Der Fall Valentin
Dreizehnter Prozesstag gegen antifaschistische Ultras
Am Freitag den 13.05. fand auch der 13 Prozesstag gegen Wesley S. und Valentin S statt. Geladen war der Zeuge W., der beim Sozialdienst des Jugendvollzugs arbeitet und Auskunft über Valentins Verhalten in der Untersuchungshaft geben sollte.
Zudem wurde angekündigt, dass Valentin möglicherweise selber Angaben zu einigen Vorwürfen machen würde.
Zeuge des Sozialdienstes des Jugendvollzugs
Doch dazu kam es nicht. Der Zeuge W. berichtete zunächst davon, dass Valentins Verhalten in der Untersuchungshaft höflich, angemessen und positiv gewesen sein. Er habe den Anweisungen der Vollzugsbeamten stets Folge geleistet. Einzig der Fund eines Telefons in Valentins Zelle, habe nicht den Vorschriften entsprochen. Ähnliches habe er von seinen Kolleg*innen gehört. Zudem berichtete W., dass er von Valentin erfahren habe, dass dieser studieren wolle, konnte sich jedoch an die Studienrichtung nicht mehr erinnern.
Der Richter wollte daraufhin, dass der Zeuge den Inhalt eines Berichts wiedergebe, den eine Kollegin des Zeugen geschrieben hat. Hier intervenierte Horst Wesemann, Anwalt von Valentin, dass dies nicht zulässig sei. Auch die Verlesung des Berichts wollte Wesemann nicht zulassen, das Gericht vertagte eine Entscheidung darüber und verlies den Bericht an diesem Tag nicht.
Als Jan Sürig, Verteidiger von Wesley, den Zeugen fragte, an wieviele Neonazis oder rechte Hooligans in Haft er sich erinnern könnte, wand dagegen der Vorsitzende ein, dass er die Frage nicht zulassen werde, da sie keine Erkenntnisse zur angeklagten Sache bringen könnte.
Die Suche nach dem Gesamtbild
Es folgte eine Reihe von Ausführungen der Verteidiger, des Gerichts und des StA.
Sürig warf dem Gericht in der Folge politische Ignoranz vor, auch die Weimarer Republik sei an Richtern zugrunde gegangen, die sich dem Diktat der angeblichen politischen Neutralität unterordneten. Zudem sei der Eid, den Richter*innen aus Bremen schwörten keinesfalls unpolitisch, sondern vielmehr antifaschistisch.
Inhaltlich führte Sürig an, dass die Beantwortung der Frage für den Prozess wichtig wäre, um Erkenntnisse zu gewinnen, ob Polizei und Justiz bei Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten, die Rechten schonten und Taten von Linken schwerer gewichten.
Er nahm dabei Bezug auf die Ausführungen Wesemanns vom Beginn des Prozesses, der schon angeführt hatte, dass rechtsstaatliche Grundsätze im Verfahren ignoriert würden. Mit seiner Frage habe er versucht eine Konstanz in der Ungleichbehandlung zwischen Linken und Rechten zu finden.
Er führte zudem eklatante Fehler der Polizei an. So war bei der ersten Auseinandersetzung am Verdener Eck, bei der Ultras durch Hooligans angegriffen wurden, mindestens ein Szenekundiger Beamter(SKB) anwesend, notierte jedoch keinen einzigen Namen der angreifen Hooligans, obwohl er diese kennen müsste. Als später Ultras von der Polizei festgehalten wurden, notierte er, so Sürig, alle Namen, inklusive Geburtsdaten, der Ultras. Sürig führte weiterhin aus, dass so ein Verhalten Ermittlungen gegen die Hooligans erschwerte und damit rechtsextreme Hooligans mindestens unbewusst durch die Polizei geschützt werden.
Sürig führte auch den Fall des als Opfers präsentierten Hooligans F. an. Dieser hat mutmaßlich, so soll ein Video zeigen, unmittelbar bevor er selbst angegriffen wurde, eine arglose Person hinterrücks mit einem Bierkasten so sehr geschlagen, dass diese Person regungslos zu Boden fiel und dort liegen blieb. Diesen Sachverhalt hat Valentin bei seiner Haftprüfung bereits im November 2015 geschildert. Der StA hat davon mindestens durch die Akten Kenntnis erlangt, ist dem aber nicht weiter nachgegangen. Ermittlungen wurden erst eingeleitet, nachdem Wesemann das Video einbrachte, das den Vorfall zeigen soll. Fast ein halbes Jahr nachdem Valentin genau diesen Vorfall bereits beschrieb. Diese deutliche Verzögerung der Ermittlungen könnte, so Sürig, bereits den Straftatbestand der Strafvereitelung im Amt erfüllen.
Weiterhin sei bei diesem Vorfall eine Polizeikette nur etwa 30 Meter entfernt gewesen, hätte aber weder eingegriffen, noch versucht den mutmaßlich Täter festzusetzen.
Schlussendlich ging Sürig noch auf das Versagen der Justiz und der Exekutive im Anschluss an den Angriff auf Racaille Verte im Ostkurvensaal ein.
Sürig folgerte daraus eine strukturelle Unfähigkeit oder Unwilligkeit gegen Rechtsextreme zu ermitteln und vorzugehen. Das müsse sich dementsprechend auch an den Zahlen inhaftierter Rechtsextremer zeigen. Eine solche Unfähig- oder Unwilligkeit hätte massiven Einfluss auf die Einhaltung der rechtsstaatlichen Grundsätze eines Verfahrens.
Dennoch entgegnete der Vorsitzende, dass die Frage keine Relevanz für das Verfahren hätte, und lies diese nicht zu. Ein Fehlverhalten der Ermittlungsorgane sei nicht zu erkennen und im Zweifel im Einzelfall zu prüfen.
Die StA führe eine ganze Akte über Solidaritätsbekundungen für Valentin und verkläre antifaschistischen Selbstschutz, der durch die Untätigkeit der Behörden notwendig würde, zur Uneinsichtigkeit. Vielmehr sei es wichtig, das Gesamtbild zu sehen, er führte hierfür ein weiteres Beispiel an, als Hooligans bei einem anderen Nordderby mit einem Schiff, maskiert auf der Weser fuhren. Die Polizei stoppte das Schiff, nur wenige Hooligans wurden kontrolliert, die meisten konnten, weiterhin vermummut das Schiff unbehelligt verlassen und griffen in der Folge die Journalistin Andrea Röpke an.
Wesemann führte weiterhin aus, das Gesamtbild wäre sicherlich auch anders, als durch diese Frage zu zeichnen, doch, so sein Eindruck, StA und Polizei würden dagegen arbeiten. Er ergänzte dies mit diversen Beleidigungen und auch Mordaufrufen gegen Valentin, wegen derer die StA gar nicht, oder nur schleppend ermittle.
Trotz dieser Fülle an Beispielen klassifizierte Behrens die Vorwürfe gegen seine Arbeit als haltlos und abenteuerlich. Die Verteidigung würde nur eine Bühne für ihre eigenen Statements suchen.
Als der Richter, so Sürig, die Gefahren, die von Rechtsextremen und Hooligans ausgehen durch die Bemerkung, sie seien Vorstellungen, die innerhalb einer gewissen Szene vorherrschten, degradiert, stellen beide Verteidiger einen Befangenheitsantrag gegen die Richter*innen. Sie stützen sich dabei auf ihre vorherigen Ausführungen und folgern aus der Tatsache, dass die Richter*innen dies ignorierten, dass rechtsstaatliche Grundsätze durch diese Richter*innen nicht gewährleistet seien.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen
Der Prozess wird am 26.05.2016 in der Strafkammer des LG Bremen, Raum 218, fortgesetzt.
Zwölfter Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras
Zu Beginn des zwölften Termins, 28.03.2016, im Prozess gegen antifaschistische Ultras in Bremen, wurde dem Angeklagten Wesley S. zunächst ein Vertreter seines Verteidigers für diesen Verhandlungstag beigeordnet. Sodann erläuterte der Vorsitzende den heutigen Verfahrensablauf.
Zeugin N. Eigentümerin des Blumenkübels Verdener Eck
Es wurde mit der Vernehmung der Zeugin N. begonnen. Die Zeugin ist Anwohnerin am Verdener Eck und sollte zu dem Beweisthema „Blumenkübel“ gehört werden. Sie sagte aus, dass der Blumenkübel aus Plastik gewesen sei und dass sich darin alte Pflanzen befunden hätten, da sie seit dem Winter noch nicht dazu gekommen sei, den Kübel neu zu bepflanzen. Die darin befindliche Erde sei vertrocknet gewesen. Der Kübel sei außerdem lediglich zu maximal zwei Dritteln mit Erde gefüllt gewesen, da die Zeugin einen Gießrand von 5-10 cm gelassen habe. Zu der Frage, ob sie von dem Geschehen etwas mitbekommen habe gab die Zeugin an, dass sie bei dem guten Wetter in dem nach hinten liegenden Garten gesessen habe und nichts von dem Vorfall bemerkt habe. Erst als ihre Tochter nach Hause gekommen sei und gefragt habe, was auf der Straße los gewesen sei, sei sie nach vorne gegangen und habe das Chaos gesehen.
Der Blumenkübel habe ausgekippt auf dem Fußweg gelegen und ein Müllsack sei aufgerissen und der Müll auf dem Fußweg und der Vortreppe verteilt gewesen. Seit dem Vorfall könne nach Ansicht der Zeugin jedoch nicht viel Zeit vergangen sein, da in dem Haus acht Personen lebten und ein ständiges Kommen und Gehen herrsche. Die Tochter müsse somit die Erste gewesen sein, die den Müll vor dem Haus gesehen hatte. Die Zeugin gab weiter an, dass sie dann die Vortreppe und den Fußweg sauber gemacht und den Blumenkübel neu bepflanzt und gegossen habe, sodass er dann ein Gewicht von etwa zehn Kilo gehabt habe. Nach der Bepflanzung sei die Spurensicherung gekommen und noch einmal zwei Polizeibeamte, die den Kübel mit einer Personenwaage wogen, die sie sich von der ebenfalls im Haus wohnenden Schwiegermutter der Zeugin besorgten. Die Zeugin schätzte, dass der Blumenkübel vor der erneuten Bepflanzung und dem Gießen nicht einmal die Hälfte von dem von den Polizeibeamten festgestellten Gewicht gehabt habe. Der Zeugin wurde dann ein Blumenkübel vom Gericht gezeigt und sie bestätigte, dass es sich dabei um den ihr gehörenden Blumenkübel handele. Sie stimmte der weiteren Beschlagnahme zu.
Verteidiger Wesemann gab nach der Zeugenaussage der Zeugin N. als Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO an, dass auf dem Video zu erkennen sei, dass sogar noch weniger Erde in dem Kübel gewesen sei als die Zeugin angegeben hatte. Außerdem las er einen Beweisantrag vor, der im zweiten Teil „Anregungen und Anträge“ enthielt. Er musste zunächst mit dem Vorsitzenden darüber diskutieren, ob es sich hierbei um eine unzulässige Vorwegnahme des Schlussplädoyers handele, durfte den Text dann aber verlesen. Wesemann beantragte, als neues Beweismittel ein Video in den Prozess einzuführen, auf dem zu erkennen sei, wie der im Tatkomplex Verdener Eck vermeintlich Geschädigte F. vor dem Angriff durch den Angeklagten Valentin S. eine flüchtende Person mit einer leeren Bierkiste auf dem Kopf geschlagen und damit zu Boden gestreckt habe. Der Angegriffene habe eine blutende Verletzung am Kinn erlitten. Auf dem Video und daraus gefertigten Lichtbildern sei zu erkennen, dass der Angeklagte die Szene lediglich beobachtete und an dem eigentlichen Angriff nicht beteiligt gewesen sei. Auch solle die Akte aus dem Verfahren gegen den Geschädigten F. wegen des Schlags mit der Bierkiste zugezogen werden.
Gutachten zum Symbol der Schwarzen Sonne
Desweiteren beantragte der Verteidiger, ein historisches Gutachten des Deutschen Historischen Museums in Berlin oder des Kreismuseums Wewelsburg zu dem Symbol der Schwarzen Sonne einzuholen. Er begründete dies damit, dass es sich dabei keinesfalls um ein germanisches Symbol handele, sondern eine Erfindung der Nationalsozialisten sei und erstmals von der SS auf der Wewelsburg als Dekoration verwendet wurde. Es handele sich dabei um eine Darstellung der zwölf Siegrunen bzw. um ein zwölfarmiges Hakenkreuz. Zudem machte der Verteidiger rechtliche Ausführungen zu dem Tatkomplex Wegnahme einer Schwarze Sonne Halskette und zitierte eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1930 und einen Kommentar, nach dem keine Zueignungsabsicht vorliege, wenn der Täter bei der Wegnahme einer Sache vor hatte, die Sache zu zerstören oder wegzuwerfen. Der Angeklagte Valentin S. habe die Kette mit der schwarzen Sonne, die er einem Geschädigten am Bremer Hauptbahnhof entwendet haben soll, in die Weser geworfen und damit nicht die Absicht gezeigt, die Sache wenigstens vorübergehend behalten zu wollen. Der Tatbestand des Diebstahls sei deshalb nicht erfüllt.
Zusammenfassung der Verteidigung zu verschiedenen Tatkomplexen
Auch bezüglich der übrigen Tatvorwürfe trägt der Verteidiger vor, es liege kein Tatverdacht vor. Bei dem Vorfall am Verdener Eck habe der Angeklagte entgegen früheren Vorbringens der Staatsanwaltschaft keine Quarzhandschuhe getragen. Der Blumenkübel habe deutlich weniger als die von der Polizei angegebenen elf Kilo gewogen und der Angeklagte habe den Geschädigten F. damit lediglich an der Schulter, nicht am Kopf getroffen. Die Qualifikation der Körperverletzung mit einem gefährlichen Werkzeug könne nicht angenommen werden. Bei den Tatkomplexen Bushaltestelle, Kurfürstenallee, Alwinenstraße und Vor dem Steintor könne der Angeklagte nicht als Täter identifiziert werden. Der Täter im Komplex Rostock sei nach den Angaben der Zeug_innen deutlich kleiner als der Angeklagte. Bei dem Tatkomplex Diebsteich sei auf dem Video der Angeklagte zwar zu sehen, jedoch nicht bei der Begehung einer Straftat. Damit blieben nur die von dem Angeklagten bereits eingeräumten Taten übrig.
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erwiderte darauf, für ihn stelle sich die Beweislage anders dar. Betreffend den Tatkomplex S-Bahnstation Diepsteich sei die Rechtsprechung des BGH zur Drittortauseinandersetzung zu berücksichtigen. Danach liege in solchen Fällen keine Notwehr vor. Er widersprach der Inaugenscheinnahme des Videos jedoch nicht.
Zeuge Kriminalhauptkommissar Q. Ursprung allen Kübels
Als Nächstes wurde der Zeuge Kriminalhauptkommissar Q. gehört. Er war an den Ermittlungen bezüglich des auf dem Video zu sehenden Blumenkübels beteiligt. Der Zeuge gab an, dass die Ermittlungen ergeben hätten, dass der Blumenkübel als Schlaginstrument gegen den Geschädigten F. eingesetzt worden sei. Das Wiegen des Kübels habe ein Gewicht von elf Kilo ergeben. Der Vorsitzende hielt ihm vor, im Protokoll stehe zwölf Kilo. Daraufhin korrigierte der KHK seine Angabe. Er beschrieb den Kübel. Dieser sei weiß, aus Plastik und mit Erde gefüllt gewesen. Die Zeuginnen, die beim Wiegen anwesend waren, seien aus dem Haus gekommen. Er und sein Kollege hätten die Personalien nicht aufgenommen, weil die beiden Personen in den Ermittlungen nicht hätten auftauchen wollen. Auf Nachfrage gab der Zeuge an, der Kübel sei mit frischer Blumenerde locker und etwa zu dreiviertel befüllt gewesen. Die Erde sei nicht durchtränkt und es seien keine Pflanzen darin gewesen. Der Vorsitzende zeigte auch diesem Zeugen den terracotta-farbenen Kübel. Der KHK wiederholte daraufhin, in seiner Erinnerung sei der Blumenkübel weiß gewesen. Die rechteckige Form und die Größe würde allerdings passen. Auf weitere Nachfrage gab der Zeuge an, das Video bereits vor den Ermittlungen gesehen zu haben. Der Verteidiger fragte daraufhin noch, ob ihm die aus der rechten Szene stammende Fehlinformation, dass der Blumenkübel aus Ton gewesen sei, bekannt sei. Damit sei die erhebliche Gewichtsangabe zu erklären. Der Zeuge verneinte dies jedoch. Er habe den Kübel selbst auf die Waage gestellt, dieser habe ganz darauf gestanden und der Zeuge habe auch die Anzeige noch vollständig sehen können.
Als Nächstes wurden die Chats aus einem in der Zelle des Angeklagten Valentin S. in der JVA Bremen gefundenen Handys im Wege des Selbstleseverfahrens in den Prozess eingeführt. Die Konversationen über den Nachrichtendienst WhatsApp zwischen den Angeklagten Valentin S. und Wesley S. sollten dabei “das Verhalten des Angeklagten in der JVA” darstellen, so der Vorsitzende.
Zeuge JVA Beamter W.
Der Zeuge W. wurde gehört. Es handelt sich dabei um den Justizvollzugsbeamten, der das erste Handy in der Zelle des Angeklagten in der JVA Bremen gefunden hatte. Er berichtete, das Handy während einer Haftraumkontrolle auf dem Tisch habe liegen sehen. Es sei an ein Ladekabel angeschlossen gewesen. Auf Nachfrage gab er an, dass die Haftraumkontrollen täglich zwischen 9 und 11 Uhr stattfanden, wenn die Insassen bei der Arbeit seien. Es habe sich bei dem von ihm gefundenen Handy um ein Alcatel gehandelt. Das Handy sei eingeschaltet gewesen. Der Zeuge sagte aus, er habe das Handy sicher gestellt, im Büro abgegeben und eine Meldung geschrieben. Von dort aus würden sichergestellte Gegenstände in die Revision kommen und dem betreffenden Insassen ein Bericht zugestellt. Auf weitere Nachfrage gab der Zeuge an, bei der Zelle des Angeklagten handele es sich um eine Einzelzelle, zu der alle Vollzugsbeamt_innen einen Generalschlüssel hätten. Zusätzlich sei die Zelle noch durch einen Riegel gesichert, der vorgeschoben werden könne.
Zeugin JVA Beamtin O.
Dann wurde die Zeugin O. gehört. Sie hatte als Justizvollzugsbeamtin das zweite Handy in der Zelle des Angeklagten gefunden. Im Rahmen einer Haftraumkontrolle habe sie das Handy zwischen der gefalteten Wäsche des Angeklagten in seinem Schrank in einer Socke gefunden. Es sei auch ein Ladegerät dabei gewesen. Es habe sich dabei um ein Handy der Marke Samsung gehandelt, das nicht eingeschaltet gewesen sei. Die Zeugin berichtete, sie habe das Handy in die Revision gebracht, wo es der Habe des Angeklagte zugeführt worden sei. Es sei zudem ein Disziplinarverfahren gegen den Angeklagten eingeleitet worden. Der Verteidiger des Angeklagten machte hierzu eine Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO, dass das Ladegerät nicht zu dem Handy gepasst habe und keine SIM-Karte in dem Handy gewesen sei.
Schließlich wurde das Video zum Tatkomplex Verdener Straße zu den Beweisthemen Blumenkübel und Bekleidung des Angeklagten Valentin S. in Augenschein genommen. Aus dem Video wurde fünf Lichtbilder gefertigt, von denen drei den Angeklagten zeigten, wie er die Szene mit der Bierkiste beobachtete. Auch das Video zum Tatkomplex Diepsteich wurde in Augenschein genommen, in dem der Angeklagte Valentin S. mit roten Handschuhen zu erkennen ist. Außerdem zeigte der Vorsitzende noch ein Foto der beiden Angeklagten mit geballten Fäusten vor der JVA Bremen, das von dem beschlagnahmten Handy des Angeklagten Wesley S. aus dem Ordner “Whats App Chat mit Valentin” stammte.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen
Der Prozess wird am Freitag, 13.05.2016, in der Strafkammer des LG Bremen, Raum 218, fortgesetzt.
Zehnter Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras
Am Dienstag, den 12.04.2016, wurde die Untersuchung des Tatkomplexes ‘Gewaltsame Auseinandersetzungen rivalisierender Fußballfans auf einer Hamburger S-Bahnstation’ vorgenommen. Zunächst wurde über den Befangenheitsantrags gegen das Gericht entschieden, den die Verteidigung am letzten Prozesstag eingebracht hatte.
Das Gericht sieht sich nicht befangen
Verteidiger Sürig hatte zuletzt am neunten Prozesstag einen Befangenheitsantrag gegen die prozessbeteiligten Richter_innen gestellt. Der Antrag wurde nun als “unbegründet” von der Kammer des Landgerichts zurückgewiesen. So sei die bisherige Arbeit der Richter_innen weder “rechtsfehlerhaft” oder von einer “inneren Haltung” geprägt, die schon im Vorfeld von einer Schuld der Angeklagten überzeugt gewesen sei. Dies solle nach Auffassung des Vorsitzenden auch schon deshalb deutlich geworden sein, da eingeräumt worden war, das Verfahren zum Tatkomplex ‘Körperverletzung durch Steinwurf gegen Journalisten bei einem NPD Aufmarsch in Rostock’ einzustellen, an einer Schuld des Angeklagten in dieser Sache sei folglich nicht von Anfang an ausgegangen worden. Es könne auch insgesamt nicht behauptet werden, dass es dem Gericht darum gegangen sei, eine “Blamage der Justiz und Polizei” abzuwenden. Die Forderung eines biometrischen Gutachtens sei in dem Zusammenhang ebenso zurückzuweisen. Bei so genannten “Großverfahren”, sei stets ein “einfaches und beschleunigtes Verfahren” anzustreben. Da biometrische Gutachten zeitaufwendig seien, widerspreche das Festhalten an einem solchen Gutachten diesem Grundsatz.
Stellungnahme AKJ Bremen zur Abweisung des Befangenheitsantrags
Die Kritik die der AKJ Bremen an diesem Verfahren hat wurde bereits in den letzten Berichten von uns dargelegt und bleibt unverändert. Der nun ergangene Beschluss der Kammer zeigt erneut keine Einsicht über den ursprünglichen Mangel an dem das gesamte Verfahren krankt. Die zuständigen Richter_innen haben nicht erkennen lassen, dass für sie insgesamt ein Freispruch für die Angeklagten genauso offen bleibt wie eine Verurteilung. Sondern leiten mit der bloßen vorläufigen ‘Einstellung’ des Anklagepunktes ‘Körperverletzung durch Steinwurf auf einer NPD Demo’ lediglich ein, dass für sie weiterhin die Überzeugung besteht, am Ende des Verfahrens eine ‘erhebliche Strafe’ für die Angeklagten zu erwarten; wenn nicht gar anzustreben. Auf eine Einstellung zu bestehen, sichert hier nur das weitere trotzige Verfahren der Justiz ab. Mit Zitaten juristischer Kommentarbüchern die Abweisung des Antrags zu rechtfertigen, warum Befangenheit nicht vorliegen könne, hat nichts mit einer konkreten, nachvollziehbaren Begründung zu tun, die der Öffentlichkeit Transparenz darüber verschafft, warum das Gericht nicht befangen sei. Sondern versteckt weiterhin die trotzige Haltung der Justiz hinter oberflächlichen Erklärungen darüber, wie die Hausaufgaben der Strafjustiz nach herrschender Auffassung von Rechtswissenschaftler_innen grundsätzlich auszusehen haben und wie sich die Justiz dahingehend selbst in ihrer bisherigen Mitarbeit darin benotet. Unter anderem Begründet sie ihre gute Note damit, dass sie keine Innere Haltung habe, die bereits von einer Schuld der Angeklagten überzeugt sei.
Die faktische “innere Haltung” der Richter_innen war und ist die Überzeugung, mit einer hohen Strafe für die Angeklagten zu rechnen. Da liegt der Ursprung der Befangenheit und der Widerspruch, der zu einer vorläufigen Einstellung statt zu einem entsprechenden Freispruch führt. Denn worauf stützte sie zu Beginn und worauf stützt sie weiterhin diese Annahme; nach all dem was bisher objektiv vorliegt. Wie es scheint, allein auf die bloßen Behauptungen der Staatsanwaltschaft. Und diese Staatsanwaltschaft hatte es im Ermittlungsverfahren mit dilettantisch operierenden Behörden, voreingenommenen Behauptungen und Spekulationen seitens der Polizei zu tun. Sowie mit stark alkoholisierten, neonazistischen oder mit Schädigungabsicht auftretenden Zeug_innen. Folglich einem Haufen zurechtgedrehter Behauptungen und Spekulationen auf dem schlussendlich alles gründet.
Es ist gerade zu absurd, wenn ein Gericht mit dieser Beweislage und mit Zitaten aus den juristischen Kommentaren beinah alle Anträge abschmettert und in ihrer Eitelkeit allein darauf ihre Ablehnung abstellt. Gerade hier müsste sie ein Interesse haben, den Zweifel der Öffentlichkeit zu beseitigen, die Beweismittel könnten von Anfang an nicht dem Anklageersuchen der StA genügt haben, und um Art. 6 EMRK gerecht zu werden, bemühe das Gericht sich wenigstens nun um ein faires Verfahren. Sich ausgerechnet jetzt auf den Beschleunigungsgrundsatz zu berufen, sowie ernsthaft auf eine metaphysisch hergeleitete, unbefleckte “Innerlichkeit” der zuständigen Richter_innen, zur Frage der eigenen Befangenheit, betoniert eine fortwährende Asymmetrie zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Für “fair und schnell” ist aus unserer Sicht von Anfang an kein Raum gewesen, dies haben wir oft genug dargelegt und dient aus unserer Sicht dem Gericht inflationär als billiger Zurückweisungsgrund für alle Anträge die eine ‘Blamage der Justiz und Polizei’ objektiv belegen könnten.
Wie unwichtig der Polizei und Justiz eine saubere Beweisführung und die Details der angeblichen Taten der Angeklagten von Anfang an war, zeigte sich bspw. an dem Tatmittel ‘Blumenkübel’ das nicht vom Tatort ‘Verdener Eck’ durch die Behörde mitgenommen wurde. Stattdessen legte die Polizei einfach 12 KG Gewicht für das Tatmittel fest und damit den Ermittlungen der StA zu Grunde. Das sie sich gar nicht in der Rolle sah, die angebliche Brutalität des Angeklagten zu beweisen, demonstriert sich daran, das sie weder Spuren daran sichern ließ, noch das tatsächliche Gewicht von 800 Gramm entlastend feststellte. Es passte den Ermittlern gut ins Bild von einem 12 KG Gegenstand zu sprechen, der angeblich brutal auf einen unbescholtenen Fußball schauenden Bürger geworfen wurde. Das ein rechter Hooligan mit 800 Gramm leicht getroffen wurde, wäre mangels passender Skandalwirkung für dieses künstlich hochgeschraubte Verfahren folglich ohne Belang geblieben. Hierin liegt auch das Politikum, von dem sich die Justiz unbedingt frei machen will. Wir weisen daher nochmal daraufhin, dass sich für uns das gesamte Verfahren nur politisch und nicht juristisch erklären lässt. Das Urteil war schon längst gefunden, das hatte Innensenator Mäurer und die Polizeipressekonferenz damals groß angekündigt. Jetzt braucht es nur noch ein passendes Verfahren dazu.
