsweise die NPD als Partei, bzw. Verein zu vertreten.
Wir begrüßen Aussteigerprogramme wie EXIT und sehen hier kooperative linke Strukturen als Angebot an aufwachende Faschist_innen ihren Weg zu verlassen und durch ihren Ausstieg aus der radikalen Szene braunes Gedankengut aufzubrechen und sich zu verantworten. In dem hier kritisierten Fall, hat der aktiv neonazistisch auftretende Mandant jedoch zu keiner Zeit so ein Programm aufgesucht oder sich von der rechtsradikalen Szene distanziert; im Gegenteil. Dass eine Anwältin aus dem AKJ sich lediglich einem aktiven Faschisten anbot, um ihn bei seinem Austritt aus der Szene zu unterstützen, ist für uns nicht zu erkennen.
Das Vorgehen, der sich als politisch links begreifende Kollegin Tina Gröbmayr, lässt vermuten, man könne sich Vertreter_innen rechter Strukturen in die Kanzlei holen, ohne dabei selbst oder ihren Kolleg_innen oder ihrem sozialem Umfeld Schaden zuzufügen. Dies unterstellt, sowohl über einen Modus, ideologiefreie Strafverteidigerin, die keine persönliche Meinung zu ihrem Mandaten hat, als auch über einem Modus linke Aktivistin, die sich gegen rechte Strukturen engagiert zu verfügen und zwischen diesen beiden beliebig hin- und her schalten zu können. Wir glauben hier einen Widerspruch zu sehen, der zum Nachteil linker Strukturen aufgefasst werden wird. Also auch zum Nachteil der AKJ Gruppen, an den verschiedenen juristischen Fakultäten der Republik.
Der AKJ Bremen ist stets interessiert bei juristisch-ethischen Fragen auf den Einzelfall zu schauen und sich auch unbequemen Fragen zu widmen, die sich um den eigenen Umgang im Alltag als Jurist_innen mit Kontroversen ergeben. Wir werden Aussteiger_innen aus der rechtsradikalen Szene nicht den Weg versperren. Auch haben wir die Prinzipien für ein faires Verfahren stets im Blick und machen, unabhängig welcher Tat jemand beschuldigt wird, keine Ausnahme. Wir sehen es jedoch nicht als notwendig und förderlich für linke Strukturen und Aktivist_innen an, wenn Anwält_innen aus dem Kreis der AKJ Gruppen, das Mandat für bekennende Neonazis übernehmen, solange sie von beliebigen anderen Anwält_innen aus dem rechtsradikalen Spektrum vertreten werden könnten.
Die Entscheidung, den bekennenden Neonazi Florian Stech zu vertreten und somit rechtsradikalen Personen und Kreisen das Engagement und die Strukturen linker Aktivist_innen zum Vorteil rechtsradikaler Strukturen zur Verfügung zu stellen, lehnen wir daher grundsätzlich ab.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen
Bremen, 16. November 2012