Wie Vorurteile unsere Perspektive bestimmen und was wir dagegen tun können – ein psychologischer Exkurs
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Den Menschen zu helfen, die vor Krieg, Hunger und Tod fliehen, ist eine der größten Herausforderungen unserer Gesellschaft. Angesichts der katastrophalen Situation haben viele Menschen hierzulande Mitgefühl und helfen wie und wo sie nur können. Was die unzähligen ehrenamtlichen Helfer*innen leisten, ist von unschätzbarem Wert für uns alle. Die Politik hingegen hat in Information, Kommunikation und Organisation auf ganzer Linie versagt und sich einer Art Schockstarre hingegeben, bevor sie sich dann schlussendlich aufraffte, um das Grundrecht auf Asyl so weit auszuhöhlen, dass nun kaum mehr als eine Fassade stehengeblieben ist. Mitgefühl sucht eins hier vergeblich.
Eine schwerwiegende Folge der versäumten Informationspolitik ist, dass sich zahllose falsche “Tatsachen” und daraus resultierende Vorurteile über die Flüchtlinge großer Beliebtheit erfreuen, und sich in der Bevölkerung munter verbreiten. In Besitz von Fakten zu sein, gibt Menschen das Gefühl, die Situation irgendwie einschätzen zu können, und vermittelt dadurch ein Gefühl der Sicherheit.
Wie kommt es aber, dass einige Gruppen vorwiegend die negativen Geschichten wahrnehmen, während andere den positiven Berichten ihre Aufmerksamkeit schenken, obwohl alle Zugang zu den selben Informationen haben? Wieso glaubt eine Person die den Flüchtlingen eher kritisch gegenüber steht, eine negative Geschichte deutlich eher als eine positive?
Weil die Person es schlicht nicht will, würdet ihr sagen? Ganz so einfach ist das allerdings nicht. Klar will sie auch irgendwie nicht, aber die Frage ist, warum. Warum nehmen wir Informationen so unterschiedlich wahr, und urteilen dementsprechend so verschieden?
Kein Mensch ist frei von Vorurteilen
Vorurteile wohnen uns allen inne, da sie das Symptom der menschlichen “Denkfaulheit” (Heuristiken) sind. Jede*r kann allerdings selbst entscheiden, wieviel Raum er*sie ihnen geben will. Dafür müssen wir sie bei anderen und auch bei uns selbst erkennen, und wissen, wie wir sie beeinflussen können. Das möchte ich euch im Folgenden gern vermitteln.
Ich fokussiere mich hier vor allem auf die Personen, die sich (noch) nicht vollends den einfachen Antworten der Rechtspopulisten hingeben, sondern auf die, die zwar eher kritisch, aber noch etwas unsicher sind.
Fangen wir bei der Sympathie an, da sie hier eine wichtige Grundlage bildet. Die Flüchtlinge sind den Kritikern bekanntermaßen nicht unbedingt sympathisch. Und wer uns nicht sympathisch ist, über den urteilen wir schärfer. Um dem Phänomen dieser selektiven Wahrnehmung und Vorurteilsbildung auf den Grund gehen zu können, müssen wir uns also zuerst damit befassen, wie Sympathie entsteht.
Ähnlichkeit schafft Sympathie, schafft Empathie – Fremdartigkeit eher nicht
Der wichtigste Faktor ist Ähnlichkeit. Personen die uns selbst ähnlich sind, bewerten und beurteilen wir positiver, da wir uns leichter in sie hineinversetzen können und uns dadurch ein Gefühl der Vertrautheit suggeriert wird. Interessant ist, dass es hierfür völlig irrelevant ist, worin die Ähnlichkeit zu der anderen Person (oder Personengruppe) besteht. Es kann sich um eine Ähnlichkeit in äußerer Erscheinung, z.B. ethnische Herkunft, handeln, aber genauso reicht es schon aus, wenn z.B. der Name ähnlich klingt wie unser eigener, damit unser Urteil positiver ausfällt.
Kurz: Können wir uns in irgendeiner Weise mit einer Person identifizieren, so ist sie uns eher sympathisch, wir sind milde gestimmt, und empfinden sehr viel eher Empathie.
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Personen die uns sehr unähnlich sind, weniger Sympathie erfahren. Fehlt die Identifikation, leidet die Sympathie und damit auch die Empathie. Sprich: Wir unterstützen unbewusst viel eher unsere „eigenen Reihen“ als uns fremd erscheinende. Der Fachbegriff hierfür lautet übrigens „Similar-to-me-Effekt“.