Wir betrachten das Gericht in der Sache, trotz der entgegengesetzten Feststellung der Kammer, folglich als von Anfang an befangen. Diese Befangenheit zieht sich wie ein nicht auflösbarer Makel durch das gesamte Verfahren und kann nicht mit abstrakten Zitaten aus juristischen Kommentarstellen geheilt werden. Es ist nicht ersichtlich geworden, wieso das biometrische Gutachten nicht in das Verfahren einfließen sollte, wenn es die kausale Wirkung entfalten könnte, einen Freispruch zu erreichen. Lediglich darauf abzustellen, dass aufgrund der “Größe des Verfahrens” dieser Prozess “zu zeitintensiv” würde, wenn dem Antrag “biometisches Gutachten” stattgegeben würde, ist kein angemessener Grund. Gerade nachdem offenbar viel Zeit darauf verschwendet wurde, beliebig zu den Tatkomplexen herangezogene Polizeibeamte zu vernehmen, die überwiegend keine eigenen Wahrnehmungen bezeugen konnten, oder sich hinter ihrer fehlenden Aussagegenehmigung versteckten. Obgleich bspw. ermittelnde Beamte, wie Martin W., eine voreingenommene Ermittlung geführt hatten, die auf dem rechten Auge offenbar blind sein wollte. Dies ist so gravierend, dass dies eine Prüfung fǘr ein eigenes Ermittlungsverfahren nach § 344 StGB gegen diese Beamten schon für sich rechtfertigten würde. Warum nicht auch gegen den Staatsanwalt in dieser Sache ermittelt wird, erklärt sich aus dem Selbstschutz-System der Justiz, die ihre eigenen Leute kraft Gesetz nicht auf der Anklagebank sehen will und wenn doch, die Hürden so hoch sind, das Willkür dieser Organe faktisch unbestraft bleibt.
Mit dieser gegenwärtigen Form, schablonenhaft unhaltbare Behauptungen oberflächlich abzuprüfen, eine Entpolitisierung nach Außen zu vollziehen, die alles was offenbaren könnte, dass es sich um einen politischen Prozess handelt wegdrücken soll. Das bekannte Faschisten an dem Grund für das gerichtliche Spektakel durch Falschbehauptungen mitgewirkt hatten, wird gänzlich ausgeklammert. Mit einseitigen Dauerbefragungen etlicher Polizeibeamter mit seltsamen Erinnerungslücken, konnte die Justiz bislang Monate verbringen und die Angeklagten wirtschaftlich unnötig belasten. Für ein biometrisches Gutachten oder die Anhörung entlastender Zeug_innen bleibt indes keine Zeit.
Der Staatsanwalt wiederholt dafür Gebetsmühlenartig, dies alles und was da noch kommen möge, würde noch das gewalttätige, gefährliche Verhalten der Angeklagten offenbaren und ihre Schuld objektiv beweisen. Da fragen wir uns, wann dieser Moment nach zehn Verhandlungstagen kommen wird, und ob das gesamte Verfahren allein dem Schlussplädoyer der Staatsanwaltschaft zu dienen hat oder irgendwann noch einmal auch der Wahrheitsfindung. Denn wodurch kann ein gewalttätiges Bild über die Angeklagten skizziert werden, wenn bisher keine Tatbeteiligung an den Vorwürfen bisher zweifelsfrei belegt werden konnte. Schließlich ist es nicht ausreichend das Videomaterial ‘Verdener Eck’ zur Grundlage dieses Verfahrens zu machen, auf dem sich im letzten Jahr Polizeigewerkschaft, Innensenat und Medien blind stürzten und nun konsequent zu den Ergebnissen, das es alles nun doch ganz anders gewesen sein könnte, schweigen.
Die jetzigen Erkenntnisse, das nichts zweifelsfrei erkannt wird, wären bei sorgfältiger Prüfung der Akten bereits vor Anklage ersichtlich geworden und noch vor Anklage wäre die Einstellung mangels ausreichender Beweislage zwingend erfolgt. Übrig geblieben wäre die Geständigkeit des Angeklagten Valentin S. zu dem Fall ‘Verdener Eck’ und zwei geringfügiger Straftaten. Das Amtsgericht wäre in dessen Folge allein ausreichend gewesen, um darüber zu befinden. Das nennen wir echte Prozessökonomie und nicht das verspätete Abschmettern von Gutachten, Anträgen und jedweder Kritik in einem gewaltigen Schauprozess auf Landesebene. Als Verantwortliche für die Größe und den Umfang des Verfahrens, das nun geführt wird, auf ein “beschleunigtes Verfahren” zu pochen, um den Anträgen der Verteidigung keinen Raum geben zu müssen, ist schlichtweg grotesk. Schließlich hatte das Gericht selbst unnötig für ein langsames und kostenintensives Verfahren gesorgt, in dem sie ungerechtfertigt von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgegangen war, dass es zu einer Verurteilung in allen Punkten kommen würde.
Der Prozess ist zur Farce verkommen und wir protestieren an der Stelle, da trotz so einer mangelnden Beweislage, dem Festhalten an subjektiven Eindrücken und abstrakten “inneren Vorgängen” der Richter, gravierender Verfahrensfehler und Vorverurteilungen während der Ermittlungen, dennoch stur an einer weitere Fortsetzung eines politischen Schauprozesses festgehalten wird. Ein Prozess, der mit einer zu erwartenden Objektivität einer unbefangenen, freien Justiz und unvoreingenommenen Beweiswürdigung nichts gemein hat.
Verwertungsverbot zweiter Versuch
So war es folgerichtig, dass der Vertreter des Prozessbevollmächtigen Sürig, der in Person an diesem Tag verhindert war, einen weiteren Antrag stellte. Der Vertreter beantragte weitere Bremer Beamte als Zeug_innen der Hausdurchsuchung zu vernehmen. Geklärt werden soll mit diesem Antrag, wie es dazu gekommen sei, dass der Angeklagte exakt zu dem Zeitpunkt gegen sein Willen aus seinen Räumen entfernt und zu einer DNA Entnahme auf einer Polizeistation verbracht wurde, zu dem Knallkörper in seinen Räumen aufgefunden worden sein sollen. So sei die Maßnahme der Durchsuchung nicht nur zum gleichen Zeitpunkt begonnen worden, sondern ebenfalls zum gleichen Zeitpunkt beendet worden, wie auch die fragliche DNA Untersuchung, so der Vertreter Sürig’s. Es sei während sich der Beschuldigte noch in den Räumen aufgehalten habe, keine Knallkörper entdeckt worden, aber ausgerechnet zu dem Zeitpunkt der widerrechlichen Entfernung des Beschuldigten aus seiner Wohnung.
Wir verweisen darauf, dass es das Recht eines Beschuldigten ist, der belastenden Hausdurchsuchung als Zeug_in beizuwohnen, sogar ggf. sich Zeug_innen dazu zu holen. Sowie über Durchsuchung und Beschlagnahme einen Beleg zu erhalten. Dazu ist es jedoch zwingend erforderlich, dass Staatsanwaltschaft und Polizei nicht daran mirwirken, dieses Recht zu verunmöglichen; solange der Beschuldigte nicht die Maßnahme als solches durch negative Einwirkung auf die Durchsuchung behindert. Verfahrensfehler bei einer Hausdurchsuchung können allerdings nur grundsätzlich zum Beweismittelverwertungsverbot führen. Nicht jede Hausdurchsuchung ohne Anwesenheit des Beschuldigten führt auch zu einem Vewertungsverbot.
Im Ergebnis seien die vermeintlich sichergestellten Knallkörper als Beweismittel für die Verteidigung folglich nicht verwertbar. Ein Freispruch in der Sache werde deshalb gefordert.
Tatkomplex: Gewaltsame Auseinandersetzungen an einer S-Bahn Station in Hamburg
Als erster Zeuge wurde der Beamte Stefan H. geladen. Seine Funktion war es als Bundespolizist und Koordinator des Aktenvorganges die Videodaten über den Tatkomplex zu sichern und auszuwerten.
Vor der genaueren Vernehmung bestand Wesemann darauf einen Antrag zu Protokoll zu nehmen, die Befragung des Zeugen abzubrechen. Es sei unzulässig den Zeugen zu Ereignissen zu befragen, bei dem der Zeuge nicht selbst anwesend war. Nach einer kurzen Unterbrechung wurde der Antrag durch Beschluss zurückgewiesen und die Befragung des Zeugen fortgesetzt.
Den Tathergang erlebte der Zeuge nicht unmittelbar selbst, sondern entnahm seine Eindrücke allein den polizeilich geführten Akten und aus gesicherten Videomaterialien. Der Zeuge wurde auch nicht als Gutachter zur Sache befragt. Seine Vernehmung dennoch zuzulassen und zu würdigen ist nach unserer Auffassung der StPO fremd.
Der vorsitzende Richter fragte nach dem was sich am Tag der Auseinandersetzung konkret ereignet hat. Der Zeuge schilderte zunächst die Tatsache, dass an dem Tag das Nordderby Hamburger SV gegen SV Werder Bremen stattgefunden habe. Hier sollen sich traditionell verfeindete Fußballfans gegenüber stehen und eine übliche Lage für die Polizei bestehen und die Polizei üblicherweise massiv aufgestellt sein.
Trotz des massiven Polizeieinsatzes soll es auf der S-Bahnstation ‘Diepholz’ zu einer Gewaltorgie gekommen sein, bei dem sich duzende Personen gegenseitig geschlagen haben sollen. Dabei sollen Passant_innen, die in der ankommenden S-Bahn reisten, willkürlich involviert worden sein. Insgesamt sollen ca. 100 Fans sich mit 100 gegnerischen Fans zu dieser Schlägerei verabredet haben. Wie es aus Sicht des Zeugen “nur für Fußball-Hooligans üblich” sei.
Weiter fragte Verteidiger Wesemann, von wem die Informationen gekommen seien. Hierzu antworte der Zeuge, die Informationen seien von dem Beamten M. gekommen. Welcher selbst vor Ort gewesen sein soll. (Der als Zeuge diesem Zeuge im Prozess nachfolgt)
Weiter schilderte der Zeuge: Trotz der teilweise “abgeklebten Kameras” im S-Bahn Wagon, soll es Erkenntnisse zugelassen haben, dass die Beteiligten der Auseinandersetzung sich mit Mundschutz und speziellen Handschuhen und Sturmmasken passiv im Wagon bewaffnet hätten. Die Gruppe der Hamburger_innen sollen zum vorderen Wagen gelaufen sein und die Gruppe der Bremer_innen soll aus dem Tür-Ausgang der Bahn heraus gewirkt haben. Es sei schnell zu einer extremen Auseinandersetzung auf dem Bahnsteig zwischen den Gruppen gekommen. Hierbei seien Flaschen, Stangen (aus Plastik), Pyrotechnnik eingesetzt worden. Die “tumultartigen Szenen” in der S-Bahn sollen auch unbeteiligte Passant_innen in die Auseinandersetzung hineingezogen haben. So sollen Reisende angebrüllt worden sein, die Bahn zu verlassen. Dies habe der Zeuge alles dem ausgewerteten Videomaterial und Akten entnommen.
Der Vorsitzende hielt dem Zeugen ein Bericht vor, nachdem es auch zu einem Raubdelikt gekommen sein soll. Hierzu erklärte der Beamte: Einem Hamburger Fan soll bei der Auseinandersetzung ein Trikot ausgezogen und weggenommen worden sein. Dies brachte der Fan zur Anzeige. Dieses Delikt sei nach Aussage des Beamten von der Gruppe der Bremer_innen ausgegangen.
Verteidiger Wesemann befragte den Zeugen, warum dieser darauf käme. dass es sich dabei unweigerlich um Bremer Fans gehandelt haben müsse. Darauf antwortete der Zeuge, dies ergebe sich “einfach aus dem Gesamtkontext”. Weiter fragte Wesemann: “Aber wieso sollen das konkret Werderfans sein”. Der Zeuge verwies darauf, dass es schlicht die Erkenntnis der Behörde sei, dass “sehr sehr viele” den Bremern zuzuorden waren. So sei es ein “Wagon mit Bremern gewesen, wo die drin gesessen” hätten. Wesemann entgegnete dem: “Sagen Sie bitte, dass sie gar nicht wissen, das es sich um Werder Fans handelte”.
Zivilbeamter vor Ort in Angst und Schrecken
Der zweite Zeuge, Polizeibeamter Olaf M., der in Hamburg tätig ist, war am Tag des Geschehens als Zivilfahnder unter der Fangruppe ‘Bremen’ mitgereist, um deren Tun zu beobachten und zur weiteren Koordination des Polizeieinsatzes Informationen an seine Kollegen zu übermitteln.
So soll es dem Tag “ungewöhnlich” gewesen sein, dass diese Fangruppe nicht wie üblich an so einem Spieltag an einer S-Bahn Station verblieb, um auf einen Bus zu warten, sondern in eine andere S-Bahn Richtung ‘Diepsteich’ stieg. Er und seine ebenso zivil gekleideten Kollegen hätten sich aufgrund dieser Auffälligkeit kurzfristig entschlossen, mit in die selbe S-Bahn zu steigen und seien in letzter Sekunde vor dem Türen schließen zugestiegen. In der Bahn sei nun eine “Horde vermummter Bremer” gewesen. Gleich danach sei “das Chaos losgegangen”. Hierbei seien Flaschen geflogen, Stangen eingesetzt worden und es habe sich eine extreme Schlägerei entwickelt. Er habe sich rechts an das Treppenhaus des Bahnsteigs geflüchtet. Sogleich habe er sich dann als Polizei zu erkennen gegeben und wollte per Funk die Auseinandersetzung durchgeben. Die “Funke war tot”. Er habe keine Antwort auf seinen Funkversuch erhalten. Weiter will der Beamte beobachtet haben, wie “viele ins Gleisbett gesprungen” seien. Dort sollen die Personen sich Steine genommen haben. In dieser Situation “hatte ich schon Angst”, bemerkte der Beamte. Dabei soll er im Schrecken über die Stufe der Eskalation, seine mitgeführte Schusswaffe den mutmaßlichen Täter_innen um sich herum gezeigt haben, um diese von weiteren Taten abzuschrecken und um sich vor möglichen Angriffen zu schützen. Als die Polizeikräfte hinzu kamen, seien die HSV Fans über das Gleisbett geflüchtet.
Der Vorsitzende wollte in Erfahrung bringen, ob denn Bremer Fans wieder in die Bahn gestiegen seien. Der Zeuge gab an, das zum Teil dies so gewesen sei. Auf die Frage wie viele es gewesen seien, konnte der Zeuge sich nicht erinnern. Ob denn die Bahn weggefahren sei, konnte der Zeuge nicht sagen. Er glaube, die Bahn sei durch die Polizei auf der Strecke irgendwo festgesetzt worden. Weiter wollte der vorsitzende Richter wissen, ob denn dieses Ereignis ungewöhnlich für ein Nordderby gewesen sei. Dies beantwortete der Zeuge mit seiner Rolle als Zivilfahnder: “Für ein Nordderby nicht, aber für mich war das neu”.
Zu der Frage der Stangen die beide Gruppen wohl bei sich führten, gab der Zeuge an, diese irrtümlich für Metallstangen gehalten zu haben. Später soll ihm klar geworden sein, dass es sich dabei um Plastikstangen handelte, wie sie üblicherweise auch für Fahnen verwendet werden. Ob der Beamte klar zuordnen konnte, ob es sich um Bremer Fans handelte, entgegnete der Zeuge, dies sei ihn teilweise klar gewesen, da einige Schals, Zeichen und Jacken dieser Fangruppe getragen hätten. Weiter erkannte der Zeuge eine Person die wohl nur in Unterwäsche das Gleis verlassen haben soll. Eine weitere habe Nasenbluten gehabt. Ob Passant_innen in Mitleidenschaft gezogen wurden, konnte der Beamte nicht bestätigen. Wer denn zuerst die Auseinandersetzung begonnen habe, bezeugte der Beamte, dies sei von den HSV Fans ausgegangen.
Auf die Frage, ob die Steine auch tatsächlich geworfen wurden, bestätigte der Beamte, diese seien in seine und in in Richtung seiner Kolleg_innen geworfen worden. Besondere Merkmale seien dem Beamten insgesamt nicht aufgefallen. Solche Beobachtungen will der Beamte auch deswegen nicht gemacht haben, weil dieser erklärte: “Wir mussten auch erstmal unsere eigene Haut retten”. Weiter sagte der Beamte: “Trotz dessen, dass ich meine Schusswaffe dabei hatte und zeigte, trotzdem noch so einer Eskalation ausgesetzt zu sein, brachte mich ernsthaft auf den Gedanken diese Schusswaffe auch einzusetzen”.
Zu der Frage der passiven Bewaffnung der Fangruppen fragte der Verteidiger Wesemann, ob es denn besonders ungewöhnlich sei, wenn Menschen sich im November Handschuhe anzögen. Auch wurde die Stabilität der Stangen besprochen. So wurde es nicht bestritten, dass die Stangen aus PVC waren und max. 55 mm Umfang hatten. Weiter wurde in Erfahrung gebracht, das die Zivilfahnder sich bereits um 10 Uhr Morgens auf dem zu erwartenden Einsatzort Poptown/Stresemannstr. befanden. Erst gegen 12.15 Uhr hätten sich ca. 80 – 100 Personen dort vor dem Fanhaus versammelt, die im späteren Verlauf sich als Gruppe Richtung Bahnsteig ‘Diepholz’ bewegt haben soll.
Viele Bilder nichts Aussagekräftiges
Nachfolgend wurden Lichtbilder und Videomaterial zur Augenscheinnahme eingebracht. Auf den Bildern und Videos sind Sequenzen zu sehen, die sich vor dem Tunnel zum Gleis der S-Bahn ‘Stellingen’ abspielten und durch die Polizei vor Ort aufgezeichnet worden war. Sowie Videos aus der Bahn und auf dem Gleis. Das erste Video zeigt zwei Gruppen, die durch Polizei voneinander abgegrenzt werden. Die eine Gruppe ist durch ihre Trikos und Schals eindeutig als Hamburger SV Fans zu erkennen. Dies belegt auch deren Rufe. Die andere Gruppe die aus dem S-Bahn Tunnel mit Spalier der Polizei an den Hamburger_innen vorbeigeführt wird, ist nicht klar als Bremer Fangruppe zuzuordnen. Diese sind überwiegend dunkel gekleidet und haben keine offensichtlichen Embleme eines Vereins. Beim Vorbeilaufen skandieren die HSV Fans unter anderem der Gruppe der Bremer hinterher: “Bremer, Bremer Hurensöhne”, “Scheiß Werder Bremen”, “Eins kann uns keiner nehmen und das ist der pure Hass auf Bremen”.
Nach diesen vorhersehbaren Provokationen rivalisierender Fanblocks kommt es kurz zu kleinen Rangeleien vereinzelter Personen, die durch die anwesenden BFE vor irgendwelcher nennenswerter strafbaren Handlungen abgehalten wird. Der Block der als Bremer_innen abgegrenzt wurde, bewegt sich geschlossen in Richtung eines Unterführungstunnels, weg von dem HSV Block. Im weiteren Verlauf des Videos bleibt es friedlich, es werden Fanparolen skandiert und Choreographien mit positiven Bezug auf den Verein ‘SV Werder Bremen’. Beim Anhalten des Fanblocks durch die Polizei in diesem Tunnel, wurden durch die Beamten manche Personen mit Nahaufnahme aufgezeichnet. Nach einigen Minuten kann der Zug weiter laufen und das Video endet. Die Angeklagten sind für Prozessbeobachter_innen aus der Entfernung zwischen Zuschauerbank und Richterpult, in einem Gerichtssaal so groß wie eine Schwimmhalle, auf dem Video insgesamt nicht zu erkennen.
Es ist fraglich inwieweit der Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes gewahrt ist, wenn es der Öffentlichkeit nicht möglich ist genauso Einblick in Video und Fotomaterial zu erhalten, die für ein Urteil von Bedeutung sind, wie es den Prozessparteien selbstverständlich ist.
Nach Augenscheinnahe diese Videos beantragt Verteidiger Wesemann festzuhalten, dass auf dem Video keine einzige Person von ihm erkannt worden sei. Der StA widersprach dem Ersuchen und behauptete Valentin S. erkannt zu haben. Wesemann verlangte ein Protokoll darüber, was der vorsitzende Richter auf dem Video gesehen habe. Darauf antworte der betreffende Richter: “Sowas machen wir nicht!”:
Das zweite Video wurde in Augenschein genommen. Dieses soll die Szenen auf und um dem S-Bahnsteig zeigen und die Beteiligung des Angeklagten Wesley S.
Das erste Video zeigt die Überwachungskamera zum Treppenaufgang S-Bahn Station. Zu erkennen ist eine große Gruppe die zunächst in Ruhe die Treppe hinauf geht und wenige Zeit später vereinzelt Personen wieder die Treppe herunter rennen. Der StA will dabei den Angeklagten Wesley S. erkannt haben. Der Vorsitzende wies die Erklärung zurück. Dieser sei in dieser Sache gar nicht angeklagt. Der StA dazu: “Aber das ist in dem Zusammenhang vielleicht wichtig!”. “Dies braucht aber in dem Zusammenhang nicht geklärt werden”, so der Richter ablehnend.
Auf dem weiteren Videos sind aus verschiedenen Perspektiven eine mittelgroße Gruppe nahe der Kamera zu sehen. Davon ein Teil vermummt und sichtlich aufgeregt. Dann fährt die S-Bahn ein und es rennt diese Gruppe auf die Eingänge die stehende S-Bahn zu. Einer öffnet eine Tür. Kurz darauf beginnen verschiedene körperliche Auseinandersetzungen zwischen zwei Gruppierungen im und vor der Bahn. Manche rennen nach einer kurzen Zäsur aus anderen Türen der Bahn den Steig herunter. Die Rangelei und mögliche Tatbeiträge sind unübersichtlich bis gar nicht zu erkennen. Durch das Abzünden von Pyrotechnik wird dieser Eindruck noch weiter verstärkt. Aus der Entfernung der Zuschauerbank lässt sich keine Person eindeutig erkennen. Das mag auch damit zusammenhängen, das beinah alle Beteiligten auf den Sequenzen vermummt sind.
Der StA will eine Person mit roten Boxhandschuhen ausgemacht haben, die der Angeklagte Wesley S. sein soll. Dem entgegnete Wesemann: “Ich kann nur die Agression der HSV Fans erkennen. Wenn, dann wehrt sich die Person bestenfalls, weil sie angegriffen wird”.
Die Prozessbeobachtung konnte zwar etwas rotes erkennen, das wie Boxhandschuhe aussieht. Aber weder dies deutlich erkennen, noch die Person eindeutig die diese Handschuhe trug. Absolut gar nicht zu erkennen war irgendeine strafbare Handlung, die von dem vermeintlichen “Boxer” ausgegangen sein soll. Das Tragen von Boxhandschuhen mag in der Öffentlichkeit eines Bahnsteiges sozial unüblich sein. Es stellt für sich aber noch keine strafbare Handlung dar.
Die Verhandlung wird am 14.04.2014, um 09.00 Uhr, im Landgericht Bremen fortgesetzt.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen
Neunter Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras
Willkürliche Abweisung von Zuschauer_innen
Bereits vor der Eröffnung des 9. Prozesstermins, dem 22.03.2016, zur Hauptverhandlung gegen antifaschistische Ultras, wurde der Verteidiger des Angeklagten Wesley S. aus dem Publikum heraus darauf hingewiesen, dass Zuschauer_innen unten am Eingang zu den Einlasskontrollen mit der Begründung abgewiesen wurden, es seien bereits alle Plätze im Saal belegt. Das war offensichtlich nicht der Fall; der Zuschauerraum war nicht annähernd gefüllt und so stellte der Verteidiger Sürig in der dann eröffneten Hauptverhandlung den Antrag, die Personalien des betreffenden Polizeibeamten zu späteren möglichen Beweiszwecken aufzunehmen. Er warf dem Polizisten vor, den Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt zu haben und begründete seinen Antrag vor allem damit, dass lediglich Justizbeamte und nicht die dem Verfahren aus Sicherheitsgründen beiwohnenden Polizisten die Befugnis hätten, Zuschauer_innen wegzuschicken. Der betreffende Polizeibeamte gab einen “Zählfehler” zu. Dem später gestellten Antrag gab das Gericht statt.
Mögliche Einstellung des Verfahrenskomplexes: Steinwurf bei NPD-Aufmarsch
Nach der Eröffnung des Verfahrens tauschten die Verfahrensbeteiligten sich zunächst zum Thema ‘biometrisches Gutachten’ aus. In dem vorangegangenen Hauptverhandlungstermin hatte der Vertreter der Staatsanwaltschaft den Antrag gestellt, bezüglich des Vorwurfs ein biometrisches Gutachten zu einem Foto einzuholen, das den Angeklagten Wesley S. zeigen soll. Am heutigen Prozesstag ging es nun darum, dass seitens der Staatsanwaltschaft und des Gerichts auf die Einholung eines solchen Sachverständigengutachtens verzichtet werden würde, wenn eine Einstellung dieses Tatkomplexes nach § 154 StPO erfolgen würde. Paragraf 154 StPO, der die nichtamtliche Überschrift „Unwesentliche Nebenstrafen“ trägt, sieht eine Einstellung von Tatkomplexen vor, wenn die erwartete Strafe im Verhältnis zu der erwarteten Strafe bezüglich der übrigen angeklagten Vorwürfe nicht beträchtlich ins Gewicht fällt.
