Wahlkampf mit Angst – die paradoxe Strategie der CDU fürs Viertel
Die Bremer CDU lud am Dienstagabend zu einer Veranstaltung namens: „Steintor und Ostertor – gefährliches Viertel?“ – Das wollten wir uns mal näher ansehen…
Knapp 50 Leute sind ins Lagerhaus gekommen um sich anzuhören, was die CDU und die Vertreter der Bremer Polizei zum Thema zu sagen haben. Neben Jörg Kastendiek (Wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion) sind auch Wilhelm Hinners (Innenpolitischer Sprecher CDU-Fraktion) und als Vertreter der Polizei Derk Dreyer (Revierleiter Mitte/Östliche Vorstadt) und ein Vertreter des Polizeireviers Steintor, sowie Norbert Caesar in seiner Rolle als 1. Vorsitzender der Interessengemeinschaft „Das Viertel e.V.“ vor Ort. Es war um namentliche Anmeldung gebeten, dies wurde beim Einlass aber nicht überprüft – wir konnten also rein.
Themen sollten vor Allem Drogenkriminalität, Diebstähle und Gewalttaten sein, welche lt. Einladungstext dazu führen, dass „das Unsicherheitsgefühl der Viertelbewohner zunimmt“, und „die Sicherheitslage mit wachsener Besorgnis“ beobachtet wird. Auch über die Sichtmauer an der Helenenstraße und Waffenverbotszonen soll diskutiert werden. Weiter: „Oder erfordern die Umstände andere Mittel?“ Interessant.
Herr Dreyer beginnt die Veranstaltung mit der Präsentation verschiedener Statistiken, deren Beschriftungen praktisch nicht zu erkennen sind, und die er im Einzelnen nur oberflächlich erläutert. Eine ältere Dame neben mir beugt sich zu mir rüber und fragt, ob ich dem folgen könne, das ginge alles etwas schnell. Anfangs werden gesunkene Zahlen der Straftatenentwicklung präsentiert, im Viertel wären sie aber gestiegen. Dann folgen verschiedene Statistiken, die mal gestiegene, mal gesunkene Zahlen präsentieren – mal geht es um die Art des Deliktes, mal um den Stadtteil. Auch ich kann dem inhaltlich nicht mehr folgen, weil es keine schlüssige Reihenfolge zu geben scheint. Dabei lobt Herr Dreyer, dass die Polizei jetzt mehr Befugnisse hätte, die sie im Viertel entsprechend genutzt hätten. Leider fragt niemand nach, von welchen Befugnissen er hier denn spricht, da das neue Bremische Polizeigesetz ja vorerst von der Grünen-Fraktion ausgebremst wurde.
Allheilmittel mehr Polizei mit mehr Befugnissen – Ineffektivität spielt keine Rolle
Je nach Statistik erzählt er entweder, die polizeilichen Maßnahmen wären erfolgreich, oder aber es bräuche mehr Polizei, wie die gestiegenen Zahlen ja belegen würden. Besonders spannend wird es bei Thema Drogenkriminalität: Mehrfach betont Herr Dreyer, dass die erteilten Platzverweise und der hohe Aufwand, der in die Verfolgung der Dealer investiert wird, sehr erfolgreich wären. Später sagt er, wenn ein Dealer gehen muss, stehen für ihn dann zwei Neue da, wie hochprofessionell das gesamte Netzwerk organisiert sei, und dass die Polizeiarbeit hier einen enorm hohen Aufwand mit mäßigem Erfolg bedeutet. Weshalb – Achtung – man NOCH mehr für die Verfolgung bereitstellen müsse.
Ich hätte an dieser Stelle gern einen Merksatz eingestreut, den ich kürzlich im Studium gelesen habe: „Sichere Gründe fürs Scheitern einer Unternehmung: Die Umweltbedinungen ignorieren, Veränderungen ablehnen, und einfach so weitermachen wie bisher, nur noch stärker als vorher.“
Einen weiteren Moment der Ironie gab es, als zuerst eine Frau der JU fragte, wie verhindert werden könnte, dass sich die Neustadt in Bezug auf Gentrifizierungsprobleme ähnlich entwickelt wie das Viertel. Kurz danach beschwerte sich ein junger Mann im Sakko und akkurat gelegtem Haar über die Dealer, die ihn auf dem Weg zu Rewe ansprechen würden. Offenbar ist er also aus irgendwelchen Gründen ins Viertel gezogen. Lol. Die Frage blieb übrigens vom Podium unbeantwortet.