Es ist also die Frage, ob eine Person bei der anderen Ähnlichkeiten wahrnimmt, oder ob sich die Wahrnehmung eher auf die Unterschiede konzentriert.
Jetzt kommen die Heuristiken ins Spiel. Heuristiken sind „Denkabkürzungen“ zur Urteilsbildung auf Basis unseres individuellen Erfahrungsschatzes, die uns helfen mit der Informationsflut im Alltag klarzukommen und schneller reagieren zu können. Damit deutlich wird, warum sie so wichtig sind, möchte ich euch die beiden wichtigsten Heuristiken kurz vorstellen.
I. Die Verfügbarkeitsheuristik
Verfügbarkeit bedeutet hier in etwa “wie lange muss ich überlegen bis mir was dazu einfällt”. Ist zu einem Thema eine bestimmte Information schnell verfügbar, kommt es uns vor, als ob diese Information besonders relevant ist. Oder anders ausgedrückt: “Wenn mir ein Ereignis leicht einfällt, dann wird es wohl häufig auftreten.” Durch Nutzung dieser “Denkabkürzung” werden Fakten häufig ignoriert, und bei der Urteilsbildung gar nicht berücksichtigt.
Ein paar Beispiele:
Wenn wir von einem Flugzeugunglück hören, erscheint uns fliegen besonders gefährlich, und wir haben vielleicht eine zeitlang ein mulmiges Gefühl beim Betreten eines Flugzeugs. Obwohl statistisch gesehen Auto fahren deutlich gefährlicher ist. Das blenden wir allerdings aus.
Hören wir von einem Todesfall durch Konsum illegaler Drogen, erscheinen uns diese Drogen besonders lebensbedrohlich, obwohl durch Alkohol und Tabak jährlich hunderttausende Menschen sterben.
Die Rolle der Medien ist bei der Verfügbarkeitsheuristik besonders interessant. Denn sie entscheiden, welche Informationen wie häufig für uns verfügbar sind: Überproportionale Berichterstattung über Terroranschläge in der westlichen Welt schürt große Ängste, und vermittelt uns das Gefühl, vom Terrorismus besonders bedroht zu sein. Ungeachtet der Tatsache, dass derartige Anschläge andernorts nahezu täglich passieren. Darüber wird allerdings weniger berichtet, so dass wir die Bedrohung im Verhältnis für uns deutlich höher einschätzen als sie tatsächlich ist.
Rechtspopulismus wird effektiv durch seine permanente Präsenz
Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, warum Rechtspopulismus so gefährlich ist. Durch das permanente Verbreiten von Vorurteilen und falschen Informationen erscheinen diese irgendwann “wahr”, einfach weil sie oft genug erzählt wurden.
Eine weitere Eigenschaft der Verfügbarkeitsheuristik ist, dass das Auftreten bestimmter Ereignisse eher wahrgenommen wird als Nichtauftreten: Hört eine Person von einen straffällig gewordenen Ausländer, wird das sehr viel stärker wahrgenommen, als die Tatsache, dass der Großteil der Ausländer eben nicht straffällig ist. Außerdem bilden sich gern fiktive Zusammenhänge, wenn die Reflexion fehlt. In diesem Fall z.B. dass Ausländer anscheinend sehr häufig kriminell sind. Das spielt eine besondere Rolle bei der Bildung von Vorurteilen.
II. Die Repräsentativitätsheuristik
Diese Heuristik meint, dass wir zur Urteilsbildung auf unseren Erfahrungsschatz von uns besonders repräsentativ erscheinenden Fällen zurückgreifen, und auf dessen Grundlage auch den aktuellen Fall beurteilen. Sprich: Wenn mein Erfahrungsschatz sagt, Ausländer sind kriminell (u.a. gespeist durch die Verfügbarkeitsheuristik), dann beurteile ich den Ausländer der gerade vor mir steht, vermutlich als potentiell kriminell. Sprich. Wir kategorisieren in “Schubladendenken”. Das Fatale daran: Wenn es um etwas geht, womit die persönliche Erfahrung fehlt, sind wir umso empfänglicher für die Informationen anderer Quellen. Dies spielt die maßgebliche Rolle bei der Generierung von Vorurteilen.