Der erste Anschein eines Vorteils für den Angeklagten Wesley S. durch die Einstellung trügt also. Vielmehr bedeutet das Angebot zur Einstellung von Gericht und Staatsanwaltschaft, dass sie bezüglich der übrigen angeklagten Tatvorwürfe eine erhebliche Strafe erwarten und ein Freispruch kaum in Betracht kommt. Deshalb widersprach der Verteidiger der Einstellung. Das Gericht erklärte zudem, dass der Vorwurf des Landfriedensbruchs aufgrund der bisher erfolgten Beweisaufnahme wohl nicht aufrechterhalten werden könne, da es an der dafür erforderlichen Teilnehmerzahl fehle. Es handele sich nach Ansicht des Vorsitzenden lediglich um einen möglichen Verstoß gegen das ‘Versammlungsgesetz’, der angesichts der übrigen angeklagten Tatvorwürfe hinter diesen zurück trete. Außerdem sei nach Ansicht des Gerichts tatsächlich anhand des Fotos nicht klar zu identifizieren, ob es sich bei der abgebildeten Person um den Angeklagten Wesley S. handele oder nicht. Der Verteidiger bemängelte daraufhin, dass die Staatsanwaltschaft erst weniger als 24 Stunden vor Verhandlungsbeginn angekündigt hatte, den Beweisantrag bezüglich des biometrischen Gutachtens zurück zu nehmen und einer Einstellung zuzustimmen. Dies würde eine Abtrennung und Entscheidung in dem Verfahren gegen den Angeklagten Wesley S. bedeuten. Angesichts dessen, dass der letzte Verhandlungstermin über zwei Wochen her sei, hätte die Staatsanwaltschaft dies schon sehr viel eher mitteilen können und der Verteidiger hätte sich auf ein Schlussplädoyer vorbereiten können, so Sürig. So liefe es darauf hinaus, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrer Rücknahme des Beweisantrags bis kurz vor dem nächsten Verhandlungstermin gewartet hätte und die Verteidigung weniger als 24 Stunden Zeit gehabt hätte, darauf zu reagieren und sich auf das Ende des Verfahrens vorzubereiten.
Der Verteidiger kam auch noch einmal auf die ‘Einstellung’ zu sprechen und kündigte für den Fall an, dass das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft eine Einstellung vornähme, einen Befangenheitsantrag wegen der Verhandlungszeit und der Intensität der Beweisaufnahme zu stellen. Er begründete dies damit, dass der Tatvorwurf, den die Einstellung betreffe, zu den schwerwiegendsten Grundrechtseingriffen gegenüber seinem Mandanten geführt habe. So wurde die Wohnungstür der Angeklagten mit einem Rammbock aufgebrochen. Der Angeklagte Wesley S. wurde zu Boden gebracht und gefesselt und die Wohnung wurde durchsucht. Der Vorsitzende betonte daraufhin, dass in der Kostenentscheidung klar gestellt werden könne, dass die derzeitige Beweislage eher für einen Freispruch als für eine Verurteilung spreche, indem der Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten Wesley S. auferlegt würden. Der Vorsitzende wollte jedoch zunächst die geladenen Zeugen hören und bat den Verteidiger, im Interesse seines Mandanten noch einmal über eine mögliche Einstellung nachzudenken.
Kritik AKJ Bremen an Taktik der vorsitzenden Richter_innen
Der AKJ kann das Verhalten des Vorsitzenden an dieser Stelle nur vehement kritisieren. Der Vorsitzende erweckte den Eindruck, der Verteidiger handele wider die Interessen seines Mandanten, wenn er einer Einstellung widersprechen sollte. Dass der Verteidiger mit einer Zustimmung zu § 154 StPO aber indirekt zugeben würde, dass die übrigen angeklagten Tatvorwürfe eine erhebliche Bestrafung erwarten ließen und keinesfalls zu einem Freispruch kommen könnten, wurde nicht deutlich. Zudem rief der Vorsitzende dem Verteidiger ins Gedächtnis, dass dieser bereits angemerkt hatte, das Verfahren bedeute für seinen Mandanten eine erhebliche finanzielle Belastung. So könnte der Eindruck entstanden sein, dass der Verteidiger entgegen der finanziellen Interessen des Angeklagten Wesley S. eine Verzögerung der Entscheidung herbeiführe. Angesichts der immer wieder von der Verteidigung bemängelten vielfachen Verfahrensverzögerungen durch die Justiz erscheint es geradezu absurd, diesen Vorwurf jetzt der Verteidigung zu machen. So kritisierte der Verteidiger aufs Schärfste, dass das Gericht unter anderem nicht begründen wollte, warum es die nahezu abwegige Anklage überhaupt zur Hauptverhandlung zugelassen hatte. Aus Sicht des AKJ Bremen sollte der Verteidiger nicht dazu gedrängt werden, auf die Aufklärung des Sachverhalts und einen eventuell möglichen Freispruch zu verzichten, um das Verfahren um jeden Preis möglichst schnell zu beenden. Dadurch wird das Recht des hier zu unrecht Angeklagten auf Freispruch massiv untergraben.
Tatkomplex: Wegnahme einer Halskette mit schwarzer Sonne Emblem
Zunächst wurde der Zeuge Kai M. zu einem Vorfall am Bremer Hauptbahnhof vernommen, bei dem ihm eine Kette mit einem Anhänger, der eine sogenannte “schwarze Sonne” zeigte, abgenommen wurde. (Die Schwarze Sonne ist das Symbol für ein Bodenornament in Gestalt eines Sonnenrades, das in der Zeit des Nationalsozialismus von der SS im Nordturm der Wewelsburg eingelassen wurde. Als Symbol wird diese schwarze Sonne in der Neonaziszene auch als Erkennungscode offen getragen.) Der Zeuge sagte aus, er sei mit drei Begleitern auf dem Rückweg von der Osterwiese gewesen und sei auf dem Bahnsteig auf drei männliche Personen getroffen, die ihn angesprochen hätten. Er gab an, die Personen hätten sich um ihn herum aufgestellt. Eine der Personen habe ihn aufgefordert, die Kette heraus zu geben. Eine oder zwei der übrigen Angreifer hätten ihm angedroht, wenn er die Kette nicht abnehme, gäbe es „was auf die Fresse“.
Der Zeuge gab an, die Kette sichtbar über dem Shirt getragen zu haben. Er sagte, er habe die dünne Silberkette von seiner Mutter geschenkt bekommen und sie habe einen ideellen Wert für ihn gehabt. Den Anhänger mit der schwarzen Sonne hingegen habe er von einem Freund bekommen und er selber wüsste nicht, was für eine Bedeutung dieses Symbol habe. Auf Nachfrage gab er an, nicht der rechten Szene anzugehören und sich mit deren Symbolik auch nicht auszukennen. Insbesondere betonte er, dass sein “Vater aus der Türkei” käme. Auf Anraten eines seiner Begleiter, er solle die Kette abnehmen bevor es Stress gäbe, habe er die Kette abgenommen und gerade in die Tasche stecken wollen, als eine der Personen sie ihm aus der Hand gerissen habe und weggerannt sei. Auch die anderen Angreifer seien geflüchtet. Auf Nachfrage gab der Zeuge noch an, beim Wegreißen der Kette “völlig überrascht” gewesen zu sein. Später habe er die Angreifer noch einmal wieder gesehen. Da habe einer seiner Begleiter ihn angerufen und ihm mitgeteilt, die Personen würden sich gerade bei den drei Pfählen aufhalten. Daraufhin habe er sich dorthin begeben und die Polizei verständigt. Bei diesem Zusammentreffen habe er die Personen eindeutig wieder erkannt.
Der AKJ Bremen hatte hierbei erneut den Eindruck, der Vertreter der Staatsanwaltschaft wolle wiederholt bewusst ein eindimensionales Bild “linker Chaoten” zeichnen, die bei jeder Gelegenheit ihre politische Einstellung – auch mit Gewalt – durchsetzen wollten. Dies passt nicht zur gegenwärtigen Beweislage.
Tatkomplex: Angriff auf einen Jackenträger der Marke Thor Steinar in Hannover
Als nächstes wurde der Zeuge und Geschädigte Davis K. zu einem Vorfall am Hauptbahnhof in Hannover vernommen, bei dem er zusammen geschlagen wurde. Der Zeuge gab an, bei dem Angriff eine rote Jacke der Marke ‘Thor Steinar’ getragen zu haben. Er sei von hinten angegriffen und auf die rechte Seite des Gesichts geschlagen worden. Nachdem er zu Boden gegangen sei, hätten noch eine oder mehrere Personen auf ihn eingetreten. Die Tritte hätten ihn am Oberkörper und an den Beinen getroffen und er habe eine Schwellung im Gesicht sowie blaue Flecke, insbesondere an der Hüfte und an den Ellenbogen davon getragen. Der Zeuge sagte aus, mit seiner jetzigen Frau und einem befreundeten Paar unterwegs gewesen zu sein. Seine Begleiter hätten versucht, die Angreifer abzuwehren. Auf Nachfrage zum Bewusstsein über die Marke seiner Jacke und ihrer Bedeutung gab der Zeuge an, dass die Marke Thor Steinar „für manche Leute“ ein Anlass sei zu denken, „man gehöre gleich zur rechten Szene“. Auf weitere Nachfrage sagte er aus, dass er jedoch nicht der rechten Szene angehöre. Er habe nach der Tat auf ärztlichen Rat etwa “sieben Tage weiche Kost” zu sich nehmen sollen und habe auch noch bis zu drei Wochen nach dem Angriff eine Schwellung im Gesicht und Schmerzen beim Kauen gehabt.
Anträge vom letzten Sitzungstermin
Beim letzten Termin zu Hauptverhandlung wurde eine Mail verlesen, die eine dienstliche Äußerung eines Kriminalhauptkommissars (KHK) vom 16.03.2016 beinhaltete, der bei der NPD-Demonstration für die Verfahrenssicherung verantwortlich war und einen Stein sichergestellt hatte. Der Verteidiger hatte die Form der Mail bemängelt, weil diese keine Urkunde darstellt und so nicht als Beweis in den Prozess eingeführt werden kann. Der Vorsitzende hatte bis zum heutigen Verhandlungstag die dienstliche Äußerung des KHK in Schriftform vorliegen und verlas diese. Darin hieß es, der KHK habe unmittelbar nach einem Steinwurf den fraglichen Stein als Spurenträger zu Beweiszwecken sichergestellt. Als Zeugen nannte der KHK weitere Polizist_innen, die den Steinwurf beobachtet, jedoch keine Täter erkannt hätten.
Außerdem verkündete das Gericht einen Beschluss zu dem im letzten Termin von der Verteidigung gestellten Antrag, den Vertreter der Staatsanwaltschaft zu der Durchsuchung in der Wohnung der Angeklagten zu vernehmen. Dadurch sollte vor allem klar gestellt werden, dass das angebliche Auffinden von pyrotechnischen Gegenständen in der Wohnung in Abwesenheit der Angeklagten erfolgte. Der Antrag wurde durch den Beschluss zurückgewiesen, da es sich um eine Tatsache handele, die für den Tatvorwurf des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz unerheblich sei.
Einstellung statt Freispruch
Schließlich kamen die Verfahrensbeteiligten noch einmal auf die mögliche Einstellung zu sprechen. Der Verteidiger betonte erneut, dass mit bloßem Auge zu erkennen sei, dass die Person auf dem Foto nicht der Angeklagte Wesley S. sei. Die Person auf dem Foto zeichne sich durch deutliche Stirnfalten aus, die bei seinem Mandanten nicht vorhanden seien. Zudem habe die Person auf dem Foto eine Tätowierung auf dem linken Oberarm. Der Verteidiger kündigte einen Beweisantrag dahingehend an, den Tätowierer seines Mandanten als Zeugen zu der Frage zu hören, ob sein Mandant zum Zeitpunkt des Tatvorwurfs eine Tätowierung auf dem linken Oberarm gehabt hätte oder nicht. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft trug vor, eine „gewaltige“ Übereinstimmung zwischen dem Angeklagten Wesley S. und der Person auf dem Foto zu sehen. Insbesondere sei der Angeklagte zum Zeitpunkt der Aufnahme deutlich dünner gewesen, sodass das Auftreten von Stirnfalten anders ausgefallen sein könnte. Zudem sagte er, auch bezüglich des Haaransatzes und der Ohren eine Ähnlichkeit zu erkennen. Dennoch stimmte er der Einstellung nach § 154 StPO zu, im Hinblick darauf, dass wegen der übrigen angeklagten Vorwürfe eine Strafe zu erwarten sei, verglichen mit der eine mögliche Bestrafung wegen dieses Tatvorwurfs in den Hintergrund treten würde. Der Verteidiger beantragte, eine Einstellung nach § 154 StPO wegen Rechtsmissbrauchs zurück zu weisen. Hilfsweise trug er vor, dass eine Einstellung nach dieser Vorschrift schon nicht in Betracht käme, weil eine Verurteilung bezüglich der anderen angeklagten Vorwürfe nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Außerdem erscheine eine Einstellung angesichts der im Zusammenhang mit dem betreffenden Tatvorwurf begangenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffe seinem Mandanten gegenüber unangemessen.
Behördengutachten
Seit dem letzten Verhandlungstermin holte das Gericht ein Behördengutachten betreffend die in der Wohnung der Angeklagten bei der Durchsuchung aufgefundenen und sichergestellten Feuerwerkskörper ein. Der Vorsitzende verlas das Gutachten. Bei den Feuerwerkskörpern handelte es sich laut Gutachten um eine 20-Stück-Packung, in der sich noch sechs funktionsfähige sogenannte “La Bomba“-Sätze befanden. Dabei handelt es sich dem Gutachten nach um in der BRD verbotene Blitzknallsätze, die geschossartig verwendet werden können und somit eine “erhebliche Gefahr” darstellen sollen. Der Umgang mit diesen in der Bundesrepublik nicht zugelassenen, als Sprengsätze klassifizierten, Feuerwerkskörpern bedarf einer behördlichen Erlaubnis, ansonsten ist ein Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz gegeben.
Einstellung Tatkomplex Steinwurf bei NPD Aufmarsch
Das Gericht nahm entgegen des Widerspruchs des Verteidigers die Einstellung nach § 154 StPO bezüglich dieses Tatkomplexes vor mit der Begründung, die Einholung eines biometrischen Sachverständigengutachtens sei unverhältnismäßig und dadurch drohe eine Prozessverschleppung oder zumindest Prozessverzögerung. Das Gericht sei nicht abschließend in der Lage, zu entscheiden, ob das Foto den Angeklagten Wesley S. zeige. Die Kosten für das Verfahren und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt. Das Gericht wies noch darauf hin, dass auch eine mögliche Entschädigung des Angeklagten Wesley S. nach dem Strafverfolgungsentschädigungsgesetz durch die Einstellung nicht ausgeschlossen sei, sodass keine unangemessene Benachteiligung des Angeklagten durch die Einstellung vorliege.
Abschließend stellte Verteidiger Sürig noch einen Beweisantrag dahingehend, dass alle bei der Durchsuchung der Wohnung der Angeklagten anwesenden Polizist_innen zu der Frage vernommen werden sollen, dass die “La Bombas” entweder nicht oder zumindest in “Abwesenheit der Angeklagten” aufgefunden wurden. Er begründete den Antrag damit, dass der Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht als Zeuge zu dieser Frage vernommen worden sei und das Gericht seinen diesbezüglichen Beweisantrag abgelehnt hatte. Dies bedeute die Unterstellung, dass der berichtende Polizeibeamte die Wahrheit gesagt habe, nämlich dass zumindest der Angeklagte Wesley S. sich noch in der Wohnung befunden habe, was der Verteidiger bestreitet. Zum Beweis nennt Verteidiger Sürig diverse Beschlagnahmebescheinigungen, in denen das Feld “dem Beschuldigten ausgehändigt” nicht angekreuzt sei. Dies bedeute, dass die Angeklagten zum Zeitpunkt der Beschlagnahme bereits zwangsweise aus der Wohnung verbracht worden seien.
Schlussanträge zur möglichen Befangenheit des zuständigen Gerichts
Nach einer Pause wurde dem Verteidiger Sürig Gelegenheit gegeben, seine Anträge zu stellen. Vorab ließ der vorsitzende Richter ihm mitteilen, dass die Reihenfolge der Anträge für den Verteidiger “keinen Rechtsverlust darstellen” würde und bat darum, den “Befangenheitsantrag gegen das Gericht” erst zum Schluss zu stellen.
Der umfassende Antrag des Verteidigers bezieht sich auf den 16.12.2014, dem Tag der Hausdurchsuchung. Hier soll gerichtlich festgestellt werden, dass die beiden Angeklagten im Zuge der Hausdurchsuchung “gegen ihren Willen aus den eigenen Räumen entfernt wurden” und erst nach der zwangsweisen Entfernung aus deren Wohngemeinschaft die fraglichen “pyrotechnischen Objekte”, hier Knallkörper, durch die Beamt_innen in den Wohnräumen aufgefunden und beschlagnahmt worden sein. In dem Zusammenhang wurde von dem Verteidiger beantragt, alle zur Zeit der Hausdurchsuchung anwesenden und zuständigen Polizeibeamt_innen zu laden, um zu bezeugen, was sich an dem Tag der Hausdurchsuchung tatsächlich zugetragen hat. Weiter begründete der Verteidiger seinen Antrag mit der Feststellung, dass mit der zwangsweisen Entfernung der Angeklagten während der Hausdurchsuchung “mutwillig” die Anwesenheit der Angeklagten “vereitelt” worden sei. Dieser Verfahrensfehler führe zum “Verwertungsverbot” der beschlagnahmten Objekte und somit zum “Freispruch” im Sinne der Anklage. Eine Einstellung sei somit abwegig.
Weiter sei die Weigerung des Gerichts, die vorgebrachten Tatsachen “begünstigend” zur Kenntnis zu nehmen, für den Verteidiger ein klares Zeichen dafür, dass bei diesem Verfahren nicht die Wahrheitsfindung im Vordergrund stehe, sondern vielmehr die Absicht, “eine Blamage für Polizei und Justiz” zu verdecken. Die Richter seien offenkundig befangen, da sie ihre “Macht missbrauchen”, um “begünstigende Beweise zu ignorieren”, die einen “Freispruch erfüllen” würden, so der Verteidiger. Hierzu zählte er aus seiner Sicht offenkundige Tatsachen auf, wie die Lichtbilder aus Rostock. Die mit bloßem Auge erkennen ließen, dass es sich nicht um den Angeklagten Wesley S. handeln könne. Ebenso wie die Behauptung, die Tätowierung auf dem Lichtbild zeige die Tätowierung des Angeklagten, obgleich auch hier eindeutig zu erkennen sei, dass diese nicht vom Angeklagten stammen könne. Ebenso seien die Oberarme des Angeklagten nicht identisch, sondern “eindeutig weniger muskulös”, als die Oberarme auf den Lichtbildern, die den mutmaßlichen Täter zeigen sollen.
Die Verteidigung von Valentin S. schloss sich den Anträgen des Verteidigers von Wesley S. an.
Die Hauptverhandlung wird fortgesetzt am Dienstag, 12.04.2016, um 9.30 Uhr im Saal 218 des Landgerichts Bremen.
Achter Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras
Tatkomplex: Steinwurf gegen NPD Aufmarsch in Rostock – Fortsetzung
Sicherstellung digitale Kommunikation der Angeklagten
Am Donnerstag, 03.03.2016, wurde die Untersuchung des Tatkomplexes, welcher bereits am 25.02.2016 im Landgericht verhandelt wurde, fortgesetzt.
Zu Beginn beantragte Verteidiger Wesemann das Verfahren auszusetzen, um neue Informationen, die der Staatsanwaltschaft (StA) vorliegen sollen, in die Akte der Verteidigung aufzunehmen und sich mit dem Verteidiger Sürig über den Inhalt zu beraten. Hierbei soll es sich um mehrere von der StA sichergestellte Daten-CD’s mit Aufzeichnungen über den Chatverlauf zwischen den beiden Angeklagten, beim Social-Media Anbieter WhatsUp, handeln. Sowie sichergestellte Korrespondenz über e-Mail der Angeklagten.
Die StA kündigte an, damit beweisen zu wollen, der Angeklagte Wesley S. habe “Betäubungsmittel über die Gefängnismauern der JVA geworfen” und habe hiermit durch „Handel treiben mit Betäubungsmitteln“ auch während des Verfahrens gegen ihn, eigenes strafbares Handeln fortgesetzt. Auch soll hiermit aus Sicht der Anklage bewiesen werden, der Angeklagte Valentin S. habe “in der Untersuchungshaft vier verschiedene Mobiltelefone” widerrechtlich in seiner Zelle besessen und diese u. a. genutzt, um damit Kontakt zu dem Mitangeklagten zu halten. Hierbei seien Dialoge zustande gekommen, die beweisen sollen, die beiden Angeklagten hätten sich ihrer, den ihnen vorgeworfenen Taten, gerühmt. So konstatierte der StA: „Aus dem extrahierten Chat sei die Einstellung der Angeklagten zum Einsatz von Gewalt erkennbar“. Weiter soll die zuletzt in den Verhandlungssaal mitgeführte Mappe und ein T-Shirt des Angeklagten Valentin S., mit der Aufschrift „Antifa Boxing Club“ und „Free Valentin“, gegen die -Sitzungspolizeiliche Verfügung- des Gerichts verstoßen.
Nach diesen Anträgen und Ankündigungen der StA wurde die Untersuchung durch Vernehmung von Zeugen zum Tatkomplex ‘Steinwurf auf eine NPD Demo in Rostock’ fortgesetzt.
Zeuge der Polizeibehörde Markus W.
Der erste Zeuge, Beamter der Bundespolizei, war zum Zeitpunkt des Aufmarsches der NPD, in Rostock, im Bahnhofsgebiet eingesetzt. Nach seinen Einlassungen war er an diesem Tag zuständig die politischen Lager „Links“ und „Rechts“ voneinander getrennt zu halten und die sogenannte Sicherheit und Ordnung am Bahnsteig zu gewährleisten. Indem die als “Rechts” eingestuften Personengruppen auf Gleis 3 von den als “Links” eingestuften Personen auf Gleis 7 voneinander abgeschirmt und entsprechend den Lagern zugeordnet wurden. Hier sei ihm “eine ca. 14-Köpfige Personengruppe aufgefallen“, unter der sich die Angeklagten befunden haben sollen. Diese habe er und seine Kollegen aufgrund der Kleidung und äußeren Erscheinung nach „Rechts“ sortiert. Erst beim Skandieren von „Alerta Antifascista“ durch diese Gruppe, sei ihnen der Fehler bewusst geworden und sollen daraufhin die Provokateure gewaltsam zurück in den Block “Links” gedrängt haben. Nach Schilderung des Zeugen habe Valentin S. sich in der Gruppe befunden und einen Mundschutz getragen, weshalb er diesen auch direkt angesprochen hätte. Auch auf Hinweis diesen Mundschutz zu entfernen, sei dieser seiner Aufforderung nicht nachgekommen. Wenige Zeit später soll der Person der Mundschutz heraus gefallen sein. Daraufhin soll der Zeuge ihn separiert und belehrt haben. Dieser sei dennoch nicht kooperativ gewesen und habe sich weiterhin auf seine Gruppe konzentriert und auf weitere Provokationen gegen das „rechte Lager“. Nach der Personalien-Feststellung und weiteres Maßregeln, soll Valentin S. sich ohne Erlaubnis von der Position entfernt haben und in seiner Gruppe verschwunden sein.
Der eintreffende Zug, der die beiden Lager zurückführen sollte zu ihren Wohnorten, wurde durch den Beamten und seinen Kollegen in zwei Teile eingeteilt, um darin die Lager getrennt transportieren zu können. Nach Abfahrt des Zuges soll gegen 21.07 Uhr die Notbremse für ca. 45 Min. im Zug widerrechtlich aktiviert worden sein. Mit der Folge, dass der Zug den Bahnhofsbereich Rostock nicht verlassen konnte und den gesamten Personenverkehr beeinträchtigt haben soll. Nach dem der Zug wieder gefahren sei, gab es nach Aussagen des Zeugen einen Umstieg auf dem Bahnhof ‘Bad Kleinen’. Auch hier sei dem Beamten unter “einhundert Personen wiederum der Angeklagte aufgefallen“. Dieser soll wiederholt durch Provokationen entgegen der in Sichtweite stehenden „rechtem Lager“ aufgefallen und wiederum vermummt aufgetreten sein. Hiernach habe der Zeuge den Angeklagten jedoch nicht noch einmal wahrnehmen können.
Nach dieser Darstellung des Polizeibeamten, fragte der Vorsitzende wie dieser sich auf diese Verhandlung vorbereitet habe. Dieser entgegnete, dass er sich noch einmal den Bericht durchgelesen habe. Auf die Frage, ob er sich auch selbstständig an dieses Ereignisse erinnere, gab er an, sich durch das Lesen der Diensterklärung und durch Einlesen in den Vorgang wieder erinnert habe. Selbstständig sei ihm der Vorfall auch deswegen nicht eingefallen, da er dies damals als “Verstoß gegen das Versammlungsgesetz” verfolgt hatte und nicht wie im Strafverfahren just wegen des Vorwurfs der Körperverletzung. Weiter wurde der Zeuge gefragt, ob ihm auch Fotos gezeigt worden seien auf denen angeblich die Angeklagten zu sehen sein sollen. Solche Fotos seien dem Zeugen nach eigener Aussage jedoch nicht vorgehalten worden. Warum ausgerechnet der Zeuge darauf käme, dass es sich nun auch um den Angeklagten Valentin S. handele, der im Tatzusammenhang mit Körperverletzungen stehen soll, beantwortete der Zeuge, dass es eine für ihn erkennbaren Tatsache sei, das dieser sich im „Nahbereich der Aktion“ aufhielt und sich dem polizeilichen Zwang entzogen hatte. Schließlich habe aus seiner Sicht auch der beschlagnahmte Mundschutz eine Rolle dabei spielen müssen.
Nach diesen Antworten auf die Fragen der Vorsitzenden setzte Verteidiger Sürig mit seiner Befragungen fort. Sürig wollte in Erfahrung bringen, ob die Gruppe “Links” dem Lager “Rechts” auch dann zugeordnet worden wäre, hätte diese sich ruhig verhalten. Der Zeuge wies diese Frage als Spekulation zurück. Dem entgegnete Verteidiger Sürig, dass es doch gerade die Gruppe “Links” war, die weitere Eskalation mitunter von körperlicher Gewalt dadurch selbst verhinderte, in dem sie trotz der falschen Zuordnung nach “Rechts” und der sich damit bietenden Tatgelegenheit, diese dennoch ausließ. Stattdessen lautstark auf sich aufmerksam machte und damit selbstständig die Gelegenheit unterband. Wäre es der Gruppe “Links” um eine körperlichen Auseinandersetzung gegangen, wie der Zeuge behauptete, wäre die Chance dafür nur dann gegeben gewesen, wenn sie den Irrtum der Beamten vor Ort ausgenutzt hätten, so Sürig. Dies sei aber nicht geschehen und deshalb sei auch nicht zu unterstellen, die Gruppe “Links”, unter denen sich die Angeklagten befunden haben sollen, sei es unweigerlich um eine gewalttätige Konfrontation gegangen.
Der Verteidiger Wesemann setzte die Befragung unter dem Aspekt der Bekleidung der mutmaßlichen Gruppe “Links” fort. Hierbei befragte er den Zeugen auf die Marken der Kleidungsstücke und Schuhe. So nannte Wesemann die Marken „New Balance“ und „Lonsdale“ und fragte, ob dem Zeugen diese Labels als szenetypisch „Rechts“ bekannt seien. Der Zeuge verwies auf seine erste Aussage, keine eigenständigen und detaillierten Erinnerungen mehr an den Tag zu haben. Wesemann befragte im Detail weiter den Zeugen zu Aussehen der Personen, zu den Schuhen, Marken, Hosen, Haaren und der Oberbekleidung. An keines der abgefragten Details erinnerte sich der Zeuge selbstständig.