Als es dann darum ging, wie die Gewaltdelikte reduziert werden können, wurden die Podiumsmitglieder nicht müde immer wieder zu betonen, dass eine frühere Sperrstunde sich sehr positiv auf die Reduzierung von Gewaltdelikten auswirken würde. Durch die (Außen-)Gastronomien und vor Allem die Kioske wären die Menschen länger auf der Straße unterwegs, wodurch eben auch die Gewalttaten steigen würden. Und auch hier wurde es wieder paradox: Denn, wie bereits in der Begrüßung betont wurde, solle das Viertel ja in seiner Form erhalten werden, da es ja besonders viele Gäste auch aus dem Umland zum Feiern und Geld ausgeben anzieht. Mal sehen wie viele noch kommen, wenn auch am Wochenende dieselbe Sperrstunde gilt wie unter der Woche (1 Uhr), was als mögliche Maßnahme in der Diskussion angedeutet wurde. Schrödingers Viertel.
Das Viertel soll für Gäste attraktiv bleiben – bloß möglichst ohne Gäste in den Wochenendnächten
Den „Höhepunkt“ erreichte die Diskussion, als Herr Dreyer sagte, die Gastronomen wären angehalten, auf die „äußere Erscheinung“ ihrer Gäste zu achten. Ich dachte kurz ich hätte mich verhört, bis mir wieder einfiel auf was für einer Veranstaltung ich hier bin. Racial Profiling als Ansage an die Gastronomie. Wow.
Erst als sich der Betreiber des Heartbreak Hotels zum Schluss noch zu Wort meldete, und die Polizei deutlich dafür kritisierte, die Gastronomen für die Kriminalität verantwortlich zu machen, und schilderte, wie engagiert und bemüht die Gastronomen um ein friedliches Miteinander mit den Anwohner*innen seien, lenkte die Polizei etwas ein. Als Hauptverantwortliche wurden im Verlauf dann die Kioske ausfindig gemacht, die die Menschen auf der Straße hielten.
Zum Thema Rotlichtmillieu hieß es schlussendlich lediglich, die Sichtmauer müsse weg, es müsse alles ausgeleuchtet werden, und natürlich brauche man zwecks Kontrolle der Lage deutlich mehr Polizei. Einigen Gästen wäre es am Liebsten, die alteingesessene Helenenstraße würde ganz verschwinden. Wohin – egal. Hauptsache hier weg. Sollen sich andere damit rumschlagen. Als würde jemand fordern die Reeperbahn dicht zu machen, weil man da jetzt wohnt. Interessanter Standpunkt, der einen gewissen Rückschluss auf die Ausprägung der Kompromissbereitschaft der Gäste zulässt.
Rotlicht? Bitte nicht hier!
Was man der Veranstaltung lassen muss, ist, dass sie konsequent ein Ziel verfolgt hat: Wahlkampf. Mit einer „Nette Onkel aus der Nachbarschaft“-Mentalität wurde eine Ausweitung der Polizeibefugnisse, Racial Profiling, ein in Kauf nehmen des Kneipensterbens, und eine Drogenpolitik, die auf ganzer Linie versagt hat, beworben.
Die ältere Dame neben mir sagte übrigens zum Schluss noch zu mir, dass sie nicht verstehe, warum die selben Maßnahmen weiter geführt werden solle, wenn diese doch nichts zu nützen scheinen. Ich sagte, Legalisierung wäre hier der richtige Weg. Sie hatte zwar Bedenken, stimmte aber zu, dass man sowas ja mal ausprobieren könne, weil es ja so wie bisher nich funktioniert. Sie hat’s verstanden.