Auch hierfür ein Beispiel:
Verfolgt uns nachts eine Person auf der Straße, so reichen uns die Kombination der Fakten “Nachts”, “Verfolgung” und ”unbekannte Person” aus, um anzunehmen, dass von dieser Person eine Bedrohung ausgeht, obwohl das vielleicht gar nicht stimmt. Aber die Situation ist repräsentativ genug um auf die Kategorie “Bedrohung” hinzuweisen.
Der Mensch bestätigt sich lieber selbst, als korrigiert zu werden
Ein weiteres Problem des menschlichen Denkens ist: Wir bestätigen uns mit Vorliebe selbst, anstatt offen für anders lautende Fakten zu sein. Selbst wenn diese anderen Fakten sehr eindeutig unserer Meinung widersprechen, beharren wir auf unserer Sicht. Das suggeriert wieder Sicherheit, und ist tatsächlich eine natürliche Eigenschaft des Menschen, die aber durch reflektiertes Denken beeinflusst werden kann.
Daher erfreuen sich sogar völlig frei erfundene Geschichten, wie z.B. die einer Vergewaltigung eines Mädchens durch Flüchtlinge in bestimmten Kreisen großer Beliebtheit, weil sie die bestehende Meinung bestätigen.
Die schlechte Nachricht ist also: Wir können noch so viele empathische Facebook-Posts mit Zahlen und Fakten über Flüchtlinge teilen: Sie werden höchstwahrscheinlich nur von denen wahrgenommen, die ohnehin schon eine positive Meinung zum Thema vertreten.
Welche Möglichkeiten bleiben uns um das zu ändern?
Schon die Erkenntnis, das Wissen, über unsere bequeme Denkweise kann enorm helfen, genauer nachzudenken und Informationen anders zu beurteilen. Durch die Bewusstmachung schmeißen wir unseren Kopf an und denken einen Moment länger drüber nach, und können gegensteuern.
Wie können wir andere dafür senibilisieren? Wenn ihr mal wieder mitbekommt, dass auf Stammtischparolen-Niveau argumentiert wird, fragt nach, auf welcher Informationsgrundlage diese Aussagen beruhen. Dann kontert mit einer möglichst gegensätzlichen Information. Wie reagiert die Person? Wahrscheinlich will sie diese Information erstmal nicht annehmen. Fragt nach, warum die eine Information angenommen wurde, und deine jetzt nicht. Hier sind natürlich auch die Quellen wichtig. So kristallisiert sich schnell heraus, dass hier nur sehr selektiv Informationen genutzt werden, wahrscheinlich um lediglich die eigene Meinung zu bestätigen. So könnt ihr anderen anschaulich vor Augen führen, wieso Reflexion so wichtig ist.
Führt der Person vor Augen, auf was für einer selektiven Basis sie ihre Urteile fällt.
Wichtig ist, dies nicht besserwisserisch oder vorwurfsvoll zu formulieren, sondern sachlich zu erwähnen, dass diese Denkweise grundsätzlich erstmal ganz natürlich ist. Dadurch dämpft ihr die konfrontative Stimmung, und signalisiert Verständnis für die andere Person. Das wird ihre Bereitschaft, sich mit den anderslautenden Informationen auseinanderzusetzen, deutlich erhöhen.
Die beste Übung um sich auch ganz allgemein die eigene Selektion vor Augen zu führen, ist, sich gezielt mit Informationen auseinanderzusetzen, die möglichst gegensätzlich zur eigenen Meinung sind. So kann eine Person prüfen, was sie in ihre Urteilsbildung einbezieht und was nicht. Aber: Auch hier sind die Quellen zu beachten.
Des Weiteren können wir sagen, dass junge Menschen grundsätzlich eher bereit sind sich selbst zu reflektieren als Ältere, und je unsicherer eine Situation ist, desto mehr steigt das Bedürfnis an Informationsquellen, und desto empfänglicher sind Menschen für informativen sozialen Einfluss. Das kann eins auch positiv nutzen.
Und was darum trotzdem ganz wichtig ist: Teilt weiter Facebook-Posts! Fakten und empathische Berichte müssen verbreitet werden, um ihre Verfügbarkeit immer weiter zu erhöhen, und sich gegen den Fremdenhass zu stemmen.
Abschließend möchte ich euch noch eine sehr gut erklärende Leseempfehlung zum Thema geben:
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