Nachdem hier keine erhellenden Informationen von dem Zeugen vorgebracht werden konnten, setzte Verteidiger Sürig die Befragung fort. Dieser wollte in Erfahrung bringen, ob “eigentlich das Lager Rechts gänzlich aggressionfrei gewesen” sei und ob nicht von dieser Seite ein Plan zur Gewalt gegen das Lager „Links“ bestanden haben könnte. Schließlich sei nach Auffassung des Verteidigers dieses rechte Lager auf dem Bahnsteig gegenüber, in Sichtweite, gewesen und habe auf Provokationen doch wohl reagiert. Sürig erklärte weiter, sich unmöglich vorstellen zu können, das dieses rechte Lager ganz ruhig da gestanden habe und keine Parolen skandiert oder mit Beschimpfungen provoziert hätte. Auch sei es für ihn seltsam, warum denn der Fokus der Beamten vor Ort nur auf das Lager „Links“ gerichtet gewesen sei. Hierauf antwortete der Zeuge, dass dieser sich „nicht mehr erinnere.“
Nach dieser Befragung wurde der Zeuge entlassen. Hierauf verkündete Verteidiger Wesemann, für ihn sei “keinerlei Zusammenhang zu den Angeklagten herstellbar“. Dies wies der StA entschieden zurück mit der Behauptung: „Die Fotos reichen hier vollkommen aus“. Wesemann sah dies als falsche Annahme und machte dem Gericht deutlich, dass der Zeuge, Beamter Markus W., sich nicht einmal erinnern könne, ob auf den Kleidungsstücken der Gruppe „Links“ überhaupt irgendetwas gestanden habe.
Zeuge Dr. Korzinski – Gutachter für DNA Analysen
Der nächste Zeuge (Gutachter) arbeitet als Diplom-Biologe in einem Institut zur Analyse von DNA Spuren. Seine Funktion bei Gericht ist es, objektiv dem Gericht zu erklären, ob an dem mutmaßlichen Tatmittel, hier einem sichergestellten Stein, der als Wurfgegenstand genutzt worden sein soll, DNA Anhaftungen sind, die in Beziehung zu dem Angeklagten, hier Valentin S. stehen sollen. Hierbei bezieht sich, im Gegensatz zur gewöhnlichen Befragungen von Zeug_innen, eine Aussage eines Gutachters nicht auf subjektives Erleben und Erinnern, sondern allein auf wissenschaftlich objektiv belastbare Tatsachen.
Der Gutachter hat im Auftrag der Ermittlungsbehörden folgende Maßnahmen zur Untersuchung vorgenommen und die folgenden Tatsachen festgestellt:
Nach acht ‘Mundschleimhaut-Abstrichen’ möglicher DNA Spur Träger, darunter die Angeklagten, die im kausalen Zusammenhang zum Steinwurf stehen könnten, hat das Labor im Ergebnis keine eindeutige DNA Spur die vom Tatmittel stammt, den Angeklagten Valentin S. als alleinigen Verursacher zuordnen können. Im Ergebnis handelt es sich bei der untersuchten Probe, um eine sogenannte ‘Mischspur’. Allein ein aufwendiges Laborverfahren muss die Nähe des Tatmittels zu den mutmaßlichen Tätern eindeutig herstellen oder ausschließen können. So kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, das Valentin S. als Verursacher einer der DNA Spuren auf dem untersuchten Stein in Frage kommt. Dies bedeutet im juristischen Sinne jedoch nicht, das ihm auch unterstellt werden kann, tatsächlich selbstständig Kontakt zu dem Stein gehabt zu haben, um diesen als Tatmittel zu verwenden. Es lässt sich auch vertreten, das eine dritte Person dieselben Handschuhe oder ähnliches vor Berührung des Steins trug, die auch der Angeklagte zuvor getragen haben könnte. Hierbei kann es zu Übertragungen der eigenen DNA auf die DNA eines Dritten gekommen sein. In dessen Folge vermischen sich die beiden DNA Spuren und lassen eine juristisch saubere Zurechenbarkeit zwischen Täter und Tathandlungen, oder auch nur die wirkliche Nähe des DNA Trägers zu dem Tatmittel zum Tatzeitpunkt, nicht zu. Dies ist zum Verständnis des faktischen Ergebnisses des Gutachtens des Zeugen von Bedeutung. Eine Vielzahl von Szenarien lassen sich denken, wie es zu der Mischspur gekommen war. Dies ist eines von vielen Problem beim Nachweis des Verursachers bei Mischspuren.
(Der Weserkurier hatte irreführend in seinem Artikel mit der Schlagzeile „Statistische Berechnung zu DNA-Spuren belastet Werder-Ultra“ das Ergebnis des Gutachters so dargestellt, als ob allein die Tatsache das Valentin S. als DNA Verursacher objektiv nicht ausgeschlossen werden könne, schon für sich eine „belastende“ Tatsache für den Angeklagten darstelle. Dies ist jedoch nicht zutreffend. Eine Tat muss einem Beschuldigten zweifelsfrei durch sein kausales Zutun zum Erfolg der Tat objektiv nachgewiesen werden. Objektive Zweifel über die kausale Zurechenbarkeit zwischen Taterfolg und Täter führen nicht zu einer Belastung für den Beschuldigten)
Vorausgegangen war dieser Feststellung über das Gutachten einer sehr detaillierten Aufschlüsselung von Zahlen, Techniken, angewendeter Software und mathematischen Modellen, durch die jene DNA Spur auf dem fraglichen Stein mit der Probe der Mundschleimhaut, der infrage kommenden Täter abgeglichen wurde. Die genaue Erörterung möchten wir den Leser_innen an dieser Stelle ersparen.
Zeuge Polizeibeamter Nicola F.
Der dritte Zeuge an diesem Verhandlungstag hatte die Funktion den Demonstrationszug zu begleiten und eine Sitzblockade, die den Aufmarsch zu blockieren suchte, zu räumen. Hierbei sei dem Beamten eine Gruppe ca. 20 Meter entfernt von ihm aufgefallen. Aus dieser Gruppe heraus habe eine Person die vermummt gewesen sein soll mit dem Mittelfinger in Richtung Aufmarsch provozierend gestanden. Den Wortlaut von provozierenden Rufen habe er nicht verstanden. Dabei will der Beamte beobachtet haben, wie eine Person an einer Hauswand hinter der Hecke verschwand und nach Sekunden wieder auftauchte und mit einem Stein warf. Hierauf habe der Beamte sofort reagiert und laut gerufen: Steinwurf. Nachdem eine Person getroffen wurde, sei er mit seinen Kollegen zum Geschädigten gelaufen und dort verblieben. Weiter habe er das Geschehen um den mutmaßlichen Täterkreis nicht verfolgen können.
Auf Nachfrage des vorsitzenden Richters, wie groß die Gruppe war und ob ihm weitere Details in Erinnerung seien, antwortete dieser, er habe ca. 10 Personen wahrgenommen. Weiter habe er eine “beige Hose” als “auffällig” empfunden. Die anderen sollen alle “schwarze” Kleidung getragen haben. So wie Personen in Kapuzenpullovern und einem Tuch um den Mundbereich. Sonst seien ihm keine Merkmale in Erinnerung geblieben. Auch könne er zu den Körpergrößen keine Angaben machen. Auf direkte Nachfrage, ob denn bei den Größen der Person irgendeine Auffälligkeit bestanden habe, verneinte dieser Zeuge dies betont. So sei hier “nichts weiter auffällig” gewesen. Nach diesen Einlassungen wurden Fotos in Augenschein genommen.
Hier brachte folglich der Zeuge auch keine eindeutigen Erkenntnisse zutage. Dies wurde an Aussagen deutlich wie “kann mich an Details nicht erinnern” oder “kann mich an dieses Foto nicht erinnern” sowie “die erste Person auf dem Bild könnte passen“. Nach der Augenscheinnahme wurde der Zeuge ebenfalls entlassen.
Zeuge der Polizeibehörden Ronny S.
Der nächste Zeuge war bei dem Aufmarsch nach eigener Aussage an der “rechten Flanke” aktiv. Ihm sei dir betreffende Gruppe aufgefallen während der Sitzblockade gegen den Aufmarsch der NPD. Es sei für die Polizei in solchen Situation üblich, nicht so sehr auf das Gesamtgeschehen zu achten, sondern auf “verdächtiges Verhalten“, da erfahrungsgemäß solche Situationen von Störern ausgenutzt würden und ein erhöhtes Risiko bestehe, dass es zu Straftaten komme. In seinen weiteren Einlassungen war die Beschreibung der fraglichen Gruppe und dessen Verhalten zu den Einlassungen des Polizeibeamten Nicola F. in etwa deckungsgleich. Abweichend war die Beschreibung der Hosen der tatverdächtigen Gruppe. Hier will der Zeuge nun auch “Jeanshosen” gesehen haben.
Insgesamt waren auch bei diesem Zeugen die meisten der Erinnerungen nicht eigenständiger Natur, sondern stammten aus dem Nachlesen der angefertigten Notizen in den Akten der zuständigen Dienststelle. Die Erinnerungen waren insgesamt eher spekulativ und brachten ebenso wenig klare Erkenntnisse, die eine Verbindung zwischen der fraglichen Gruppe und den Angeklagten sichern würden. Nach dieser Vernehmung wurde der Zeuge entlassen.
Zum Abschluss des Verhandlungstages wurden zwischen den Prozessparteien die Merkmale auf den vorgelegten Fotos diskutiert. Dies mit Hinblick darauf, dass hier nach Auffassung der StA gutachterlich festgestellt werden müsse, ob die Merkmale auf den Fotos mit denen der Angeklagten übereinstimmt. Dies konnte durch Augenscheinnahme bisher nicht objektiv geklärt werden. Zur Disposition stehen die Merkmale: Augenpartie, Haaransatz, Augen – Nase Abstand, Form der Ohren, Tätowierung auf den Lichtbildern und die des Angeklagten Wesley S. sowie die “helle Hose” auf den Lichtbildern von Rostock. Nach Auffassung der Verteidigung sei dies bereits durch das Betrachten der Fotos objektiv erkennbar, dass es sich unmöglich um die Angeklagten handeln könne.
Die Anträge der Verteidigung der letzten Verhandlungstage wurden durch Beschlüsse des Gerichts insgesamt zurückgewiesen. Somit hatte keines der Anträge der Verteidiger erfolg. Beantragt worden war unter anderem: Aussetzung des Verfahrens, Beweisverwertungsverbot der Facebook Observation durch den in Bremen in der Sache zuständigen Beamten Martin W., Verwertung der Aussagen eines Oberstaatsanwaltes in Beziehung zu Aussagen der rechtsradikalen Aktivistin F., die in Bückeburg wahrheitswidrig gegen Antifaschist_innen ausgesagt haben soll, Verwertungswiderspruch zu den Beschlagnahmungen der Hausdurchsuchungen bei den Angeklagten.
Beantragt wurde durch die StA ein biometrisches Gutachten zu erstellen und dem Gericht so die Frage zu klären, ob es sich bei den auf den Lichtbildern zu sehenden Personen tatsächlich nicht um die Angeklagten handelt. Verteidiger Sürig bestand darauf, dass wenn dies beantragt wird, ein unabhängiger Gutachter bestellt werden müsse und bemängelte, dass es nicht erklärbar sei, warum der StA erst zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens diesen Schritt einleitete, obwohl angeblich für seinen Mandanten schon damals “dringender Tatverdacht” bestanden haben soll. Folglich das Gutachten bereits im Vorverahren bereits geklärt hätte, das es sich nicht um die Angeklagten handele und es nicht zur Anklage hätte kommen müssen.
Der neunte Prozesstag wird im LG Bremen am 22.03.2016, um 09.00 Uhr, fortgesetzt.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen
Siebter Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras
Tatkomplex: Steinwurf gegen NPD Aufmarsch in Rostock
Am inzwischen siebten Prozesstag, dem 25.02.2016, wurde ein neuer Tatkomplex untersucht, der sich anlässlich eines NPD Aufmarsches, am 11.05.2015, in Rostock, ereignet haben soll. Vorgeworfen wird den beiden Angeklagten, sie seien aus einer größeren Gruppe von maskierten Personen heraus, provokativ auf den NPD Aufzug zugegangen und hätten mit Steinen in Richtung der Teilnehmenden geworfen. Hierbei sollen, neben eines auffällig großen, auch mehre kleinere Steine geworfen worden sein. Durch den Steinwurf mit dem größeren Stein, sei eine Person durch das Auftreffen des Steins in dessen Brustbereich, verletzt zu Boden gegangen und musste medizinisch behandelt werden. Des Weiteren sei die mitgeführte Kamera des Geschädigten im Zuge dessen zerstört worden.
Am achten Prozesstag (03.03.2016) soll die Untersuchungen dieses Tatkomplexes fortgesetzt und abgeschlossen werden. Das Verfahren gegen den Angeklagten Wesley S. soll hiernach (22.03.2016) abgetrennt, sowie alle bisher untersuchten Tatvorwürfe gegen den Angeklagten abgeurteilt werden. Verbleiben würde nach dem Urteil allein der Angeklagte Valentin S., gegen den weitere Tatvorwürfe, die bisher noch nicht behandelt wurden, untersucht werden. Ebenso bleibt die Untersuchungshaft gegen Valentin S. bis auf weiteres bestehen. Insgesamt könnte der Prozess, trotz der fünf untersuchten Tatkomplexe, sich noch bis zum Juni/Juli 2016 hinziehen. Bis zu diesem Zeitpunkt bestünde folglich eine inzwischen knapp einjährige Untersuchungshaft.
Weiterhin kritisiert der AKJ Bremen die Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahme gegen den Angeklagten mit Nachdruck. Ebenso die damit verbundene Vorführung des noch jugendlichen Angeklagten in Handschellen. Für den AKJ lässt sich auch weiterhin die Erforderlichkeit nicht erkennen und fordert die unverzügliche Aufhebung dieser unangemessenen Härte.
Vernehmung des Geschädigten Dr. Mark B.
Als erster Zeuge wurde der Geschädigte Dr. Mark B. geladen. Seines Zeichens Politikwissenschaftler. Dieser gab dem Vorsitzenden zunächst an, er habe sich am Tattag auf der Demoroute aufgehalten, um im Auftrag des SPD Landesverbandes ‘Mecklenburg Vorpommern’, den Aufmarsch der NPD zu dokumentieren. An der Front des Geschehens habe er versucht von dem Aufzug Fotos machen. Im Vorfeld der Schädigung seiner Person seien ihm schon eine “Gruppe junger Männer” aufgefallen, die den Aufzug der NPD “gezielt umkreist” hätten. Sie seien zuvor “aus den Häuserschluchten” heraus um die Route gelaufen und hätten mit “provozierenden Gesten” sowie mit “vermummten Gesichtern” die Teilnehmer_innen “gegen sich aufgebracht”. Darunter sei durch die Teilnehmer_innen der NPD Demonstration, u. a. Parolen wie “Antifa Hurensöhne” mehrfach skandiert worden. Insgesamt sei die Situation für den Geschädigten Dr. B. aber “typisch für solche Aufmärsche” gewesen und kein Grund für ihn beunruhigt zu sein.
Gewalt sei zu diesem Zeitpunkt seiner Beobachtung auch von keiner Partei erkennbar ausgegangen. In der aber doch aufgeschaukelten Situation seien gegen 14.40 Uhr “plötzlich Steine in Richtung des Aufzugs” geflogen, die “aus der Gruppe der jungen Männer heraus” geworfen worden sein müssten. Es sei dabei seiner Meinung nach die Gruppe gewesen, die er “glaubt vorher schon beobachtet zu haben”. In der Situation des Werfens von kleineren Steinen, so rekonstruierte er, sei der einzige größere Stein daraufhin auf ihn geflogen. Der Stein habe ihn schließlich verletzt und zu Boden gebracht. Das es gerade ihn treffen sollte, konnte der Geschädigte nicht sagen. Er nahm an, die Täter hätten ihn “irrtümlich für einen der NPD Teilnehmer” gehalten. Da dieser so nah seitlich zum Kopf des Demozuges gestanden habe. Der Zeuge konkretisierte, vielleicht auch “gar nicht das Ziel des Steinwurfs” gewesen zu sein, sondern “nur in der Flugbahn zwischen Angreifer und Demoaufzug zufällig” gestanden zu haben.
Auf die Frage des Vorsitzenden, ob er habe sehen können, wer genau aus der Gruppe diesen Stein warf, konnte der Geschädigte keine Angaben machen. Er soll jedoch “die Wurfrichtung in Erinnerung” haben, sowie “ein Kleidungsmerkmal” eines der Täter. Eine “schmalere Person mit einem Halstuch auf dem ein Skelett abgebildet” gewesen sein soll, habe er noch in Erinnerung. Auf Nachfrage zu weiteren Details verwies er auf seine vor der Tat bereits dokumentierenden Fotos. Eine Person aus der Gruppe der Täter habe “ein dunkelfarbiges T-Shirt” getragen und sei “durchtrainiert” gewesen. Auf seinen Fotos glaubte er die Täter auch wiedererkannt zu haben, er sei sich jedoch nun nicht so sicher. Nachdem die Strafverfolgung eingeleitet war, habe er erst Fotos von einem anderen Fotografen sehen können und dort “eine 80 – 85 Prozentige Überzeugung” gehabt, darauf die mögliche Tätergruppe wieder zu erkennen. Allerdings, betonte der Geschädigte, sei “alles ziemlich schnell gegangen”. Wirklich “sicher sei er sich nicht”.
Der Vorsitzende lud alle Prozessbeteiligten an den Richterpult, um die Fotos die zur Akte vorliegen, in Augenschein zu nehmen. Bei der Analyse der vorgelegten Fotos kommentierte der Geschädigte, dass er vermute, das die Angreifer ihn wohl für einen “Anti-Antifa-Fotografen” gehalten haben könnten. Auf Nachfrage, ob der Werfer des Steins ihn überhaupt sah, bzw. wahrnahm, wem der Stein verletze, gab der Zeuge an, dies nicht sagen zu können. Auch habe sich die Gruppe nach diesem Steinwurf “ziemlich zügig entfernt vom Geschehen”. Weitere Wahrnehmungen seien ihn durch die eigene Betroffenheit jedoch nicht mehr möglich gewesen. Die “Schutzpolizei” sei schließlich gekommen und habe ihn “dort weggezogen” und ins Krankenhaus gebracht.
Der Staatsanwalt (StA) wollte erkunden, ob den zwischen ihm und dem Steinewerfer noch weitere Personen in Wurfrichtung waren. Der Geschädigte verneinte dies ausdrücklich. Der Verteidiger Wesemann ging dazwischen und wies diese Aussage zurück. Dies könne nicht zutreffen, schließlich sei auf dem Foto deutlich eine weibliche Person neben ihm zu erkennen. Der Geschädigte korrigierte die Zurückweisung, damit das “in seinem Sichtfeld” jedoch keine Person zu sehen war. Wesemann wollte daraufhin vermerkt haben, dass der Zeuge trotz Augenscheinnahme der Fotos sich nicht korrekt erinnere. Weiter konfrontierte Wesemann den Zeugen mit ihm vorliegenden Fotos, auf dem zu erkennen sei, das sogar zwei weibliche Personen zum Zeitpunkt des Steinwurfs zwischen ihm liefen. Insgesamt zog die Verteidigung die Fähigkeit des Zeugen in Zweifel, sich überhaupt korrekt an die Geschehnisse erinnern zu können. Folglich sei die Verwertung der Aussagen nicht Belastbar für die Angeklagten.
Verteidigung rügt Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes
Nach dem dieser Zeuge entlassen wurde, beantragte der Verteidiger Sürig das Verfahren auf eine “gravierende Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips” hin zu untersuchen. In dem Gerichtssaal sei es der anwesenden Öffentlichkeit absolut unmöglich dem Verfahren, nach dem Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsprinzips, überhaupt folgen zu können. Schließlich sei dieses Gericht nicht einem Verfahren “zum Zeitpunkt der Gründung der Strafprozessordnung von 1871 ausgesetzt, sondern im Jahre 2016 angekommen”. Welches eine technische Möglichkeit ermögliche, die Zuschauer_innen an der Augenscheinnahme von Beweismittel angemessen teilhaben zu lassen. Eine Leinwand und ein Beamer sollten daher selbstverständlich möglich sein, um der Öffentlichkeit die Bilder, auf denen angeblich die Angeklagten zu sehen seien, selbstständig in Augenschein zu nehmen und sich ihr Urteil zu bilden. Wie viel aussagekräftiges tatsächlich auf den Fotos der Polizei und Zeugen zu sehen ist, sei für die Verteidigung von Anfang an höchst fraglich gewesen. Sie habe die Befürchtung, das Gericht fühle sich ganz wohl in der Rolle derer, die vorne beinah unbeobachtet ihren Prozess durchführten und die Zuschauer_innen hinten im Saal bekämen davon nicht viel mit. Die Gefahr sei für ihn schließlich nicht abzustreiten, dass die Fotos tatsächlich weniger Beweiswert hätten, wie das Gericht, ohne die Öffentlichkeit teilhaben zu lassen, später bei seinem Urteil einfach unbemerkt behaupten könne. Sürig sehe hier insgesamt den “Schutz vor Willkür der Justiz in Gefahr”, den nur die Öffentlichkeit kontrollieren könne.
Das Gericht verschob zunächst einen Beschluss zu dem Antrag des Verteidigers, dem sich Wesemann anschloss, und verlangte den nächsten Zeugen einzulassen. Später im Verfahren nahm Verteidiger Sürig seinen Laptop, um die digitalen Fotos die bisher besprochen wurden, auch den Zuschauer_innen sichtbar zu machen. Das Gericht ermahnte Sürig mehrfach zur Ordnung und ließ dessen eigenmächtigen Eingriff in die ‘Sitzungspolizeiliche Ordnung’ protokollieren. Der Vorsitzende versprach in den nächsten Tagen einen Beamer bereit zu stellen, um solche Streitigkeiten in Zukunft abzuwehren.
Vernehmung eines Pressefotografen
Der zweite Zeuge Sean G., ein Pressefotograf aus Berlin, war ebenfalls an dem Tag zugegen, um Fotos des Aufmarsches der NPD aufzunehmen. Er sei auf einer Leiter gestanden und habe das Geschehen von dort aus gut beobachten können. Seine Schilderungen waren in etwa deckungsgleich zu denen des Geschädigten. Abweichend war lediglich sein geschilderter Blickwinkel. So habe er nicht selbst den Steinwurf gesehen, sondern nur die Folge, bei dem Dr. Mark B. zu Boden gegangen sei. Direkt habe er auch “keine Steinwürfe” gesehen, vielmehr seien es “irgendwelche Gegenstände” gewesen. Er sei jedoch beim zu Boden gehen des Geschädigten, gleich von einem “fetten Stein” ausgegangen. Die von ihm gemachten Fotos, die mögliche Tätergruppe abbilden soll, habe er nicht direkt der Polizei übermittelt, sondern lediglich wie es zu seinem Auftrag gehört, in seiner Agentur eingereicht. Diese hätten die Fotos schließlich online gestellt. Auf die Frage zu den Körpergrößen der möglichen Täter konnte der Zeuge keine Angaben machen und wurde aus der Anhörung entlassen.
Wesemann beantragte den bisher noch nicht gehörten Ulli S. aus Brandenburg ebenfalls zu laden. Hierzu zitierte der Verteidiger dessen damalige Aussage zu Protokoll, wie folgt: “Eine Person [aus der Gruppe] stach heraus durch helle Kleidung mit 1,75 m Körpergröße. Dieser lief einen Abhang herunter und war noch zu sehen. Der ließ einen Gegenstand etwas versteckt in seiner Hand verschwinden und warf plötzlich diesen Gegenstand in Richtung der Demo”. Wesemann beabsichtigt mit diesem Zeugen nachzuweisen, das sein Mandant mit einer Körpergröße von ca. 195 cm, bei dieser Beschreibung wohl kaum der Täter sein könne.
Weiter führte Wesemann an, er beantrage ein “Verwertungsverbot der beschlagnahmten Gegenstände bei der Hausdurchsuchung” in der WG der Angeklagten. Das Amtsgericht Rostock habe in seinem Beschluss zur Hausdurchsuchung keine damals “eingesetzten Spürhunde” vorgesehen und ausdrücklich nur versucht “Vermummungsgegenstände” und Kleidung sicherzustellen. Die zufällige Sicherstellung von Pyrotechnik sei offenkundig nicht Teil des Beschlusses gewesen. Die sichergestellten Gegenstände hätten hier ohne die Spürhunde nicht sichergestellt werden können. Die StA Bremen soll den Beschluss zudem rechtswidrig abgeändert haben, um damit ohne erkennbaren Tatzusammenhang auch Pyrotechnik sicherzustellen. Verteidiger Sürig schloss sich dem Verwertungswiderspruch Wesemann’s an und ergänzte, die angefertigten Fotos der polizeilichen ID-Behandlung von Wesley S. durch Bremer Behörden, ebenfalls nicht zur Verwertung zuzulassen.
Bevor der dritte Zeuge vernommen werden konnte, gab Wesemann dem Gericht zu verstehen, dass dieser Zeuge selbst “keine eigenen Ermittlungen geführt” habe und alle seine Informationen “überwiegend von Dritten” zugetragen worden sein. Ausdrücklich bestand Wesemann darauf, dass der nächste Zeuge tunlichst “keine eigenen Bewertungen bei der Vernehmung” vorzunehmen habe.
Vernehmung des LKA Beamten aus Rostock
Der nächste Zeuge René F., zuständig als Sachbearbeiter für kriminalistische Ermittlungen zu den Vorfällen in Rostock, wurde zunächst im Sinne des Verteidigers Wesemann belehrt. Nach kurzer Einlassung des Vorsitzenden über die Aufgabe des Zeugen hier heute nur in einer ganz bestimmten Funktion zu berichten, konkretisierte René F., zuständig zu sein für “Beweisführung und Dokumentation” und “keine eigenen persönlichen Wahrnehmungen an dem Tag” gemacht zu haben. Auch sei das nicht seine Funktion. Er habe nach der Strafanzeige mit der Verwertung der Beweismittel begonnen und diese für die weiteren Ermittlungen Zusammengeführt. Weiter habe er Kontakt mit anderen Dienststellen für diese Aufgabe gehabt. Für ihn habe das “Gesamtbild der Beweismittel”, also durch die beschlagnahmte Kleidung der Angeklagten, die Täterbeschreibungen, die später übermittelten Fotos der vermeintlichen Täter sowie der Abgleich mit anderen Datenbanken und Informationen des LKA Bremen, die Angeklagten als “die Täter” erscheinen lassen. Der gesicherter Stein, der mutmaßlich als Tatmittel verwendet worden war, wurde nach einem Abstrich vom Material, einer DNA Untersuchung unterzogen. Diese habe seiner Meinung nach jedoch “keine sichere Erkenntnis” liefern können. Die polizeiliche Datenbank könne mit den Vergleichsmaterialien nichts anfangen, schließlich soll es sich bei dem Laborergebnis um eine unbrauchbare Mischspur handeln. Welche in derartige Datenbanken niemals aufgenommen würden. Jedoch konnte und könne Valentin S. auch nicht eindeutig mit dem Ergebnis des Labors als Täter ausgeschlossen werden.
