Warum habt ihr wohl nicht gewählt?
Hallo Bremen und Bremerhaven,
es ist der 11. Mai und gestern waren hier Wahlen – das haben ja rund 51% von euch nicht mitbekommen, oder?
Wir können wohl sagen, dass es dieses „oder“ ist, was jetzt viele umtreibt.
Natürlich habe ich keine Erklärung warum so viele zuhause geblieben sind, aber probieren tue ich es trotzdem mal in sieben Thesen:
1. Dieser Wahlkampf war langweilig.
Alle dachte, dass es ja nichts zu entscheiden gäbe. Dass Rot-Grün weiter regiert, darauf hätten wohl wirklich alle ihr letztes Hemd verwettet. Nun ist es knapp geworden, für eine höhere Wahlbeteiligung hätten wir das vorher wissen müssen.
2. Dieser Wahlkampf war unpolitisch.
Die drei großen Parteien Bremens haben ein Wahlkampf geführt, der gefühlt nichts mit Poltik zu tun hatte. „Katzenfreund“-Böhrnsen, „Ich hab die Schuhe schön“-Motschmann und „trotz meines Amtes bin ich irgendwie grün“-Linnert haben sicherlich nicht dazu geführt, dass die Menschen an die Urnen geströmt sind. Politik ist spannend, wenn um Themen mit Köpfen gekämpft wird und das gab es eigentlich fast nie.
Herr Böhrnsen sollte daraus lernen: Es gibt nur eine Angela Merkel.
3. Dieser Wahlkampf war nicht sichtbar.
Ich wohne in der Innenstadt als sehr politischer Mensch. Dieser Wahlkampf war gefühlt kaum sichtbar, obwohl ich darauf achte. Wie werden ihn dann andere gesehen haben? Wie sehr waren die Parteien wohl sichtbar, beispielsweise in Tenever, wenn sie es nicht einmal hier waren?
4. Enttäuschte Wähler*innen gehen nicht wählen.
Eine SPD die gegen Gewerkschaften hetzt, Grüne die dem Asylkompromiss zustimmen (Ja nur Baden-Würtemberg aber das is dabei nicht entscheidend),für die Schuldenbremse verantwortlich sein. Als Wähler*in dieser Parteien kann Mensch wohl nur enttäuscht reagieren. Aber nach 40 Jahren was anderes wählen? Würde ich wohl auch nicht tun.
5. Die Armen gehen nicht wählen.
Ja, das ist traurige Realität, dagegen muss etwas getan werden und das ist die Aufgabe aller Parteien. Das tut allerdings weh und ist halt nicht so schön wie der Wohlfühlkuschelwahlkampf im Viertel oder in Schwachhausen.
6. Die Populist*innen sind schwach.
Die Bürger in Wut bekommen wohl über Bremerhaven einen Sitz in der Bürgerschaft, die AfD zieht wahrscheinlich knapp über Bremen in die Bürgerschaft ein, die NPD hatte nicht einmal Kandidat*innen in Bremen, die Piraten sind 2014 gestorben. Die populistischen Parteien sind in Bremen lange nicht so stark wie bei den letzten anderen Wahlen in Deutschland. Das sollt uns freuen, führt aber auch zu einer niedrigen Wahlbeteiligung, weil eben diese Antiparteien-Parteien immer auch Nichtwähler*innen ziehen.
7. Diese Wahl war (zu?) kompliziert.
Die Probleme für die Kandidat*innen hat Rob ja schon mal hier aufgeschrieben. Zu vermuten ist auch, dass das etwas komplexere System Wähler*innen abschreckt. „Bevor ich etwas falsches mache, mache ich lieber gar nix.“ – Dieser Wahlspruch kann durchaus einen Anteil an der niedrigen Quote haben.
Alles in allem werden diese und einige anderen Faktoren zu diesem Ergebnis geführt haben und viele die jetzt jammern, sind selbst mit großem Anteil daran Schuld. Dies gilt sowohl für die Parteien als auch politische Parteilose, die ihre Freund*innen wohl nicht zum wählen motivieren konnten.
Ist das jetzt aber schlimm?
Ja-ein.
Das große Problem ist, dass die armen und weniger gebildeten nicht repräsentativ in der Bürgerschaft vertreten sind. Eine Demokratie wird aber nicht durch eine niedrige Wahlbeteiligung zusammenbrechen – Rechte Parteien innerhalb des parlamentarischen Systems schaden ihr da viel mehr.
Sollten wir jetzt auf die Nichtwähler*innen schimpfen?
Nein.
Politisch aktiv agierende Menschen aus linken Kontexten die nicht wählen gehen, kann ich gut verstehen. Sie glauben, dass ihre Arbeit die Welt verändert und nicht Wahlen. (Ich glaube, dass es beides braucht.) Sie arbeiten aktiv mit Geflüchteten, gegen Rechts und für eine bessere Welt. Auf sie zu schimpfen, weil sie 2*5 Kreuze nicht gemacht haben, wäre falsch.
Dass die Armen und weniger gebildeten nicht Wählen gehen und von den Parteien wenig beachtet werden, ist ein strukturelles Problem, ein Vorwurf an diese ist einfach falsch.
Was hilft dagegen?
Politik!
Streitbare, inhaltliche spannende, zukunftsgewandte und ja auch mal populistische Politik mit klarer Kante. Politische Bildung und Politisierung sowie das Ansprechen von Menschen auf allen Kanälen offen, ehrlich und symphatisch.
Das haben wohl bei dieser Wahl Die Linke und die FDP ( ja, leider) am besten hinbekommen. Damit bekommt Mensch halt auch Stimmen.
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