Nach einigen Einlassungen über den Ablauf des NPD Aufmarsches und der Gegenreaktionen, erklärte der Zeuge “anfangs keinen Täter ermittelt” zu haben, sondern erst durch “den Hinweis des LKA Bremen”. Dort habe der zuständige Beamte Martin W. (Siehe Prozessberichte 2 – 5) die Ermittlungen an sich gezogen und ihn auf die Täter, als das “Trio” gebracht. Die “Kollegen in der Dienststelle in Bremen” seien von Anfang an “ziemlich sicher” gewesen, dass es sich dabei um die Angeklagten handeln müsse. Die Verteidiger Sürig und Wesemann wirkten sehr erstaunt, wie diese Beamten zu dem Schluss kommen konnten. Schließlich seien nur schlechte Bilder zur Verfügung gestanden und es habe keine deutliche Täterbeschreibung vorgelegen, die “nicht auch auf jeden zweiten Ultra genauso hätte zutreffen” können. Die Verteidiger bemängelten auch, dass auf der Grundlage von Aussagen, wie die des LKA Bremens, die “Angeklagten wohnen zusammen” und seien als “Gewalttäter Sport aktenkundig”, allein darauf noch nicht ausreichend Tatverdacht begründet werden könne. Schon gar nicht um eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen zu müssen.
Weiter erklärte der Beamte, dass er selbst keine eigenen Schlüsse über die mutmaßlichen Täter hätte ziehen können, sondern sich hierbei allein auf das LKA Bremen verlassen musste. Auch sei für ihn die Tatsache, dass Valentin S. sich “an dem Tag in Rostock am Bahnhof aufgehalten” habe, bereits ein deutliches Indiz gewesen. Hierüber hätte es mit den Behörden in Bremen einen Austausch gegeben, bzgl. der Beweismittel, die in Rostock gesichert wurden. Die Sicherung und der Austausch bestand zum Abgleich mit den LKA Informationen aus Bremen. Für den Zeugen sei das Bild durch die Daten des LKA Bremen irgendwann stimmig gewesen.
Ein anderer Aspekt des Beamten sei die digitale Ablichtung eines Tattoo auf dem Oberarm des Angeklagten Wesley S. gewesen, welche aus dessen FB Account gesichert wurde sowie einem Teilbild eines Tattoo auf dem Oberarm von einem der möglichen Täter vom Tatort. Dieses Teilbild stammte von einem der Fotografen. Hier soll eine Übereinstimmung aus Sicht der Behörden zumindest möglich gewesen sein, näheres sollte noch geprüft werden. Schließlich sei es auch nicht auszuschließen gewesen, dass das Tattoo inzwischen verändert worden sei. Eine gutachterliche Untersuchung blieb bisher jedoch aus.
Neonazis als belastende Tippgeber
Unbeeindruckt von den Einlassungen des Zeugen, verwies die Verteidigung auf einen Zusammenhang zu Einschlägigen Neonazis, wie Daniel B. und dessen Freundin. Welche bereits in einem -Strafverfahren gegen Antifaschist_innen in Bückeburg- vorsätzlich falsch ausgesagt haben sollen. So habe die neonazistische Freundin in einem Strafverfahren wahrheitswidrig ausgesagt, Antifaschist_innen hätten ihr vorsätzlich in den Bauch geschlagen, um einen Schwangerschaftsabbruch herbeizuführen. Weder die Schwangerschaft, noch die Tritte sollen sich im nachhinein als zutreffend herausgestellt haben. Die Verteidigung fand es befremdlich, das sich Behörden auf Anzeigen und Aussagen bezogen hätten, die von Neonazis mit hohem Belastungsinteresse stammten. Welche selbst wiederum als “Gewalttäter Sport Rechts” aktenkundig seien. Das diese als Zeugen aus politischen Motiven heraus zur Verfügung gestanden haben und im Raum Niedersachsen selbst für politisch motivierte Straftaten im Licht der Öffentlichkeit stünden, sei von den Behörden zum Nachteil der Angeklagten nicht in einem Zusammenhang gebracht worden. Das dieser Personenkreis bewusst dieses Strafverfahren mitlenkte, in dem sie die Behörden auf diese Angeklagten brächten, sei für die Verteidiger ein ausreichender Grund das Verfahren abzuweisen. Schließlich stütze sich die Anklage und die Ermittlungen in Teilen auch auf deren belastende Aussagen.
Zum Ende der Vernehmung des Zeugen, stellte sich eine Vorverurteilung der Polizeibehörden bei den Ermittlungen gegen die Angeklagten noch einmal heraus. So soll es eben bei diversen Landesbehörden inzwischen bekannt sein, das dieses “Trio” für solche Taten in Frage käme. Schließlich sei dem Zeugen in seiner Funktion als Polizeibeamter vom LKA Bremen gesagt worden, “wahrscheinlicher als dessen ausbleiben, ist diese [bei Gewaltdelikten] zusammen anzutreffen”. Hierauf begründete die Behörde auch ihren Antrag auf Hausdurchsuchung der gesamten WG, obgleich ein dringender Verdacht gegen den inzwischen frei gesprochenen Daniel M. nie bestand. Jedoch sei nach Angaben des Beamten zur Sicherstellung von Kleidung der Beschuldigten dies notwendig gewesen. Wesemann fragte, wie denn der Zeuge darauf komme, diese Schlüsse einfach so zu ziehen, ohne selbst Zeuge zu sein oder eindeutiges Beweismittel in Rostock zur Hand gehabt zu haben. Hierzu erklärte der Beamte: “Ich rege hier ja nur an!”. Verteidiger Sürig wollte vom Zeugen zudem wissen, ob dieser sich je “die Beinlänge auf den Lichtbildern” angesehen habe und diese “abgeglichen” hätte. Der Zeuge wirkte irritiert und erklärte, immer nur den Oberkörper bei der Analyse heranzuziehen, da eine Beinlänge nach seiner Auffassung keine Relevanz habe.
Dies wies Sürig scharf zurück. Schließlich hätte so der Beamte erkennen können, das die Körpergrößen der Angeklagten, abgeglichen mit denen der Fotos der Zeugen mit den mutmaßlichen Tätern darauf, nicht zusammen passten. Sürig hatte im Vorfeld bereits deutlich gemacht, das allein mit diesen Fotos kaum etwas anzufangen sei, da darauf keine eindeutigen Merkmale zu erkennen seien. Die Körpergrößen auf den Fotos passten nach seiner Auffassung offensichtlich nicht zu den der Angeklagten. Auch sei der Oberarm des Angeklagten Wesley S. wesentlich umfangreicher und die Augenabstände der Angeklagten und die auf den Fotos seien auffällig unterschiedlich. Hierzu wolle die Verteidigung zu den nächsten Prozesstagen einen biometrisches Gutachten hinzuziehen, um dies auch objektiv beweisen zu können. Sürig belehrte den Zeugen, dass auf die Beschreibungen, die er dem LKA Bremen gemacht habe, “so ziemlich jeder zweite Person” passen würde und warum ihn diese Tatsache nicht schon bei seiner Verwertung aufgefallen sei. Der Zeuge gab an, er habe die Fotos nicht gemacht, sondern seine Kollegen. Bei dieser Befragung stellt sich für die Verteidigung heraus, dass wiederum Martin W. und ein Kollege, beides LKA Beamte aus Bremen, die bereits die vergangen Tatkomplexe ebenfalls an sich gezogen hatten, von Anfang an dem LKA in Rostock “dieses Trio” und nur dieses, als Verdächtige übermittelt haben.
Sürig forderte den Zeugen auf, einmal in den Zuschauerbereich zu blicken’und festzustellen, das beinah jede_r im Zuschauerbereich “auf die übermittelten Beschreibungen passe” und ob es für den Zeugen nicht ein “bisschen wenig” sei, “so eine Beschreibung”. Sürig konfrontierte den Zeugen mit der These, das es wohl eher darauf fußt, dass die Freundin eines einschlägig bekannten Neonazis die in Bückeburg gegen Antifaschist_innen bereits falsche Aussagen gemacht habe, “das Verfahren gegen die Angeklagten”, im Hintergrund, in diese Richtung überhaupt erst gelenkt habe. Auch seien dort Personen der Justiz in Bückenburg am Werk gewesen, die, wie ein zuständiger Richter Strauß auf seiner FB Seite, mit Slogans hantierten: Wir geben Ihrer Zukunft ein zu Hause”, die zynisch mit dem Logo einer Justizvollzugsanstalt versehen worden seien.
Verteidiger Sürig versuchte mit dem Exkurs zu einem Verfahren in Bückeburg deutlich zu machen, das hier insgesamt Personen bei den Ermittlungen herangezogen wurden, deren Intention sich offenkundig gegen Antifaschist_innen richtete und die ein zynisches Weltbild in die Justiz brächten. Personen die insgesamt nicht geeignet seien, glaubwürdige Quellen und Grundlagen anzubieten, um darauf ein sauberes Verfahren gegen die Angeklagten aufzubauen.
Die Untersuchung des Tatkomplex “Steinwurf bei einem NPD Aufmarsch in Rostock” wird am 03.03.2016, um 09.00 Uhr fortgesetzt.
Der AKJ Bremen entschuldigt die späte Bereitstellung der Berichte. Gegenwärtig sind wir personell stark ausgelastet. Der Bericht über den achten Prozesstag folgt in den nächsten Tagen.
Der Prozesstag am 09.03.2016 fällt aus.
Der neunte Prozesstag beginnt am Dienstag, den 22.03.2015, um 09.00 Uhr, in der Strafkammer des Landgerichts Bremen.
Sechster Prozesstag
Freispruch für Daniel M.
Nachdem am sechsten Prozesstag, dem 22.02.2016, das Strafverfahren gegen Daniel M. von den anderen beiden Angeklagten abgetrennt wurde, folgten die Richter_innen den Anträgen der Verteidigerin Voigt, sowie dem Staatsanwalt (StA) und sprachen Daniel M. von allen Anklagepunkten frei.
Keine neuen Erkenntnisse zu den Tatvorwürfen
Vorausgegangen war dem Freispruch an diesem Verhandlungstag, die Vernehmung von sieben Polizeibeamten sowie dem Zeugen Patrick S., der aus dem Kreis des Geschädigten Florian M. geladen war. Der Zeuge der neben den vielen Beamten noch einmal zu den bisher untersuchten Tatkomplexen intensiv befragt wurde, sollte die Anklage des StA stützen. Jedoch konnte der Zeuge Patrick S. zu den Ereignissen unter der Hochstraße/Kurfürsten-Allee keine neuen Erkenntnisse liefern. Im Gegenteil, seine damaligen Aussagen bei der Polizei revidierte er größtenteils und betonte äußerst betrunken gewesen zu sein. Auch habe er kaum noch Erinnerungen an das Geschehen. Ebenso zog er den Geschädigten Florian M. selbst in die Mitschuld, schließlich habe dieser “eine große Fresse gehabt”.
Der spätere Ermittlungsbeamte Martin W., der die Untersuchung aller bisher verhandelten Tatkomplexe an sich gezogen hatte, soll vielmehr “alles seltsam” verstanden haben und seine Schilderungen eher so aufgeschrieben, wie dieser sie hören wollte. Mangels eigenständigen Prüfens seines von ihm unterschriebenen Aussageprotokolls, seien Aussagen in dem Vernehmungsprotokoll, von dem Patrick S. heute überzeugt sei, diese so nicht im Wortlaut gesagt zu haben, von dem Ermittlungsbeamten eher eigenmächtig interpretiert worden. Insgesamt sei er nicht einmal zur Tatzeit direkt betroffen gewesen und habe auch damals schon nicht viel dazu sagen können. Nach der Vernehmung habe er sogar vom Ermittlungsbeamten gefordert seine Aussage “zu zerreißen” und nicht zur Akte zu nehmen. Der Ermittlungsbeamte Martin W. sei diesem Wunsch jedoch nicht gefolgt und habe seine Aussage den anderen Zeugenaussagen trotzdem hinzugefügt.
Die Vernehmungen der geladenen Zeug_innen
Von den sieben Beamten die hintereinander vernommen wurden, erinnerten sich mit Ausnahme des Beamten Sascha L., keiner eigenständig an die damaligen Vernehmungen von Zeug_innen oder an die konkreten Ereignisse bei der Sicherstellung an den Tatorten. Vielmehr versuchte mancher mit mitgebrachten Berichten, während der Vernehmung davon abzulesen und dieses Ablesen als eigene Erinnerungen dem Gericht auszugeben. Auch hatten manche Beamte sich verfahrenswidrig Aussagen aus Protokollen weiterer Dienststellen vor dem Prozess angesehen und somit ihre Erinnerungen mit den Erinnerungen Dritter verfälscht. Ein faires Verfahren sahen die Verteidiger_innen auch hier wieder belastet. Der Verteidiger Wesemann musste, trotz Kenntnis des vorsitzenden Richters, mehrfach darum bitten, dass die Beamten das Ablesen während der Vernehmung einstellen. Weiter musste Wesemann deutlich machen, dass in keines der Fälle ernsthaft die Aussagen der geladenen Beamten irgendeine Beweiserheblichkeit mit sich brächten oder überhaupt neue Erkenntnisse lieferten.
Nach knapp 7 Stunden der Vernehmungen, wurde dem schon Tage zuvor gestellten Antrag der Verteidigerin Voigt gefolgt und das Verfahren gegen Daniel M. von dem der Beschuldigten Wesley S. und Valentin S. abgetrennt, um zu einem eigenständigen Urteil in diesem Verfahrensabschnitt kommen zu können. Die Verteidigerin sah es spätestens an diesem Abschnitt der Beweiswürdigung als für alle erkennbar an, das keine belastenden Tatsachen gegen ihren Mandanten zu ermitteln seien und die bisher vorgebrachten entlastenden Beweise ausreichten, um einen Freispruch zu beantragen.
Keine objektive Zurechnung einer Beteiligung von Daniel M.
Keines dieser vier Tatkomplexe konnten in die Nähe des Beschuldigten Daniel M. gerückt werden. Nach der Vernehmung von knapp zwanzig Zeug_innen, der Verlesungen von diversen Aufzeichnungen und Vernehmungsprotokollen sowie mehrfachen Versuchen mit richterlichen Nachdruck mehr konkrete Details aus den geladenen Zeug_innen herauszubekommen, konnte keine_r der Beamten, Zeugen oder Geschädigten belastende Aussagen machen, die eine Mittäterschaft von Daniel M. zweifelsfrei belegen würden.
Antrag auf Freispruch durch den Staatsanwalt
So sah der StA selbst die Niederlage seiner Anklage gegen Daniel M. ein und beantragte dessen Freispruch mit einem begründenen Überblick der Ursachen für das Verfahren gegen Daniel M.. So soll der “hinreichende Tatverdacht” gegen Daniel M., aus Sicht der StA, nach einer “Prognose über die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung” gegeben und eine Anklage geboten gewesen sein. Auf der anderen Seite sei nun, nach der “umfassenden Beweiswürdigung und lückenloser Nachzeichnung” der Anklagepunkte, die Überzeugung über die Schuld des Angeklagten nicht aufrecht zu erhalten. Der StA war bei Eröffnung des Hauptverfahrens von einer Tatbeteiligung ausgegangen, da “zwei Drittel der Taten vor seiner Haustür begangen worden” waren. Auch sei die “Wohngemeinschaft” mit den anderen beiden Angeklagten ein “starkes Anzeichen” für seine Mittäterschaft gewesen. Für eine Anklage sprach auch die Tatsache, dass die drei Angeklagten bereits als “links motivierte Gewalttäter Sport” registriert gewesen seien.
Besonders belastend seien aber die früheren Aussagen des Geschädigten Florian M. und Jaroslaw S. gegen den Angeklagten gewesen. Das Auffinden von einem “Schlagring in den Räumen des Angeklagten” und eine inzwischen revidierte “Aussage von Patrick S.”, in der ein Schlagring als Tatwerkzeug eingesetzt worden sein soll, taten für das Gesamtbild ihr übriges. Am Ende hätten jedoch die massiven “Widersprüche der Geschädigten” in der Verhandlung Zweifel aufkommen lassen. Besonders Merkwürdig blieb “das Verhalten des Geschädigten Jaroslaw S.”, der verschiedenen Angriffen ausgesetzt gewesen sein soll, bei dem nach seiner Aussage, die drei Angeklagten beteiligt gewesen sein sollen. Jedoch habe dieser “diesen Zusammenhang nie bei den Ermittlungsbehörden” je selbst in einem Zusammenhang so angezeigt, obgleich dieser “diesen Zusammenhang” als Geschädigter objektiv hätte erkennen müssen. Der Geschädigte sei schließlich nach späteren Aussagen überzeugt gewesen, dass es sich bei den Angriffen jeweils um diese Angeklagten handeln würde. Dies passte nicht zusammen. Die “eigenständigen Recherchen des Florian M.”, in Verbindung mit seinem Bruder, reichten für einen Schuldspruch ebenso wenig aus, wie die widersprüchlichen Erinnerungen der Zeug_innen an das genaue Aussehen der Täter.
Im Schlussantrag des StA wurde somit der Freispruch gefordert, sowie die Kosten des Verfahrens der Staatskasse zur Last zu legen.
Antrag auf Freispruch durch die Verteidigerin Voigt
Diesem Antrag schloss sich die Verteidigerin Lea Voigt an. Sie ergänze ihre Begründung für den Freispruch um die Tatsachen, dass die Angreifer in fast allen Fällen maskiert gewesen seien und nicht eindeutig hätten erkannt werden können. Auch seien seltsame Ermittlungen “auf eigene Faust”, auf die sich der Ermittler Martin W. fast “ausschließlich verlassen” habe, kein hinreichender Beleg für eine Mittäterschaft. Die Situation nach dem Angriff auf Florian M., nach der die Angeklagten in einem Fitnessstudio den Bruder des Geschädigten angesprochen haben sollen, um die Geschädigten zu beeinflussen, haben sich nicht bestätigen können. Im Gegenteil, der Bruder erinnerte sich nicht an so einen Versuch. Die nur schriftlich vorliegenden Aussagen des Geschädigten Jaroslaw S., belegen, dass dieser “immer nur eine Person Namenhaft bei den Ermittlungsbehörden gemacht” hatte. Darunter sei aber “nicht ihr Mandant” gewesen. Das es überhaupt zu einer Ermittlung gegen den Angeklagten gekommen sei, hatte vielmehr “mit der Selbstsuggestion der Geschädigten” zu tun. Die sich wiederholt gegenseitig Fotos und Namen zeigten, von denen sie ohne die Täter selbst am Tatort erkannt zu haben, schlicht diese drei Angeklagten als die einzig in Frage kommenden Täter subjektiv voraussetzen. So mussten es für diesen Kreis der Geschädigten, diese Angeklagten, bzw. ihr Mandant, gewesen sein, ohne dass es hierzu je eine objektive Grundlage gab.
Eine “mangelnde Überprüfung und Belastbarkeit der Behauptungen der Geschädigten”, seien weder von den Ermittlungsbehörden, noch von der StA “hinreichend überprüft” worden. Der Ermittlungsbeamte Martin W. habe vielmehr “von Anfang an den Zeugen ungeprüft glauben geschenkt”, Verstrickungen in das Nazimilieu, seitens des Hauptbelastungszeugen Jaroslaw S., und somit das Belastungsinteresse dieses Zeugen, seien ungeprüft geblieben. Selbst bei der Vernehmung im Gericht, habe “der Ermittler Martin W. nie im Konjunktiv” gesprochen, sondern eine Schuld der Angeklagten, bzw. ihres Mandanten, “einfach vorausgesetzt”. So sei ihr Mandant “ohne belastende Beweise” förmlich vor dieses Gericht “gezerrt” und in der Öffentlichkeit massiv durch die Behörden erheblich “stigmatisiert worden”. Auch sei das Grundrecht ihres Mandanten auf “rechtliches Gehör” beschädigt worden, da dieser bis zur Eröffnung des Verfahrens gegen ihn, keine echte “Gelegenheit bekommen” habe, seine Version zu den Anschuldigungen vorzubringen. Das Verfahren gegen Daniel M. sei schlussendlich das Ergebnis von “Verfolgungseifer der StA” sowie “der Strafkammer” und wäre von Anfang an vermeidbar gewesen, wenn die im Vorfeld bekannten “Widersprüche des Belastungszeugen” Jaroslaw S. ordentlich gewürdigt worden wären. Stattdessen habe die Strafkammer “überstürzt ein fragwürdiges Strafverfahren” gegen ihren Mandanten “durchzusetzen” versucht.
Urteil der Bremer Strafkammer
Nach einer kurzen Pause verkündeten die vorsitzenden Richter_innen dem Antrag beider Parteien zu folgen und sprachen den Angeklagten Daniel M. von allen Anklagepunkten frei. Im Verfahren wiesen sie jedoch, wie schon im Vorfeld anderer Anträge der Verteidigung, jede Kritik am Verfahren von sich. Vielmehr betonten sie die herrschende Meinung der Rechtsauffassung herangezogen zu haben, mit der ihre Interpretation der Strafprozessordnung und anderer Rechtsnormen tadellos angewendet worden wären.
Kritik und Analyse vom AKJ Bremen – Ein Zwischenstandsbericht
Der AkJ Bremen teilt nicht die Auffassung des Gerichts, bzw. der Justiz, über dessen eigene Leistung. Vielmehr ist es schlichtweg ein Skandal, wenn mit solchen Ermittlungsmethoden und einer derart dünnen Beweislage, das Hauptverfahren gegen Beschuldigte eröffnen wird. Es war niemals ein “hinreichender Tatverdacht” gegeben, sondern stets nur ein Anfangsverdacht. Der Gesetzgeber sieht bewusst verschiedene Verdachtsstufen vor. Hier die hinreichende angenommen zu haben, ist entweder unprofessionell oder im vorauseilenden Gehorsam passiert. Auch die Anordnung der Untersuchungshaft, einer Vielzahl ergebnisloser Hausdurchsuchungen und die öffentliche Stigmatisierung, bzw. Kriminalisierung der Angeklagten, lassen alles andere als ein “objektives” und “faires Verfahren” erkennen. Das Verfahren beginnt nicht erst im Gerichtssaal. Das Verfahren beginnt in dem Moment, in dem Ermittlungen nach einem Anfangsverdacht aufgenommen werden.
Auch verfügen Richter_innen nicht über einen inneren geistigen Modus, bei dem sie schlicht auf “objektiv” umschalten könnten und alle Kommentare aus den Medien, des Innensenators oder der Polizei- und Justizsprecher_innen, die sie bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens bereits gehört und gesehen hatten, verschwinden aus ihrem Bewusstsein. Trotz des Freispruchs, ist die freie Beweiswürdigung, das “Fair Trail Prinzip” und Grundprinzipien der Strafprozessordnung in der Gesamtschau derart beschädigt, dass auch das weitere Verfahren hierin nicht mehr geheilt werden kann.
Ein Hauptbelastungszeuge aus dem Neonazi-Milieu, mit einem offensichtlichen Belastungsinteresse, welches der StA hätte objektiv erkennen können und erkennen müssen, reichte dem StA dennoch aus, um ein solch dramatisches Verfahren einzuleiten. Der leitende Beamter Martin W. beim Staatsschutz, ermittelte offenkundig nur in eine Richtung, nämlich in seine Richtung, mit persönlichen Eifer hier einen besonders großen Fall zu verfolgen. Ohne das es zu seinen Aufgaben gehört, fällte dieser ein Urteil über die Angeklagten, drehte Aussagen der Geschädigten zurecht und will politische Interessen der rechtsradikalen Hooligan-Szene, an der Verurteilung der drei Angeklagten, nicht erkannt haben. Auf solch eine groteske Aktenlage stützte sich der Staatsanwalt. Schließlich räumte das Gericht nun selbst bei dessen Freispruch ein, das die Widersprüche der Zeug_innen hätten auffallen können. Der AKJ sieht hier ein extremes Versäumnis der Bremer Justiz und in diesem Kontext eine unsittliche Härte gegen jugendliche Beschuldigte. Mit dieser Beweislage, welche überwiegend aus dem Mündern schwer alkoholisierter Personen und aus dem Munde eines untergetauchten Neonazis stammten, lässt sich eine Rechtfertigung für die Eröffnung dieses Verfahrens und das Festhalten an diesem Verfahren, nicht erkennen.
Eine Rehabilitation des freigesprochenen Daniel M. ist zudem kaum möglich, da dieser durch die wertende Berichtserstattung im Vorfeld des Hauptverfahrens und durch die Darstellungen und Verlautbarungen der Justiz, Polizei und dem Innensenator, nicht nur erschwerend durch die rechtsradikale Szene seine Person in seinem Ansehen intensiv beschädigt wurde und wird, sondern auch in der bürgerlichen Gesellschaft nun beschädigt bleibt. Eine bürgerliche Gesellschaft, auf die es gerade der Justiz so dringend ankommt, sich in diese zu integrieren. Das aktuelle Aussehen der Angeklagten war mit nachträglichen Segen der vorsitzenden Richter_innen grob fahrlässig von einer Bremer Zeitung online veröffentlicht worden. Dies trägt noch mehr zur nachhaltigen Stigmatisierung der weiterhin Beschuldigten und des Daniel M. bei. Auch die Bürger_innen erhalten nach diesem Urteil kaum Notiz von der festgestellten Unschuld des Daniel M. Die Justiz, Polizei und der Innensenator sowie der Landessender Radio Bremen, welche im Vorfeld des Prozesses ein kriminalisierendes Bild über -antifaschistische Ultras- zeichneten, hatten sich nach dem Freispruch nicht die Mühe gemacht, die Bürger_innen über diesen Freispruch so in Kenntnis zu setzen, wie sie es mit ihrer Vorverurteilung des Beschuldigten Daniel M. vor dem Verfahren getan hatten. Jede öffentliche Mitteilung über den Freispruch blieb bisher aus.
Das Rechtssystem in einem sozialen, demokratischen Staat sieht vor, durch Freispruch eine Rehabilitation in der Gesellschaft erfahren zu können. Eine Praxis zu diesem Anspruch scheint offenkundig nicht zu existieren. Eine öffentliche Entschuldigung des Bremer Innensenators Mäurer, der sich noch vor wenigen Monaten förmlich überschlagen hatte, antifaschistische Ultras für den Ärger in der Stadt verantwortlich zu machen statt der rechtsradikalen Hooligans, wäre hier das mindeste Zeichen der Würdigung, um Daniel M. eine echte Chance auf Rehabilitation zu gewährleisten.
U-Haft gegen Valentin S.
Nachdem hier einige gravierende Punkte die zur Entlastung des Angeklagten Daniel M. inzwischen vorgebracht wurden, sich überwiegend auch auf die beiden anderen Angeklagten durchschlagen werden, bleibt eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten Valentin S. um so mehr ein unverhältnismäßiger und schwerwiegender Grundrechtseingriff. Es ist absehbar, dass auch für diesen Angeklagten sich die Vorwürfe nicht alle zweifelsfrei belegen lassen werden. Die Untersuchungshaft unverzüglich aufzuheben und auf das Mittel der Auflagen für den Angeklagten zurückzugreifen, ist aus unserer Sicht um einiges näher am Gebot der Verhältnismäßigkeit und Zweckmäßigkeit orientiert. Die U-Haft ist nach bisherigen Erkenntnissen aus dem Verfahren gegen den Angeklagten Valentin S. stets geeignet diesen von möglichen Straftaten abzuhalten, sie ist jedoch weder erforderlich, noch ist sie nach dem jetzigen Sachstand angemessen.
Der AkJ Bremen fordert aus den genannten Gründen einer kritisch juristischen Perspektive, mit dem objektiven Kenntnisstand über die fragwürdigen Ergebnisse dieses kostenintensiven Strafverfahrens, eine sofortige Aufhebung der inzwischen knapp acht Monate anhaltenden Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten Valentin S..
Eine unverhältnismäßige Anwendung dieser Maßnahme, eine fragwürdige Beweislage sowie politische Einflussnahme durch den Innensenator während der Ermittlungen, sind keine tragfähige Grundlage für eine solch belastenden Grundrechtseingriff.
Der Prozess gegen die verbliebenen Angeklagten wird am Donnerstag, den 25.02.2016, um 09.00 Uhr, im Saal 218 fortgesetzt.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen
Eine kurze Zusammenfassung der bisher im Verfahren untersuchten Tatkomplexe
Bisher waren in dem Strafverfahren folgende Tatkomplexe untersucht worden, bei dem Daniel M. neben den zwei anderen Angeklagten als mutmaßlicher Mittäter beschuldigt worden war. Den verbliebenen Angeklagten wird weiterhin eine Tatbeteiligung an diesen vier Tatkomplexen unterstellt:
Überfall auf eine Gruppe Deutschland-Fans an der Kurfürsten-Allee
Angriff auf eine Gruppe von Personen, die in der Nacht vom 09.07.2014 unter einer Hochstraße, in der Vahr, im alkoholisierten Zustand gewesen seien und mit aggressiven “Deutschland” Rufen vorbeigehende Passant_innen provoziert hätten. Im späteren Verlauf der Ereignisse seien sie von drei maskierten Personen überfallen und körperlich geschädigt worden. Unter den Geschädigten sei Florian M. mit einem tragbaren Ghettoblaster am Kopf verletzt worden und aufgrund seiner schweren Verletzungen, die durch Tritte und Schläge verursacht worden seien, soll der Geschädigte stationär behandelt worden sein.
Angriff auf Jaroslaw S. an der Haltestelle in der Vahr
Überfallartiger Angriff auf Jaroslaw S., am 02.03.2014 an einer Bushaltestelle der Heinrich-Herz-Str. in Bremen. Dieser soll an dem Tag Kleidung der Marke Thor Steinar getragen haben. Während dieser mit seiner Mutter in der Bushaltestelle wartete, seien mehrere Jugendliche auf ihn gezielt zu gekommen und hätten ihn angesprungen. Sie sollen seinen Kopf dabei gegen die Glaswand der Bushaltestelle gestoßen und ihn als “Nazi” bezeichnet haben. Nachdem dieser seine Tätowierung mit der Aufschrift Polski gezeigt habe und sich als “Pole” bezeichnete, sollen die Angreifer von ihm abgelassen und davon gelaufen sein. Der Geschädigte soll ihnen hinterher gerannt sein, sie jedoch aus den Augen verloren und die Polizei verständigt haben.
Angriff einer Gruppe auf zwei Geschädigte in der Friesenstraße
Straftaten Im Bremer Viertel, Friesenstraße. Dort sei am 30.05.2014 der Geschädigte Mirko G. zusammen mit seinem Begleiter Jaroslaw S. aus einer Gruppe heraus gemeinsam angegriffen worden. Vorausgegangen sein soll ein Kontakt mit zwei unbekannten Personen in einem Supermarkt gewesen sein, die beide Geschädigten auf eine Gürteltasche der Marke Thor Steinar angesprochen hätten und gefragt hätten, ob diese “Nazis” sein. Nach verlassen des Supermarktes seien die beiden Geschädigten in die Friesenstraße verfolgt worden und Mirko G. sei zu Boden gerissen, geschlagen und getreten worden. Dabei sei dem Geschädigten ein Finger gebrochen worden. Jaroslaw S. soll vor den Angreifer_innen geflohen seien, die Täter weiter beobachtet haben und die Polizei verständigt.
Mutmaßliche Körperverletzung gegen eine unbekannten Person
Im September 2014 will der Beamte Sascha L., eine Gruppe von fünf Personen vor dem “Burger-Haus” am Steintor, von seinem Fahrzeug aus beobachtet haben, wie aus der Gruppe heraus eine Person eingekreist und in den Magen geschlagen worden sei. Der Beamte soll daraufhin seine Kollegen verständigt haben, die gerade mit der Sicherung rivalisierender Fangruppen eines Spiels im Stadion beauftragt gewesen seien. Nach der Funkweiterleitung der Täterbeschreibungen an seine Kollegen, will der Beamte die Verfolgung selbstständig aufgenommen, jedoch die mutmaßlichen Täter nach Minuten der Verfolgung aus den Augen verloren haben. Nachdem andere Beamte seine Täterbeschreibung aufgegriffen hätten und selbst die Fahndung aufnahmen, sollen sie auf einem Hinterhof sowie in einer weiteren Seitenstraße, zwei der Angeklagten mit passender Beschreibung angetroffen haben und vorläufig in Gewahrsam genommen. Ein angeblich Geschädigter soll sich bis heute nicht ermitteln lassen können
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Fünfter Prozesstag
Fünfter Prozesstag des Verfahrens gegen antifaschistische Ultras
Am 18.02.2016 begann der 5. Prozesstag im Verfahren gegen antifaschistische Ultras mit der Vernehmung von Pascal S., der zum Tatkomplex vom 09.07.2014 an der Hochstraße/Kurfürsten-Allee vernommen wurde.
(Siehe auch AKJ Bericht: Zweiter Prozesstag)
Vernehmung Pascal S.
Pascal S. schilderte den damaligen Vorfall teilweise abweichend von den Aussagen des Hauptgeschädigten Florian M., wie folgt: Er habe sich mit den Zeugen Florian M. sowie Sergej D. und Patrick S. zu viert unter der Hochstraße aufgehalten und Musik gehört. Eine Person sei vorbeigekommen und habe Rufe wie: „Deutschland! Scheiß Deutschland!“ von sich gegeben. Daraufhin seien Florian M und Patrick S. der Person hinterher gegangen, in der vom Zeugen Pascal S. vermuteten Absicht, sich mit der rufenden Person schlagen zu wollen. Florian M. und Patrick S. seien daraufhin wenige Minuten später zurückgekehrt und hätten weiter Alkohol getrunken. Eine viertel Stunde später hätten drei maskierte Personen sie angegriffen. Der Zeuge sagte weiter aus, er habe die Angreifer schon von weitem auf ihre Gruppe zukommen sehen und seine Freunde aufgefordert, unverzüglich wegzulaufen.
Auf Nachfrage des Vorsitzenden gab der Zeuge weiter an, die Angreifer aufgrund ihrer Maskierung nicht erkannt zu haben. Sie hätten eine “rote und zwei helle (graue-weiße) Sturmhauben” getragen. Dies widerspricht den bisherigen Beschreibungen der Maskierungen, welche bisher immer als “schwarz“ oder “schwarz mit roten Streifen” bezeichnet worden waren. Des Weiteren gab der Zeuge an, in Richtung des Polizeipräsidiums vor den Angreifern weggelaufen zu sein. Er habe deshalb das weitere Geschehen unter der Hochstraße nicht gesehen. Er gab auch an, den Angriff auf dem Polizeipräsidium in der Vahr gemeldet zu haben. Laut Vorhalt der Notiz eines dortigen Polizeibeamten durch den vorsitzenden Richter, soll sein Freund demnach mit einem “Totschläger” geschlagen worden sein. Auf Nachfrage des Vorsitzenden, ob diese Aussage tatsächlich auch so zutreffe. antwortete Pascal S.: „Nee, war doch nicht so“.
Ähnlich verhält es sich auch mit einer ihm vorgehaltenen früheren Angabe aus dem Protokoll der Polizei. Hier gab er an, die Täter hätten „Mützen und Schals dabei gehabt“. Auch hier revidierte er seine damalige Aussage. Bezüglich der möglichen Angreifer gab der Zeuge an, dass Florian M. unmittelbar nach der Tat erklärt habe, er kenne die Täter bzw. die Person, mit der es vorher zum Wortgefecht gekommen war. Auf die Nachfrage des Richters, ob diese Person denn am Angriff beteiligt gewesen sei, konnte Pascal S. keine Angaben machen. Ein paar Wochen nach der Tat habe Florian M. dem Zeugen dann gesagt, dass es sich bei den Angreifern um Personen handele, die “sein Bruder aus dem Fitnessstudio” kenne. Der Richter erkundete sich daraufhin danach, ob der Zeuge auch kürzlich mit Florian M. darüber gesprochen habe. Der Zeuge berichtete lediglich, Florian M. habe ihm gegenüber nach seiner Aussage am 01.02.2016 vor Gericht ihm gegenüber geäußert, dass das Verfahren wohl “fallen gelassen” würde. Dies sah der Zeuge auch als Grund, nicht der ersten Ladung des Gerichts zur Vernehmung zu folgen.
Vernehmung Sergej D.
Daraufhin wurde der Zeuge Sergej D. in den Saal gerufen. Auch er sagte aus, dass eine Person “vorbeigefahren” sei, hinter der Florian M. und Patrick S. nach einem kurzen Wortgefecht dann hinterher gelaufen seien. In einer anderen Version hatte es stets gehießen, die Person sei vorbei gelaufen. Worum es bei dem Wortgefecht ging, will der Zeuge aber nicht verstanden haben. Abweichend von den Zeugen Florian M. und Pascal S. gab dieser Zeuge nun an, mit der Gruppe das Fußball-Spiel aber gar nicht gesehen, jedoch selbst ca. zwei Flaschen Wodka an dem Tag getrunken zu haben. Auf die Frage des Vorsitzenden, wie betrunken er denn gewesen sei, sagte er: „Geht. Ich trinke ja viel.“ Er habe sich jedoch zur Tatzeit nicht beeinträchtigt gefühlt. Zum Zeitpunkt des Angriffs wollte er gerade die Toilette aufsuchen. Auf dem Weg dorthin hörte er Pascal S. hinter sich rufen: „Lauft!“. Er habe sich umgedreht und sei von einem der Angreifer zwei bis dreimal ins Gesicht geschlagen worden, danach will er aber keinerlei Schmerzen verspürt haben. Auch habe er keine Verletzungen davongetragen. Auf Nachfrage des Vorsitzenden, bezüglich des Aussehens der Täter, versicherte er, aufgrund der Dunkelheit und Kürze des Angriffes, habe er außer der “schwarzen” Maskierung nichts wahrnehmen können.
Auf Nachfrage, ob die zuvor vorbei gelaufenen Person an dem Angriff beteiligt gewesen sei, erklärte er, das nicht zu wissen. “Niemand aus der Gruppe” habe die Person zum Tatzeitpunkt gekannt. Florian M. habe erst nach seinem Krankenhausaufenthalt die Vermutung geäußert, dass es sich bei der Person um einen der Angeklagten handele. Diese Information habe nach Einschätzung des Zeugen Pascal S., der Geschäfigte Florian M. wohl von seinem Bruder.
Dem Zeugen wurde das polizeiliche Protokoll vorgehalten, in dem er damals angegeben hatte, es seien “vier Angreifer” vor Ort gewesen. Dazu sagte er dem vorsitzenden Richter nun: „Ich glaube nur drei, aber ich weiß es einfach nicht mehr so genau. Es ist ja auch schon zwei Jahre her.“
Auf Nachfrage des Staatsanwaltes zu dem Täter, der mit einem Ghettoblaster geworfen haben soll, erklärte der Zeuge, es habe sich dabei um die Person gehandelt, die auch ihn selbst geschlagen habe. Diese Person sei „nur ein Stück größer“ als er selbst gewesen. Zu seiner eigenen Körpergröße konnte der Zeuge auf Nachfrage überraschenderweise keine Angaben machen.
Die Angaben des Zeugen ließen somit insgesamt keine belastenden Schlüsse bezüglich der Angeklagten zu.
Der Zeuge Patrick S.
Der bereits mehrfach geladene Zeuge Patrick S. erschien auch an diesem Verhandlungstag wieder nicht. Daraufhin ordnete der Richter die sofortige zwangsweise Vorführung an und ließ Polizeibeamte nach seinem gegenwärtigen Aufenthalt suchen. Auch nach einer Unterbrechung konnte Patrick S. dem Gericht nicht vorgeführt werden, da er inzwischen unter einer anderen Adresse wohnhaft ist.
Vernehmung Polizeibeamter Andre M.
Als nächstes wurde der Polizeibeamte Andre M. in den Saal gerufen. Der wies darauf hin, dass der Zeuge in einem bisher noch nicht zur Sprache gekommenen Sachverhalt geladen ist. Es geht um einen neuen Tatkomplex, der sich nach dem Bundesligaspiel zwischen dem SV Werder Bremen und dem FC Schalke 04, am 23.09.2014 ereignet haben soll. Der Beamte wurde um eine genaue Schilderung der Geschehnisse gebeten und seine heutigen Erinnerungen an den Fall vorzutragen.
Er sei nach dem Spiel im Einsatzwagen im Bremer Viertel unterwegs gewesen und habe per Funkspruch von einer Körperverletzung, ausgehend von drei Personen, erfahren. Die gemeldeten Täter seien flüchtig und wären über die Straße „Vor dem Steintor“ in Richtung der „Lübecker Straße“ unterwegs. Er und die anderen, sich im selben Einsatzwagen befindenden, Polizeibeamten hätten schließlich vor einer Kneipe an der „Lübecker Straße“ gehalten und hätten sich zunächst in dem Gebiet verteilt. Nachdem ein Kollege vorschlug, in einem Hinterhof, nicht weit von der besagten Kneipe, nachzusehen, seien sie dort auf zwei Personen gestoßen. Die angetroffenen Personen seien außer Atem gewesen. Einer von Ihnen wäre gerade dabei gewesen eine “rote Jacke” auszuziehen und auf den Boden abzulegen. Auf Nachfrage gab der Beamte an, dass sie jedoch nicht den Eindruck machten, sich verstecken zu wollen. Die durchgegebene Täterbeschreibung habe nach seinem Eindruck aber gepasst, woraufhin man die Verdächtigten zu weiteren Kontrollen zum Einsatzfahrzeug geführt und Fotos von ihnen gemacht habe. Die Personenkontrollen ergaben, dass es sich dabei um Wesley S. und Milan B. handelte.
Später sei eine dritte Person in einer der Nebenstraßen der Lübecker Straße aufgegriffen und den anderen Beamten zugeführt worden. Hierbei habe es sich um den Beschuldigten Valentin S. gehandelt. Darüber hinaus seien Gegenstände wie ein “schwarzes Halstuch” und “schwarze Gartenhandschuhe” bei den Verdächtigten vorgefunden und vor Ort beschlagnahmt worden. Anschließend seien die Verdächtigten in Gewahrsam genommen worden.
Von dem vorsitzenden Richter auf die genaue Täterbeschreibung aus dem Funkspruch angesprochen, führte der Zeuge aus, er wisse es zwar “nicht mehr genau”, könne sich aber noch an die “rote Jacke” erinnern. Der Vorsitzende fragte, von wem diese Personenbeschreibung ursprünglich ausging und wies darauf hin, dass in den Akten lediglich vermerkt sei, dass die “Beschreibungen” bezüglich der Verdächtigen “zugetroffen” hatten, jedoch “keine genauen Angaben” zu der vorher per Funk durchgegebenen Täterbeschreibungen vermerkt worden sei.
Der Zeuge führte aus, der Funkspruch sei von einem “Verkehrspolizisten” ausgegangen. Jener sei nicht zu den Kontrollen auf dem Hinterhof hinzugekommen. Er kenne diesen Kollegen nicht und habe seinen Namen auch erst im Nachermittlungsverfahren überhaupt feststellen können.
Außerdem fiel ihm bei der Vernehmung ein, dass eine Gruppe ihm am selben Tag bereits im Vorfeld verdächtig aufgefallen sei, als er sich vor Anpfiff des Bundesligaspiels am Osterdeich als Beamter aufhielt, um potentielle Ausschreitungen zwischen “Heim- und Gästefans zu unterbinden”. Die Gruppe um die Person mit der “roten Jacke” habe sich ebenfalls am Osterdeich aufgehalten, hätten aber, nachdem der Zeuge auf sie zuging, den Deich zügig verlassen.
Auf Nachfragen nach Einzelheiten der Kontrollen der Personen auf dem Hinterhof, verwies der Zeuge wiederholt auf seinen Bericht, da er sich nicht mehr genau erinnere.
Nicht alle Zeugen erreichbar
Der Vorsitzende wies daraufhin, dass er sich das Erscheinen weiterer Zeugen zu den bisher verhandelten Sachverhalten erhoffe. Darunter soll der Verkehrspolizist L. für die nächste Verhandlung nochmal geladen werden. Dieser war verhindert und konnte heute nicht vernommen werden.
Da mit einem Erscheinen des Zeugen Jaroslaw S. auch weiterhin nicht zu rechnen sei, soll dessen damalige Aussage zum nächsten Prozesstag verlesen werden. Weiter standen Überlegungen im Raum, die Mutter der Brüder Florian und Daniel S. als Zeugin zu laden.
Staatsanwalt lehnt Stellungnahme ab
Verteidigerin Voigt fragte nach einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, bezüglich ihres Antrages vom vierten Prozesstag. Der Staatsanwalt hielt es jedoch nicht für erforderlich, auf den Antrag von Voigt einzugehen.
Kritik Arbeitskreis kritischer Jurist_innen
Aus Sicht des AKJ Bremen ist diese Ablehnung ohne Begründung nicht nachvollziehbar. Gerade nicht mit Hinblick darauf, dass es hier der zuständige Staatsanwalt war, der das Verfahren eröffnete, obwohl von Anfang an nicht genügend beweisbare Tatsachen durch Polizeibehörden und Staatsanwaltschaft ermittelt wurden. Aus unserer Sicht ist es zwingend, dass der Eröffnung des Hauptverfahrens einer Prognose zugrunde liegt, die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung eines jeden Angeklagten verspricht. Davon ist nach fünf Verhandlungstagen bei diesem Strafverfahren bisher nichts zu erkennen. Zudem mangelt es extrem an dem konstituierenden Gebot, für jede Justiz stets ein faires und objektives Verfahren anzustreben. Dieses Interesse scheint zumindest bei der Staatsanwaltschaft von Anfang an nicht bestanden zu haben.
Bitten auf Freilassung Valentins aus der U-Haft
Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass das Vorbringen Wesemanns “unzutreffend” sei.
Der Prozess wird am 22.02.2016, um 09.00 Uhr im Landgericht Raum 218 fortgesetzt.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen
Vierter Prozesstag
Veröffentlichung bleibt ohne Konsequenzen
Zu Beginn des 4. Verhandlungstages, dem 15.02.2016, erklärte der Vorsitzende, dass die Veröffentlichung eines Fotos der Angeklagten durch den -Weserreport- ohne Konsequenzen für den verantwortlichen Verlag bleibt. Der Herausgeber hatte die Angeklagten deutlich erkennbar in einer Ausgabe des Anzeigenblatts abgedruckt und damit das aktuelle Aussehen der Angeklagten grob fahrlässig einer breiten Öffentlichkeit preisgegeben. Das Gericht sah darin lediglich ein “Versehen” der verantwortlichen Redaktion und wies die Beschwerde der Verteidiger_innen gegen die Veröffentlichung der Bilder zurück. Dass das online gestellte Bild in rechtsextremen Kreisen aufgegriffen wurde blieb ungesagt.
Antrag auf Verfahrenseinstellung
Der am 28.01.2016 vom Verteidiger Wesemann gestellte Antrag, das Verfahren wegen Körperverletzungen gegen seinen Mandanten einzustellen, wurde vom vorsitzenden Richter, der sich in der Sache der Auffassung des Staatsanwaltes (StA) anschloss, abgewiesen.
Vorausgegangen war die Erklärung des Verteidigers am ersten Prozesstag, dass für seinen Mandanten ein “faires Verfahren” von Anfang an “nicht gegeben” gewesen sei. Nach Auffassung des StA hingegen seien die Einlassungen des Verteidigers von Valentin S. nichts weiter als “persönliche Wertungen die außerhalb gesetzlicher Themen stünden”. Sie seien alle “nicht geeignet”, eine “schwere Verfahrensverletzung” zu begründen.
Antrag auf Unterbrechung
Verteidiger Sürig beantragte die Unterbrechung des Verhandlungstages am Donnerstag, den 18.02.2016, für drei Stunden, um selbst an einer Demonstration gegen das vom Bundestag angekündigte Asylpaket II teilzunehmen. Nach eindrücklicher Erklärung über die Dringlichkeit, sich gegen dieses Gesetzespaket zu wenden, das die Menschenrechte und Menschenwürde von Asylsuchenden massiv beschädigt, bat er den StA und vorsitzenden Richter, einer Verhandlungsunterbrechung zuzustimmen. Der StA lehnte eine Unterbrechung entschieden ab und unterstellte, dass Sürig seinen Mandanten “nicht ordentlich vertreten” könne. Der Richter schloss sich der Ablehnung an und verwies auf das “Beschleunigungsgebot in Haftsachen”.
Kritik an Verfahrensweise
Nach Ablehnung seines Antrags kam Wesemann auf die Geschehnisse des dritten Prozesstages zurück. Er kritisierte die Verfahrensweise der Ermittlungsbehörden insgesamt. Die Aussagen der Mutter des Geschädigten Jaroslaw S., die vertretend für ihren Sohn als Zeugin geladen war und mit ihren Aussagen den Angeklagten Valentin S. zu belasteten schien, bezeichnete Wesemann schon am zweiten Prozesstag als ein “nicht tatbezogenes Wiedererkennen”.
Kritik an interner Kommunikation
Nachdem diverser Schriftverkehr zwischen der Polizei und der StA dem Verteidiger Wesemann erst spät mitgeteilt wurde, fragte er den StA: “Sagen Sie uns, was läuft hier eigentlich hinter den Kulissen?” – “Die StA und die Polizei bekommen irgendwelche Emails und ich kann nicht erkennen, was davon überhaupt zur Beweisaufnahme in den Ermittlungen gehören soll.” Die Kritik an diesen internen Vorgängen zwischen Polizei und StA wurde vom Gericht zurückgewiesen. Schließlich könne diese Korrespondenz “auch etwas mit entlastenden Ermittlungen für die Angeklagten” zu tun haben, so der Vorsitzende.
Wesemann suchte weiter Antworten auf die Frage, wer bei den Ermittlungen für welche Vorgänge verantwortlich ist. Aus dem Emailverkehr der Polizei und Strafjustiz ließe sich das nach seiner Auffassung nicht erkennen. Dazu wollte der StA jedoch keine Ausführungen machen. Verteidigerin Voigt kritisierte die zu Tage tretende “Rechtsauffassung” des StA scharf. Voigt wurde jedoch vom Vorsitzenden inmitten ihrer Kritik vom vorsitzenden Richter gleich unterbrochen, obwohl Sie nachdrücklich darauf hinwies, dass auch dem StA Gelegenheit gegeben worden war, sich in dieser Angelegenheit mündlich zu äußern.
Kritik Arbeitskreis kritischer Jurist_innen
Aus kritisch juristischer Sicht muss der AKJ an dieser Stelle noch einmal seine Kritik vom dritten Prozesstag aufgreifen. Die Verteidigung scheint insgesamt durch die Ermittlungsbehörden schlechter gestellt zu werden. Besonders im Bereich Auskunft und Transparenz in informationeller Hinsicht. Das Prinzip eines -fairen Verfahrens- wird unterlaufen. Die gegenteilige Behauptung des Staatanwaltes überzeugt hier nicht, trägt dieser doch für diese anhaltende Intransparenz eine Mitverantwortung. Ein faires, rechtsstaatliches Verfahren sieht deutlich anders aus.
Aussagen des Zeugen Mirko G.
Nach diesen ersten engagierten Auseinandersetzungen zwischen den Prozessparteien wurde der geschädigte Zeuge Mirko G. belehrt und zu den Ereignissen am 30.05.2014 in der Friesenstr./Römerstr., nahe des für den heute verhandelten Tatkomplex relevanten Supermarktes REWE, befragt.
Mirko G. soll an diesem Tag, gegen 22.15 Uhr, zusammen mit dem Zeugen Jaroslaw S., von einer Gruppe aus 6 – 8 Personen nach einem Einkauf im Supermarkt verfolgt und nach einem kurzen Wortwechsel zusammengeschlagen worden sein. Bereits im Supermarkt seien er und sein Begleiter von zwei unbekannten männlichen Personen gefragt worden, ob sie “Nazis” seien. Dies hätten sie verneint und die Unbekannten hätten gesagt: “Dann ist ja gut.” Anlass zu dieser Frage habe wohl die “Bauchtasche” des Begleiters Jaroslaw S. gegeben. Die Tasche trug den Schriftzug der Marke “Thor Steinar”. Bei Jaroslaw S. handelt es sich um dieselbe Person, die bereits in einer Bushaltestelle zusammen mit seiner Mutter am 02.03.2014 angegriffen worden sein soll, weil er einen Pullover derselben Marke getragen hatte (Siehe AKJ Bericht: Zweiter und dritter Prozesstag). Am 30.05.2014 sei Jaroslaw S. den Angreifern von Mirko G. jedoch in einer Seitenstraße entkommen und habe aus sicherer Entfernung telefonisch die Polizei verständigt. Diese sei nach ca. 45 Minuten vor die Haustür des Geschädigten gekommen und habe dort erste Aussagen der beiden aufgenommen. Die Befragung von Mirko G. soll in seiner Wohnung geführt worden sein. Hierzu habe sich die Polizei lediglich nur 5 Minuten Zeit genommen. Tage nach diesem Angriff will der Geschädigte auf die Namen der Angeklagten Wesley und Valentin gekommen sein und behauptete, die beiden seien “definitiv” die Täter.
Die heutigen Befragungen nach den Einlassungen des Zeugen Mirko G. offenbarten jedoch schnell, dass dieser Zeuge keine belastenden Aussagen vorzuweisen hat.
Widersprüchliche Aussagen
Auffällige Widersprüche waren durch seine Angaben zu den Unbekannten im REWE Markt und den protokollierten Aussagen bei der Polizei zu vernehmen. So war in den ersten Protokollen, die der Richter heute verlas, davon die Rede, dass im Supermarkt nicht “zwei männliche” Personen, sondern eine “weibliche” Person mit “blonden Haaren” und eine “männliche Person” mit einer auffälligen “Tätowierung” sie angesprochen hätten. Auch war es erst eine ganze Gruppe die zugeschlagen habe, dann sollen es vielmehr die heute Angeklagten gewesen sein. Der Rest der Gruppe habe Jaroslaw S. in dieser Version zurückgehalten. Auch sollen die unbekannten Personen aus dem Supermarkt erst für den Angriff mitverantwortlich gewesen sein. Dann waren sie plötzlich wieder nicht Teil des Angriffs.
Auch einen Zeugen, den Mirko G. selbst durch eigene Recherche in der Nähe des Tatortes ausgemacht haben will, gab er heute dem Gericht als “nicht geeigneten Zeugen” an, da dieser beim Antreffen immer “sturzbesoffen” sei und ihm deshalb nichts bringen würde. Später will er die vermeintliche Tätergruppe auf dem Weg zu einer “Demo” beobachtet, aber dann doch nicht die Polizei informiert haben, da “nicht alle” Beteiligten des Angriffs dabei gewesen seien.
Beschreibungen über die vermeintlichen Täter widersprechen sich von seinen ersten Aussagen bei der Polizei bis zu seiner heutigen Aussage zutiefst. So sagte einer der Zeugen damals zunächst aus, einer der Täter habe eine “breite Nase” wie ein “Boxer” und “braune hochgegelte Haare” gehabt. Eine Beschreibung die auf keinen der Angeklagten passt. Um die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen komplett zu machen antwortete der Zeuge auf die Frage, ob die “größere Person” die sich bei der Schlägerei “besonders hervorgetan” hätte, der Angeklagte Valentin S. sei:
“Nein, das war nicht Valentin.”
Die Aussage, ihm sei “später erst der Zusammenhang zu den Ultras klar geworden”, spricht für den Verdacht, dass der Zeuge erst später auf diese Angeklagten gebracht wurde.
Parallelen zum Aussageverhalten von Florian M.
Ähnlich wie bei den Aussagen des Geschädigten Florian M., der bereits am zweiten Prozesstag aussagte und der seine Angaben in zeitlichen Abständen ständig den bereits in Medien bekannt gewordenen körperlichen Merkmalen zu den Angeklagten anzupassen schien, hatte auch der Geschädigte Mirko G. erst später nach der Tat wesentlich andere Beschreibungen und Tatzusammenhänge bei dem leitenden Ermittlungsbeamten Martin W. angegeben.
An dieser Stelle ist die Verbindung des Zeugen Mirko G. und Florian M. zu dem Geschädigten Jaroslaw S. entscheidend für das Verständnis, warum der Prozess langsam in ein neues Licht rückt. So war es bei allen drei Tatkomplexen, die bisher im Prozess untersucht wurden, stets Jaroslaw S., der nicht nur selbst als Geschädigter aktenkundig ist, sondern der “zufällig” und ausgerechnet zu dem Geschädigten Florian M. nach dem Angriff Kontakt hatte und mit dem Geschädigten Mirko G. zumindest gut bekannt war. Ausgerechnet der Hauptbelastungszeuge Jaroslaw S. steht seit einigen Monaten den Ermittlungsbehörden und den Prozessparteien, trotz fragwürdiger Angebote seitens der Ermittlungsbehörden, seine Aussage an der deutsch-polnischen Grenze aufnehmen zu lassen und für die Kosten aufzukommen, nicht zur Verfügung (Siehe AKJ Bericht 3. Prozesstag).
Aussage des leitenden Ermittlungsbeamten Martin W.
Martin W. wurde am vierten Prozesstag ebenfalls als Zeuge geladen. Die Funktion dieses Zeugen war die polizeiliche Untersuchung der drei Tatkomplexe, bei denen Florian M,. Mirko G. und Jaroslaw S. als Geschädigte in den Ermittlungsakten seiner Polizeidienststelle geführt werden. Die Befragungen dieses Zeugen gestaltete sich schon deshalb schwierig, da der Beamte seine “Aussagegenehmigung” nicht in Schriftform bei sich führte, obgleich er seit Wochen von diesem Termin wusste. So konnten einige Fragen schon deshalb nicht sachdienlich geklärt werden, weil der Beamte, ohne Vorlage seiner Aussagegenehmigung der zuständigen Dienststelle, kaum durch die Verteidigung so befragt werden konnte, dass alle Aspekte des Geschehens zu Tage treten können. Auch hier setzt sich ein fragwürdiges Vorgehen in dem Verfahren fort. Der Richter gab dem Zeugen beinahe alle Antworten vor und der Zeuge verließ sich offensichtlich auf die Hilfe des Richters und kommentierte beinahe alle Antworten des Richters mit Zustimmung. Ob hier der Richter oder der Zeuge verhört wurde, war kaum noch erkennbar.
Verteidiger Sürig platzte darauffolgend heute förmlich der Kragen. So eine Vorgehensweise habe er noch “in keinem Verfahren” erleben müssen. Der StA sah in der intensiven Befragung des Zeugen durch Verteidiger Sürig keinen erkennbaren Sinn, sondern fragte Sürig, ob er den “Zeugen nur nerven” wolle. Dass Befragungen den Zeugen nicht auch “nerven” dürften, ist dem AKJ allerdings neu.
Nach diesem Exkurs wurde der Zeuge weiter befragt. Zunächst war der Fall des Angriffs an der Bushaltestelle (AKJ Bericht: Prozesstag 3), eingestellt worden, weil keine Täter durch den Geschädigten benannt werden konnten. Der Beamte Martin W. habe jedoch dann, nachdem ihm durch die Geschädigten die drei Angeklagten als Täter durch Fotos und Namen genannt wurden, die Ermittlungen wieder aufgenommen und zusammengezogen. Für ihn sei das “so eine links/rechts Geschichte” gewesen. In einem “Vorgespräch”, das sich in der Verhandlung heute nicht genau verifizieren ließ, soll er mit den Geschädigten schon über die Angeklagten ins Gespräch gekommen sein. Auf die Frage, warum denn der Beamte Martin W. diese Form der Befragung gewählt habe, anstatt die Befragungen ordentlich zu Protokoll zu nehmen und von den Zeug_innen unterzeichnen zu lassen, gab der Beamte hier an, er wollte damals “schon mal hören, was da dran” sei.
Hier soll dem Beamten auch schon der, typischerweise von Neonazis verwendete Begriff “Zecken”, als Abwertung für Linke bzw. Antifaschist_innen, von dem Geschädigten Jaroslaw S. zu Ohren gekommen sein. Ein Aktenvermerk belegt diese Tatsache. Obwohl der Beamte speziell für den Bereich “politisch motivierte Gewaltstraftaten Links/Rechts” eingesetzt ist und einen professionellen Einblick in diese Bereiche haben sollte, war ihm bei dem Begriff “Zecken”, den der Zeuge im Vorgespräch verwendete, nicht eingefallen, dass er es bei mindestens einem der Zeugen mit einer Person aus dem Neonaziumfeld zu tun haben könnte. Ermittlungen in diese Richtung seien für ihn “nicht in Frage gekommen”. Stattdessen hatte der Beamte nach den Hinweisen der Zeugen, die diese bei Facebook recherchiert haben wollen und den bisher unverifizierten “Vorgesprächen” mit diesen Zeugen, mit einem polizeilich verwendeten “Facebook Konto” die Nutzerkonten der Angeklagten ausgeforscht. Der Beamte hatte hierzu seine Identität bewusst verschleiert und sich auf den Facebook-Profilen der Angeklagten “umgesehen”, ohne sich als Beamter zu erkennen zu geben. Sein Ziel war es, die Kommunikation des Freundes- und Bekanntenkreises der Angeklagten für seine Ermittlungen auszuwerten. Ermittlungen in andere Richtungen nahm der Beamte auch hier wieder nicht vor. Die Redewendung “Auf dem rechten Auge blind” scheint auf diesen Beamten zuzutreffen.
Unzulässige Ermittlungsmethoden
Die Verteidigung beantragte die Feststellung für das Verfahren, dass diese Ermittlungsmethoden des Beamten Martin W. nach der StPO absolut nicht zulässig seien und in der “Rechtsfolge zum Verwertungsverbot” führen müssten. Der StA bezeichnete indes das Vorgehen, ohne nähere Begründung, als “völlig zulässige Methode”.
Anfangsverdacht gegen die rechte Bremer Hooligan-Szene
Dass für die Verteidiger der berechtigte Verdacht aufkommen muss, Geschädigte wie Jaroslaw S. hätten in Kooperation mit dem Ermittlungsbeamten Martin W. bewusst einseitig die Ermittlungsbehörden mit dem vermeintlichen “Trio” aus antifaschistischen Ultras in Verbindung gebracht, ist auch für den AKJ Bremen nicht einfach von der Hand zu weisen.
Auffällig ist besonders die Verbindung der in Polen untergetauchten Person Jaroslaw S. zur Bremer Neonazi-Szene. Dessen eindeutigen Verbindungen, konkret zur faschistischen Hooliganszene der so genannten “Freibeuter”, liegen auch dem AKJ vor.
Sollte sich der Verdacht weiter erhärten, die Angeklagten seien in gegenseitiger Absprache durch die Geschädigten belastet worden, wog das Belastungsinteresse von mindestens einem der Geschädigten von Anfang an schwer. Ein politisches Motiv der rechtsextremen Szene, der Jaroslaw S. nachweislich angehörte, ließe somit den ganzen Prozess, sowie die Anklage der Staatsanwaltschaft, als Farce erscheinen, Im Moment sieht es so aus, dass der Belastungszeuge Jaroslaw S. die Angeklagten vermutlich allein deshalb für die Staatsanwaltschaft zum Objekt der Strafverfolgung gemacht haben könnte, um ihnen zu schaden. Hierzu könnte er sich mit den anderen Zeugen zusammengefunden haben, um den Beamten Martin W., entgegen ihrer eigenen Aussagen in den ersten Protokollen der Polizei, mit erfundenen Informationen auf die Angeklagten zu bringen. Mit diesem Kenntnisstand müsste das Verfahren folgerichtig eingestellt und unverzüglich Ermittlungen gegen die vermeintlich Geschädigten aufgenommen, sowie Valentin S. aus der U-Haft entlassen und entschädigt werden.
Antrag auf Ausschluss des Staatsanwaltes und vorsitzenden Richters
So schließt sich der AKJ Bremen der Kritik der Verteidigung, die aus einem Antrag hervorgeht, an. Die Verteidigerin Voigt verlas sämtliche bekannt gewordenen Verfahrensfehler und dubiosen Ermittlungsmethoden der Behörden, die zu dieser fragwürdigen Anklage geführt haben. Der Staatsanwalt habe bewusst “zum Nachteil der Angeklagten Anklage erhoben”, trotz des “besseren Wissen darum, dass es hier nicht überwiegend zu einer Verurteilung kommen” müsse. Vielmehr habe “der Staatsanwalt gar keine Anhaltspunkte gegen die Beschuldigten und eröffnete trotzdem dieses Verfahren”. Die “widersprüchlichen Aussagen” sowie “gegenseitige Beeinflussung der Zeugen”, die “einseitigen Ermittlungen” der zuständigen Beamten und das “Nicht-Aufgreifen eines Hauptbelastungszeugen”, ließen diesen Prozess als das “Ergebnis des einseitigen Verfolgungseifers des Staatsanwaltes” erscheinen. Zu klären sei vielmehr, ob nicht gegen den StA ein Verfahren in Frage komme, wegen der “Verfolgung Unschuldiger”, so die Verteidigerin Voigt.
Der StA wollte sich hierzu bei der nächsten Sitzung erklären.
Der Prozess wird am 18.02.2016, um 9 Uhr in der Strafkammer des Landgerichts im Raum 218 fortgesetzt.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen
Dritter Prozesstag
Der Strafprozess wurde am 03.02.2016 fortgesetzt. Auch nach Bitten der Verteidiger, die Einlasskontrollen zu entschärfen und die Wartezeit für die Zuschauer_innen zu verkürzen, blieb es bei den fragwürdigen scharfen Kontrollen. Ein weiterer Antrag der Verteidiger Sürig und Wesemann, auf Beurlaubung ihrer Mandanten, wurde direkt abgelehnt. Der Staatsanwalt (StA) begründete die zwingende Anwesenheit der Angeklagten und ihrer Vertreter damit, dass insgesamt ein “Gruppendynamisches Tatgeschehen” vorläge. Die Verteidiger sahen ihre Mandanten nicht von den heutigen Anklagepunkten betroffen. Der Vorsitz konkretisierte die Ablehnung mit der Feststellung, dass Umstände die Vermutung nahe legten, die beiden Angeklagten seien “mittelbar von der Anklage betroffen”. Verteidiger Jan Sürig kritisierte, dass das Gericht es darauf anlegte, “unnötige Prozesskosten zu produzieren”. So änderte sich am heutigen Tag nichts an der Konstellation der Prozessbeteiligten.
Bevor die erste Zeugin eintrat, bemängelte Verteidiger Wesemann das Fehlen eines der den Zeugen vorgelegten Lichtbilder seines Mandanten Valentin. Dies sei zwar in der Akte der Staatsanwaltschaft, jedoch nicht in den Akten der Verteidigung zu finden. Dies habe Relevanz, da eine Zeugin angegeben hatte, auf diesem Foto den Angeklagten mit einer 60 prozentigen Wahrscheinlichkeit erkannt zu haben. Der StA wolle dies nachreichen. Hier muss kritisch betrachtet werden, dass die Verteidigung nicht die gleichen Unterlagen zur Verfügung gestellt bekommt, wie die Staatsanwaltschaft. Zu einem fairen Verfahren gehört jedoch. dass die Verteidigung die gleichen Kenntnisse über alle Daten und Beweismittel hat, wie die Staatsanwaltschaft. Im ersten Prozesstag war von der Verteidigung schon bemängelt worden, dass die StA es nicht so eilig hat, die Verteidiger zeitnah auf den gleichen Kenntnisstand zu bringen.
Am heutigen Verfahrenstag ging es um den Geschädigten, der bereits am zweiten Prozesstag kurz zum Thema wurde. Der Geschädigte Florian S gab im zweiten Prozesstag an, “zufällig” nach einem Arztbesuch mit dem Geschädigten S. in Kontakt gekommen zu sein, welcher Parallelen zu seiner eigenen Geschichte zu erkennen glaubte. (Siehe Bericht AKJ 2. Prozesstag) Der Geschädigte Florian M. selbst gab am zweiten Prozesstag auffallend an, der Geschädigte S. sei ihm selbst unangenehm aufgefallen. Er würde ihn vom Aussehen her selbst als “Nazi” beschreiben.
Heute war zunächst die Mutter von S. als erste Zeugin geladen. Ihr Sohn sei am 02.03.2014 an der Bushaltestelle Heinrich-Herz-Str. von zwei Personen körperlich angegriffen und als “Nazi” beleidigt worden. Die als Zeugin geladene Mutter von S. war zur Tatzeit bei ihrem Sohn, der sie damals an der Bushaltestelle verabschiedete. So seien in diesem Moment zwei Täter quasi aus dem Nichts aufgetaucht, hätten ihren Sohn direkt angesprungen und mit dem Kopf gegen die Glaswände der Haltestelle gestoßen. Dabei habe auch sie in dem Gerangel leicht was abbekommen. Die Täter sollen den Geschädigten S. mit den Worten angesprochen haben: “Warum trägst du diesen Pullover?”. Die Mutter erinnerte sich später in der Vernehmung, dass auf der Kleidung ihres Sohnes das Label: (Thor) Steinar abgebildet war. Die Mutter betonte aber, ihr Sohn sei “kein Nazi, der nicht”.
Auf die Fragen der Vorsitzenden, welche Kleidung die Täter gehabt haben, beschrieb die Mutter des Geschädigten die Kleidung vage als “dunkel. Zu den äußerlichen Merkmalen beschrieb sie die Haarfarbe der Täter als “dunkelhaarig, braun oder dunkelblond”. Auch bei den Körpergrößen oder anderen Merkmalen machte die Zeugin weiter nur vage Angaben und betonte immer wieder, dass sie es einfach nicht mehr so genau wisse. Hingegen konnte sie gut beschreiben, welche Kleidung ihr Sohn trug.
Der Vorsitzende zitierte die Aussage der Mutter zu Protokoll der Polizei gleich nach der Tat wie folgt: “Die Mutter konnte keine ergänzenden Aussagen machen. Die Mutter könnte die Täter auch nicht wiedererkennen”. Dies ist insofern relevant, da der Zeugin viel später noch einmal Lichtbilder durch die Ermittlungsbehörden gezeigt wurden. Diese Fotos zeigten nach Darstellung der Verteidigung jedoch überwiegend wohl nur den Angeklagten Valentin. Auch wurden nicht, wie durch den BGH in Strafsachen zwingend vorgegeben, pro Täter 8 – 10 Fotos von verschiedenen Personen aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigt, sondern insgesamt nur ca. 4 Fotos, darunter vom Angeklagten Valentin.
Auf die Aufforderung der Vorsitzenden, sich die Angeklagten im Gerichtssaal anzusehen und zu sagen, ob sie hier einen der vermeintlichen Täter wiedererkenne, erklärte sie: “Der ganz rechts, der war dabei!” und zeigte auf den Angeklagten Valentin. Die anderen Angeklagten schloss sie eher aus. Dass das Zustandekommen dieser Aussage der Zeugin aus verfahrensrechtlicher Sicht höchst problematisch ist, kritisierte der Verteidiger Wesemann. Die Aussagen der Zeugin seien für dieses Verfahren ohne jeden Wert. Wesemann machte deutlich, dass hier sichtbar würde, was der BGH in Strafsachen ausdrücklich für saubere Ermittlungsverfahren vorsehe, aber im Verfahren offenkundig keine Berücksichtigung fände.
Auch der Arbeitskreis kritischer Jurist_innen muss diese Praxis der Ermittlungsbehörden scharf kritisieren. Es entsteht der Eindruck, die Zeugin sei nicht neutral an verschiedene Lichtbilder herangeführt worden, sondern einseitig an eine durch die Staatsanwaltschaft gewünschte Person. Sollten tatsächlich nur wenige Lichtbilder gezeigt worden sein, auf denen hauptsächlich der Angeklagte Valentin S. zu sehen war und dies auch erst über ein Jahr nach der Tat, so kann nicht ernsthaft daran festgehalten werden, dass hier mit einer sauberen Verfahrensweise belastende Beweismittel zustande gekommen sind. Diese Praxis läuft dem Grundsatz zuwider, dass auch entlastende Beweise ermittelt werden müssen. Der Hinweis der Mutter gleich nach der Tat, die Täter “nicht wieder erkennen zu können” und die mehrfache Wiederholung am heutigen Prozesstag, sie erinnere sich nicht an irgendwelche Details zu den Tätern, lassen ihre Aussage “der Angeklagte Valentin” sei dabei gewesen, in einem anderen Licht erscheinen. Dass hier nicht mehr daran festgehalten werden kann, dass die Zeugin Valentin als einen der Täter erkennt, sondern durch die Methode der Ermittlungsbehörden nun lediglich glaubt, ihn zu erkennen, sollte einleuchten. Der Zweifel dass die Mutter sich nun nicht mehr korrekt erinnert, sollte allein ausreichen, dass das Gericht die Aussage der Mutter nicht weiter belastend in das Urteil aufnehmen wird.
Interessant ist an diesem Prozesstag ebenso, dass der geschädigte Zeuge S. trotz Ladung nicht erschienen ist. Die Mutter gab an, ihr Sohn sei in Polen bei seiner Freundin und habe dort auch “keine Anschrift”, lediglich telefonischen Kontakt. Das Gericht stellte fest, dass der Zeuge in Deutschland mit Strafbefehl gesucht würde. Dennoch habe die StA dem Zeugen S. angeboten, dass dieser an der Grenze zur Bundesrepublik seine Aussage zur Sache vornehmen lassen könne. Dies habe der Geschädigte S. allerdings abgelehnt.
Die Verteidigerin Voigt gab dem Gericht Photoabzüge, die den Geschädigten S. auf Profilen bei Facebook zeigen. Diese wurden zur Augenscheinnahme am Pult der Vorsitzenden begutachtet. Die Mutter des Geschädigten bestätigte dem Gericht, dass es sich auf den Abzügen um ihren Sohn handele. Verteidiger Weseman erklärte in dem Zusammenhang der Zeugin, dass ihr Sohn mit Organisationen wie den sogenannten “Freibeutern” zu tun habe.
Die zweite Zeugin, eine Studierende aus Bremen, erinnerte sich wie folgt:
Der kleinere von beiden sei plötzlich aufgesprungen und hätte dem Geschädigten ins Gesicht geschlagen und “Scheiß Nazi” gerufen. Dann habe der Mann gesagt, er sei Pole und habe ihm sein Tattoo gezeigt, auf dem wohl das Wort “POLSKI” zu lesen war. Dann hätten die Täter gesagt, er sei “selber Schuld wenn er eine Nazimarke” trüge und weggerannt. Der Geschädigte sei dann hinterher gelaufen, hätte sie aber aus den Augen verloren. Der Geschädigte habe eine Bomberjacke getragen und unter dieser einen weißen Pullover. Die Zeugin vermutete, beide hätten das gleiche Logo gezeigt. An den Schriftzug selbst konnte sie sich jedoch nicht erinnern.
Der StA fuhr plötzlich zwischen die Vernehmung der Zeugin und wies den Angeklagten Wesley S. an, es unverzüglich zu unterlassen, seine Hände vor sein Gesicht zu bringen. Er unterstellte dem Angeklagten, er wolle damit verhindern, dass die Zeugin ihn erkennen könne. Aus der Beobachtung des AKJ kann diese Unterstellung nicht geteilt werden. Der Angeklagte hatte über alle Prozesstage hinweg immer wieder sein Gesicht mit den Händen abgestützt und war sich, auch ohne dass Zeugenvernehmungen stattfanden, immer wieder mit den Händen durch sein Gesicht gefahren.
Die zweite Zeugin hatte zwar zu den Geschehnissen genauere Erinnerungen von dem Tag und erinnerte sich sogar an diverse Details wie äußerliche Merkmale der Täter, aber auch sie konnte auf die Frage hin, ob sie einen der Angeklagten im Saal erkennen könne, niemanden mit Bestimmtheit ausmachen. Einen der Angeklagten schloss sie sogar gänzlich aus, bei den anderen war sie sich ebenso unsicher, wie sie es schon war, als ihr 50 verschiedene Lichtbilder gezeigt wurden. Damals hatte sie zwar für einen der Angeklagten eine 60 prozentige Wahrscheinlichkeit angegeben. Heute stellte sie jedoch klar, dass dies auch nicht so viel bedeute. Sie sei sich einfach “bei Niemanden der gezeigten Personen zu 100 Prozent sicher”.
Der dritte Zeuge, ein Polizeibeamter, der damals die Aussagen vor Ort protokollierte, hatte im Verfahren keine neuen Informationen hinzuzufügen.
Auch der dritte Prozesstag brachte wenig Erhellendes oder Belastendes gegen die drei Angeklagten.
Der Prozess wird am 15.02.2016, 09.00 Uhr im Landgericht Bremen fortgesetzt.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen
Zweiter Prozesstag
Zu Beginn der Verhandlung am 01.02.2016 beantragte der zuständige Staatsanwalt (StA) die Identifizierung zweier Zuschauer. Der StA war der Auffassung, dass die beiden Personen als mögliche Zeugen des Tatgeschehens am “Verdener Eck” in Frage kämen. Sie sollen zusammen mit weiteren Zeugen gemeinsam in einem Sportstudio trainieren. Nach kurzer Identifizierung der fraglichen Personen im Zuschauerbereich wurde festgestellt, dass es sich bei den mutmaßlichen Zeugen nicht um die gesuchten Zeugen handelt. Ein szenekundiger Beamter der vor dem Landgericht die wartenden Personen observierte, hatte die beiden Zuschauer dem StA vor Ort angezeigt. Die Verteidigerin Voigt wies darauf hin, dass es möglich sei, das jede_r im Zuschauerraum potentiell in diesem Sportstudio trainieren könne. Das allein sei aber noch lange kein Grund jede_n beliebig als Zeug_in aus dem Saal entfernen zu lassen. Die Vorsitzenden ließen mitteilen, dass sich der Verdacht des Staatsanwaltes offenkundig nicht erhärten ließe.
Die zunächst für den zweiten Prozesstag geladenen drei Zeugen sind trotz schriftlicher Ladung nicht erschienen. Das Gericht wird prüfen lassen, ob es gelingt, die unentschuldigt ferngebliebenen Zeugen zu einem späteren Zeitpunkt vorführen zu lassen. So blieben für diesen Prozesstag nur noch zwei Zeugen zur Vernehmung. Die Brüder Daniel und Florian M., von denen Florian als Geschädigter in diesem Verfahren auftritt.
Daniel M. wurde zunächst zum Tatgeschehen aus seiner Sicht befragt. Er erinnerte sich, mit weiteren Freunden, darunter Patrick S., nach einem Spiel gegen späten Abend losgezogen zu sein und sich “gut betrunken” noch einmal zur Tankstelle begeben zu haben, um weiteren Alkohol zu kaufen. Von dort seien sie als Gruppe lautstark grölend zu Musik aus einem Ghettoblaster die Hochstraße entlang gegangen, bis sie auf die Täter trafen.
Der Vorsitzende zitierte die Aussagen des Geschädigten Florian S. nach dem Angriff auf ihn wie folgt: “Ich hatte mit Kumpels die deutsche Nationalhymne mitgebrüllt, die Passanten fanden unsere Deutschlandrufe nicht so witzig. Es wurde sich gegenseitig beleidigt. Ich hatte richtig Bock, mich zu schlagen.”
Der Geschädigte bestätigte auf Nachfrage dem Gericht, diese Aussage damals gemacht zu haben. In dem Zusammenhang soll der Angeklagte Wesley S. aus der Ferne vorbeigekommen sein, etwas Unverständliches in seine Richtung gerufen und dabei wild gestikuliert haben. Danach sei der Angeklagte verschwunden, ohne dass es zu einer Auseinandersetzung gekommen war.
Ca. 15 Minuten später, nachdem der Geschädigte weiter auf der Straße in Höhe der Kurfürsten-Allee, unter der Hochstraße, mit seinen Freunden sein Treiben fortgesetzt hatte, sollen hinter einem parkenden Wohnwagen, bzw. laut Aussage im Protokoll, einem “Betonpfeiler”, “von links und rechts maskierte Männer” auf ihn zu gerannt sein, ihn angegriffen und geschlagen haben. Dabei hätten die Täter auch den mitgeführten Ghettoblaster genutzt, um ihm damit sowohl auf den Kopf, als auch mit Schlagringen in den Augenbereich zu schlagen. Als er aber kurz darauf wieder zu sich gekommen war, habe er unbedingt hinter den Tätern her gewollt, um sich mit ihnen zu schlagen. Hiervon musste er von seinen Begleitern abgehalten werden. Daraufhin wurde er in ein Krankenhaus gebracht und dort, aufgrund seiner diversen schwereren Verletzungen, stationär aufgenommen.
Auf Nachfrage, ob er in der Vergangenheit des öfteren Schläge abbekommen habe, antwortete der Geschädigte: “Ja klar, wer denn nicht?!”. Auf die Frage hin, ob er denn bei der Tat bereits die Täter erkannt habe, versicherte der Geschädigte, Wesley S. erkannt zu haben, obwohl dieser sich seiner Meinung nach sogar umgezogen habe und im Gegensatz zur ersten Begegnung nun maskiert gewesen sei. Die Behauptung, Wesley S. wiedererkannt zu haben, machte der Geschädigte jedoch nicht eindeutig am Aussehen oder Statur der Person fest. Es seien die Schuhe der Täter, an die er sich zu erinnern glaubte. Auch assoziierte er die Auffälligkeiten der Masken der Täter mit einem antifaschistischen Umfeld, wie folgt: “Das hat was mit der Antifa zu tun, wegen der Masken, die waren schwarz mit roten Streifen. Mein Bruder wird dazu Angaben machen, ich nicht.”
Auch auf genaueres Nachfragen des Vorsitzenden hin konnte der Geschädigte aber keine deutlichen Angaben machen zu seiner Behauptung, dass einer der Angeklagten tatsächlich auch einer der Täter war. Da die Schuhe für den Geschädigten Beweis genug waren, sollte dieser hierzu konkretere Angaben machen. Der Geschädigte machte zwar Einlassungen zu den Schuhen der Täter und bekannte sich selbst sogar als “Sammler von Markensportschuhen”, aber auf die Frage hin, welche Schuhe, Marke oder Form, denn die Täter trugen, blieben seine Aussagen vage. So seien die “Schuhe eben schwarz” gewesen, mehr wisse er nicht.
Über die Befragungen zu äußerlichen Erscheinungsmerkmalen der Täter kam das Gericht mit dem geschädigten Zeugen nicht weiter. Der Versuch des StA, schon allein über die Beschreibungen der Täter Belastendes vorbringen zu können, scheiterte. Die Einlassungen des Geschädigten waren nicht nur durchgehend widersprüchlich, sondern trugen eher zur Verwirrung bei. So gab der Geschädigte von der ersten Aussage bei einer Polizeidienststelle bis zum Hauptverfahren mehrfach unterschiedliche Körpergrößen der vermeintlichen Täter an. Ähnlich unzureichend beschrieb er dann auch bei dieser Vernehmung die Körpermaße der Täter. Die Verteidigung mutmaßte, dass der Geschädigte Florian S. nur deshalb ständig bei den Ermittlungsbehörden die Angaben zu den Körpergrößen korrigierte, da er in den Medien, besonders nach den Geschehnissen am Verdener Eck, die Körpergrößen der Täter allein den später bekanntgewordenen öffentlichen Informationen über die nun Angeklagten anpasste. Aus diesem Grund sei alles was der Zeuge hier angegeben habe, nicht weiter in diesem Verfahren “beweiserheblich”. bzw. die Einlassungen seien unglaubwürdig. Die StA widersprach dieser Auffassung.
Im nächsten Abschnitt befragte die Verteidigung den Geschädigten, warum er ausgerechnet auf diese drei Angeklagten gekommen sei. Der Geschädigte gab an, dass er kurz nach dem körperlichen Angriff seinen Bruder darum gebeten hatte, für ihn Bilder zu beschaffen, die angeblich die drei Angeklagten zeigten. Durch Nachfragen der Verteidigung wurde deutlich, dass der Geschädigte sich andere Personen, die in Frage kommen könnten, gar nicht erst durch seinem Bruder hatte zeigen lassen. Er hatte vielmehr gezielt nach diesen Dreien suchen lassen. So erklärte der Geschädigte seine Motive für die einseitige Form der Bilderrecherche damit, dass er die Angeklagten bereits vom sehen kenne, schließlich wohnten sie in der Nähe und sein Bruder kenne die Drei vom Trainieren aus dem Sportstudio. Dort habe es auch schon bereits vor der Tat immer “böse Blicke” gegeben. Auf Nachfrage gab der Geschädigte an, dass es außer diesen Begegnungen keinerlei Kontakte in der Vergangenheit gegeben habe. Diese Tatsachen hätten ihm aber bereits ausgereicht, um “eins und eins zusammen zu zählen” und zu wissen, dass nur diese drei Angeklagten in Frage kommen könnten. Dies unterstrich der Zeuge noch einmal mit der Bemerkung: “Ist doch klar, dass die das waren”.
Warum denn der Geschädigte aber kurz nach der Tat gesagt hatte, die Angreifer wären “Hooligans” gewesen und nicht “Ultras”, konnte er im nachhinein nicht mehr sagen, er kenne “sich nicht so gut aus”. Vielmehr sein Bruder kenne sich in der “Szene” aus, dieser sei Mitglied bei den “Wanderers” in Bremen. Dies sei auch der Grund, warum er seinen Bruder nach der Tat hinzugezogen habe. Sein Bruder Daniel M. sollte sich in der “Szene” für ihn einmal umhören und ihm Fotos und Namen zur Verfügung stellen, um die drei Angeklagten bei der Polizei mit den gesammelten Fotos und recherchierten Namen anzeigen zu können.
Die Ermittlungsbehörden waren in der Sache ähnlich einseitig vorgegangen. Dem Geschädigten wurde laut den vorliegenden Akten der Verteidigung hauptsächlich Valentin als Täter vorgeführt und nur in die Richtung der Bremer “Ultras” ermittelt. Einer ganz anderen Spur nachzugehen, auch mit Hinblick auf die erste Aussage des Geschädigten, es seien “Hooligans” gewesen und nicht etwas Ultras, wurde von den Ermittlungsbehörden gar nicht erst in Erwägung gezogen. Im Kontext einseitiger Ermittlungen, die bereits der Verteidiger Wesemann bei seiner ersten Einlassung am ersten Prozesstag der StA vorwarf, ist dieser Vorgang tatsächlich kritisch zu sehen. Eine Staatsanwaltschaft die anderen möglichen Täterkreisen nicht nachgeht und allein auf Behauptungen vertraut, die aus dem Umfeld des Geschädigten kommen, trägt nicht dazu bei, auch “entlastende Tatsachen” zu ermitteln, wie es die StPO unmissverständlich vorschreibt.
Der Vorsitzende des Strafverfahrens befragte den Geschädigten zu den Ereignissen nach dem körperlichen Angriff. Die StA glaubt, die Angeklagten hätten einige Zeit nach der Tat versucht, in der Sache Kontakt zu dem Geschädigten und seinem Bruder zu suchen.
Hier sei es so gewesen, dass einer der Angeklagten zu dem Bruder Daniel S. ins Sportstudio gegangen sei und ihn angesprochen hätte, dann jedoch kein relevanter Dialog zwischen den Parteien zustande kam. Der Verdacht einer Bedrohung oder Einflussnahme konnte sich durch die Befragung des Bruders Daniel M. nicht bestätigen. Dieser sagte selbst aus, es habe vielmehr den lockeren Versuch gegeben, ihn anzusprechen, während dieser am trainieren war. Er habe darauf verwiesen, gerade im Trainingsprogramm zu sein und mit “Kopfhörern im Ohr” das Gespräch abgewunken. Auch mit welchen Worten die Kontaktaufnahme begonnen hatte, habe er gar nicht richtig verstanden und dem Ganzen insgesamt nicht viel Beachtung geschenkt. Der Staatsanwalt war von diesem Ergebnis wenig begeistert und zitierte einen auf einer Daten CD gesicherten digitalen Dialog der mit einem Nachrichtenprogramm zwischen den Angeklagten Wesley und Valentin S. in der Untersuchungshaft stattgefunden haben soll.
Darin heißt es, Wesley S. teilte Valentin mit, er sehe jeden Morgen den Geschädigten und er habe ihm gesagt, er solle stehen bleiben.
Soll aus Sicht der StA heißen: Wesley S. und Florian M. seien auf der Straße mit Florian S. in Kontakt getreten, um ihm sozusagen “eine Ansage” zu machen. Der Geschädigte, der großes Interesse hätte, diese Behauptung zu bestätigen, um damit die Angeklagten weiter zu belasten, bestätigte diese Konfrontation jedoch nicht. Vielmehr sei es zu gar keinen Gesprächen oder Kontakten mehr gekommen. Auch der Bruder ließ auf die Frage der StA hin, ob er sich bedroht fühle oder etwas befürchten müsse, klarstellen, so etwas sei “noch nie vorgekommen”. Es sei durch die Tatsache, dass beide im gleichen Stadtteil wohnen, unvermeidlich, dass sich die Beteiligten des öfteren aus der Ferne sehen. Aber eine Ansprache von Wesley S. oder anderen aus dessen Umfeld habe es nie gegeben. Die Verteidigerin Voigt wies diesbezüglich darauf hin, dass es bei Unterhaltungen in geschützten Räumen, bei denen die Angeklagten glauben mussten, unter sich zu sein, für Jugendliche nichts Ungewöhnliches sei, zu übertreiben. Solche Behauptungen, die beide Angeklagten sich zukommen lassen haben, dürften nicht immer gleich für Bare Münze genommen werden. Somit läuft auch die These der Staatsanwalt ins Leere, die Angeklagten hätten irgendwie die Zeugen in diesem Verfahren beeinflusst und deshalb würden diese hier so wenig bis gar nichts Belastendes vorbringen können.
Überraschend war die Aussage des Geschädigten, er habe eine Woche nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bei seiner behandelnden Hausärztin eine Zufallsbegegnung mit einem weiteren Geschädigten eines Angriffs gleicher Art gehabt. Dieser habe die Tatschilderung des Geschädigten gegenüber einer Arzthelferin mithören können und ihn deswegen vor der Arztpraxis darauf angesprochen. Dem Geschädigten Florian M. gegenüber soll dieser geschildert haben, dass er beim Warten mit seiner Mutter an einer Bushaltestelle auf die gleiche Weise angegriffen worden sei. Sein Verfahren sei aber eingestellt worden. Der Geschädigte Florian S. zeigte ihm daraufhin auf einem Mobiltelefon mitgeführte digitale Fotos der drei Angeklagten.
Die Person habe ihm daraufhin zugesagt, die Personen auf den Fotos seien die gleichen Täter, die auch ihn angegriffen hätten. Auf Nachfrage des Vorsitzenden, ob der Geschädigte Florian S. diese Fotos noch habe, antwortete er: “Nein, warum sollte ich fremde Fotos auf meinem Telefon behalten?!”. Es sei zwischen den beiden zu einem Austausch über die Namen der Personen gekommen. Beide ergänzten sich darin, in sozialen Medien nach Namen der Angeklagten recherchiert zu haben und tauschten die vermeintlichen Erkenntnisse über die Angeklagten aus. Der Geschädigte Florian M. schilderte auf Nachfrage des Vorsitzenden über das Aussehen des Mannes dem Gericht, dieser Mann, der ihn angesprochen habe, wäre ihm insgesamt eher unangenehm aufgefallen. Er selbst würde ihn sogar als “Nazi” bezeichnen. Er habe dieses typische Aussehen gehabt und trug solch typische Kleidung.
Bei dieser Person handelt es sich um den Geschädigten S., der als Zeuge für den folgenden 3. Prozesstag geladen ist. Hier soll der Angriff auf seine Person an einer Bushaltestelle aufgeklärt werden. Die Staatsanwaltschaft hatte das bereits eingestellte Verfahren nach den Aussagen des S., die Angeklagten seien dieselben Täter wie beim Angriff auf den Geschädigten Florian M., wieder aufgenommen.
Der zweite Prozesstag endet ohne überzeugend belastende Aussagen.
Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Bremen
Erster Prozesstag
Am Donnerstag, den 28.01.2016, wurde der Prozess gegen Valentin und die antifaschistischen Ultras M und S eröffnet. Ihnen werden verschiedene Delikte im Zusammenhang mit körperlichen Auseinandersetzungen mit Neonazis und/oder Fußballfans vorgeworfen.
Das Umfeld des Prozesses war geprägt von einem massiven Polizeiaufgebot und peniblen Kontrollen. Allein im Gerichtssaal waren gut ein Dutzend Polizist_innen anwesend, im Umfeld des Gerichtsgebäudes weitere.
Handys, Schals und ähnliches durften nicht mit in den Gerichtssaal genommen werden. Zudem wurde kontrolliert, ob unter der Kleidung der Zuschauer_innen Embleme, Schriftzeichen und Applikationen als Solidaritätsbekundungen mit den Angeklagten getragen wurden. Gestützt wurden diese Kontrollen auf eine am 16.01.2016 erlassene Sicherheitsverfügung des Gerichts, die das Tragen solcher Symbole im Gericht untersagte. Rechtsanwalt Jan Sürig, der einen der Angeklagten vertritt, beantragte, dieses Verbot aufzuheben. Es sei ein Eingriff in die Meinungsfreiheit und nicht verständlich, warum eine schlichte Meinungsäußerung im Gerichtssaal nicht erlaubt sein solle. Meinungsäußerungen, die sich gegen die Angeklagten richteten, würden durch die Verfügung nicht beschnitten. Zudem würde dieses Verbot nur Linke betreffen, da eventuell anwesende Neonazis wohl kaum Solidarität mit Valentin bekunden würden. Währenddessen wäre die Forderung nach einer harten Bestrafung Valentins im Saal wohl erlaubt.
Der Staatsanwalt beantragte, den Antrag abzulehnen mit der Begründung, dass sitzungspolizeiliche Maßnahmen dem vorsitzenden Richter oblägen und führte aus, dass die Kontrollen gerechtfertigt seien, da die Unterstützer_innen Valentins größtenteils aus der antifaschistischen Ultrazene stammten. Diese hätte laut Medienberichten angeblich Angriffe auf die Justiz angekündigt. Der vorsitzende Richter schloss sich dem an. Inwiefern T-Shirts mit Solidaritätsbekundungen für die Angeklagten eine Gefahr für den ordentlichen Ablauf des Prozesses darstellen könnten und weshalb dies nicht auch für neonazistische Symbole gelten solle, ließen Staatsanwalt und Vorsitzender allerdings offen.
Der Antrag wurde dennoch abgelehnt.
Unberührt blieb davon allerdings, dass Valentin sich mit einer Akte vor den Kameras der anwesenden Journalist_innen schützen konnte, auf deren Deckel ‘Free Valentin’ stand. Laut Staatsanwalt sei diese Aufschrift auf dem Aktendeckel ‘nicht sachdienlich’. Eine weitere Diskussion wurde durch den Vorsitzenden unterbunden.
Am Ende des Prozesstages beantragte Jan Sürig, dass zumindest das Tragen der in der Neonaziszene beliebten Marke ‘Thor Steinar’ im Gerichtssaal untersagt sein möge. Darüber wurde an dieser Stelle vom Gericht nicht entschieden.
Trotz der Schikanen im Vorfeld war der Andrang so groß, dass einige Menschen vor dem Gericht warten mussten, da laut der anwesenden Polizist_innen der Saal voll gewesen sei.
Auch bei der Aufnahme der Personalien der Angeklagten zeigte sich der Staatsanwalt uneinsichtig.
Rechtsanwalt Jan Sürig bat darum, dass sein Mandant seine derzeitige Wohnanschrift nicht nennen müsse. Dies angesichts des großen öffentlichen Interesses und der Tatsache, dass die in Bremen bestehenden Neonazi-Strukturen ‘lebhaftes Interesse’ an der Anschrift hätten. Ungeachtet dieser Begründung bestand der Staatsanwalt auf der Nennung der Adresse, ohne dass ein Grund dafür ersichtlich wurde. Das Gericht gab der Bitte des Angeklagten jedoch statt.
Rechtsanwalt Horst Wesemann, Verteidiger von Valentin, beantragte zudem, den Vertreter der Staatsanwaltschaft aus dem Gerichtssaal entfernen zu lassen, da dieser als Zeuge einer im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durchgeführten Hausdurchsuchung in Betracht käme. Diesem Antrag wurde nicht stattgegeben.
Es folgte ein weiterer Antrag von Rechtsanwalt Horst Wesemann. Er forderte die Einstellung des Verfahrens, da ein fairer Prozess nicht mehr möglich und zudem einseitig gegen Linke ermittelt worden sei.
Wesemann nahm Bezug auf die derzeitige politische Stimmung in Deutschland, die täglichen rassistischen und nationalistischen Angriffe, regelmäßige Brandanschläge und die Unfähigkeit der Polizei, die Täter_innen zu ermitteln.
Er nahm auch Bezug auf das absurd nachsichtige Vorgehen der Polizei, als bei einem Spiel des SV Werder Bremen gegen den HSV etwa 130 Hooligans, darunter eine Vielzahl bekannter und rechtsextremer Schläger, auf einem Schiff vermummt und mit einem Transparent in Richtung Weserstadion fuhren.
Damals kontrollierte die Polizei nur etwa 40 der Anwesenden oberflächlich, schritt nicht gegen die Vermummung ein und ließ zu, dass die Nazi-Hools sich anschließend frei in der Stadt bewegen und Journalist_innen und vermeintlich Linke bedrohen und angreifen konnten.
Ebenso stellte Horst Wesemann einen Vergleich mit dem Verhalten der Justiz und Polizei im so genannten ‘Ostkurvensaalprozess’ und der Auseinandersetzung am Verdener Eck auf.
Des Weiteren sei die Polizei mehrfach über den Angriff auf Ultras am 19. April 2015 informiert worden.
Entsprechende Ermittlungsergebnisse blieben bisher allerdings aus. Nicht einmal die Personalien der beteiligten Neonazis seien aufgenommen worden – im Gegensatz zu den Personalien der antifaschistischen Ultras.
Auch werde dem Verteilen von Fahndungsfotos und mehr oder weniger verdeckten Lynchaufrufen aus der neonazistischen Szene gegen Valentin, darunter konkrete Aufrufe des Nazihools Marcel K.: “Macht ihn kalt, ihr wisst wie er aussieht” oder “Kill Valentin” auf seiner Facebookseite, nicht entsprechend nachgegangen.
Angesichts solcher Verhältnisse sei die Konsequenz, ‘die Dinge selbst in die Hand zu nehmen’ zwar nicht richtig, aber nachvollziehbar.
Weiterhin betonte Wesemann, dass der Angriff am Verdener Eck ursprünglich von den Nazi-Hools ausgegangen sei, die jetzt als Opfer dargestellt werden. Es sei verstörend, dass die Polizei und Staatsanwaltschaft den politischen Kontext der den Angeklagten vorgeworfenen Taten völlig ignoriere.
So werde auch der politische Hintergrund eines Valentin vorgeworfenen Diebstahls einer Kette mit dem Symbol der “schwarzen Sonne” der SS verschwiegen.
Auch seien auf Pressekonferenzen, zu denen die Verteidigung nicht eingeladen wurde, vorab Beweismittel gezeigt worden. Ferner rügte Wesemann den Versuch der Einflussnahme von Politiker_innen auf das laufende Verfahren.
So sagte Innensenator Ulrich Mäurer bereits im Vorfeld der Haftprüfung, dass Valentin in Haft bleibe. Dies widerspreche einem rechtsstaatlichen und fairen Verfahren.
Bei einer Verlegung kurz vor Weihnachten in die JVA Butzöw in Mecklenburg-Vorpommern wurde Valentin mit Strafhäftlingen untergebracht, was bei Untersuchungshaft nicht zulässig sei.
Das Gericht lehnte den Einstellungsantrag nach kurzer Beratung vorerst ab und führte das Verfahren fort.
Es folgte eine Erklärung der Verteidigerin Voigt.
Auch sie kritisierte das Vorgehen der Polizei, besonders im Zuge der Ermittlungen gegen den Angeklagten D.
So sei das Opfer der ihrem Mandanten vorgeworfenen Körperverletzung nicht in der Lage gewesen, den mutmaßlichen Täter präzise zu beschreiben und identifizierte bei Vorlage mehrerer Lichtbilder andere Personen als den Angeklagten.
Erst sieben Wochen nach der Tat soll das vermeintliche Opfer bei einem Arztbesuch eine andere Person getroffen haben. Diese Person habe ihm gegenüber eröffnet, dass sie über diverse Fotos und Informationen der vermeintlichen Täter_innen verfüge. Daraufhin soll sich das vermeintliche Opfer auf die Identität der Angeklagten besonnen haben und machte eine entsprechende Aussage bei der Polizei. Dabei titulierte es die vermeintlichen Angreifer_innen als ‘Zecken’. Auch die Mitgliedschaft des vermeintlichen Opfers bei der Hooligangruppe ‘Freibeuter’ und ein daraus folgendes Belastungsinteresse seien nicht geprüft worden.
Mittlerweile sei das als Belastungszeuge präsentierte vermeintliche Opfer untergetaucht, um sich selbst dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden zu entziehen.
Anschließend richtete der Vorsitzende das Wort an Valentin und machte deutlich, dass ein Freispruch aus seiner Sicht äußerst unwahrscheinlich sei, auch weil er bereits zwei Vorwürfe eingeräumt hätte.
Das Aussageverhalten Valentins könne deswegen das Strafmaß beeinflussen. Valentin entschied sich dennoch zu schweigen und weiterhin seinen Verteidiger für sich sprechen zu lassen, ebenso wie die anderen Angeklagten.
Es erscheint im Hinblick auf ein faires Verfahren äußerst bedenklich, dass der vorsitzende Richter zu diesem frühen Zeitpunkt des Hauptverfahrens einen Freispruch bereits nahezu ausschließt und damit gegen die Unschuldsvermutung verstößt.
Im Folgenden sollte das richterliche Vernehmungsprotokoll, das im Rahmen der Haftprüfung Valentins angefertigt wurde, verlesen werden. Der hiergegen gerichtete Antrag Wesemanns wurde abgelehnt. Wesemann argumentierte, Valentin habe die Aussage in Erwartung einer angekündigten Entlassung aus der U-Haft gemacht. Diese Erwartungshaltung sei bei seinem Mandanten durch einen angebotenen Deal der Staatsanwaltschaft im Falle eines Geständnisses hervorgerufen worden. Die Staatsanwaltschaft widersprach dieser Darstellung.
Der Tag endete mit einem Antrag Horst Wesemanns, die Eigentümerin des Blumenkübels, der bei der Auseinandersetzung am Verdener Eck auf einen der an beteiligten Nazis geworfen worden sein soll, als Zeugin zu laden.
Der Prozess wird am Montag, den 1. Februar um 9.00h im Saal 218 des Landgerichts Bremen fortgesetzt.
Im Vorfeld des Prozesses
Am 28.01.2016 wird am Landgericht Bremen ein Verfahren gegen mehrere antifaschistische Ultras eröffnet. Einer der Angeklagten ist Valentin, der seit seiner Verhaftung am 1. Juli 2015, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung, in Untersuchungshaft sitzt und dessen Fall auch infolgedessen in Medien und sozialen Netzwerken besonders populär wurde. Vorgeworfen werden ihm diverse Gewaltdelikte im Zusammenhang von Auseinandersetzungen mit Neonazis. Anlass der Untersuchungshaft war ein Vorfall im Rahmen des “Nordderbys” zwischen dem SV Werder Bremen und dem HSV am 19. April 2015. Kurz vor Ende des Spiels sollen Ultras und Antifaschisten in der Nähe der Kneipe „Verdener Eck“ von diversen Neonazis angegriffen worden sein. Kurze Zeit später, so die Darstellung von Polizei und Staatsanwaltschaft, sollen eben jene Neonazis von Ultras angegriffen worden sein. Valentin wird vorgeworfen, maßgeblich an der Auseinandersetzung mit einem Neonazi beteiligt gewesen und auf einem entsprechendem Video zu sehen zu sein.
Um zu verstehen, wie es dazu kommen kann, dass Ultras und Hooligans, die ja zumindest nach außen hin dem gleichen Verein anhängen, einander angreifen, reicht es nicht, nur die Geschehnisse am 19. April zu betrachten.
Im Januar 2007 feierte die Ultragruppe „Racaille Verte“ ihr einjähriges Bestehen im “Ostkurvensaal” des Weserstadions. Zu dieser Zeit entwickelte sich innerhalb der damals noch jungen Ultraszene eine steigende Ablehnung gegenüber rassistischen, homophoben und sexistischen Einstellungen und Äußerungen, die bis dahin auch im Weserstadion noch oft zu hören waren und von vielen Teilen der Fanszene gebilligt wurden. Damit gerieten sie in Konflikt mit den bis dato im Stadion dominierten Hooligans. Diese definierten sich und tun dies noch heute hauptsächlich über Gewalt, die sich neben Anhängern anderer Vereine, oftmals auch gegen Linke, “Ausländer”, Homosexuelle oder andere Personen richtet, die den zum größten Teil faschistisch eingestellten Hools nicht ins völkische Weltbild passen. Die Hools, die sich von den jungen, progressiv-antifaschistisch eingestellten Ultras in ihrer Kurven-Dominanz bedroht fühlten,überfielen deswegen die Geburtstagsfeier und verletzten 2 Menschen so stark, dass diese im Krankenhaus behandelt werden mussten. Obwohl der Staatsanwaltschaft diverse Aussagen von anwesenden Zeug_innen vorlagen und die Täter bekannt waren, wurde der Prozess erst 4 Jahre später eröffnet. Im Gerichtssaal waren neben den 7 Angeklagten auch etwa 15 weitere Neonazis im Zuschauerraum. Diese begannen sofort damit, anwesende Beobachter_innen zu fotografieren und zu bedrohen. Selbst nach lautstarken Protest gegen dieses Vorgehen griffen damals weder Beamt_innen der Justiz noch das Gericht ein. Unter den Tätern von damals finden sich auch Personen, die nun bei der Auseinandersetzung am Verdener Eck ‘Opfer’ gewesen sein sollen.
Die Opfer
Hannes O.
Eine herausragende Rolle innerhalb der Bremer Nazi- und Hooliganszene spielt Hannes O. Er ist nicht nur Sänger der Band ‘Kategorie C’, sondern auch bei der Organisation des rechtsradikalen “HoGeSa”-Bündnisses involviert. Verurteilt wurde er unter anderem wegen diverser Körperverletzungsgedelikte, Drogendelikten und versuchter schwerer Brandstiftung zusammen mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz, weil er Anfang der 90er Jahre versuchte, einen Molotow Cocktail in ein von Migranten bewohntes Haus zu werfen. Noch während des Prozesses wegen des Angriffs auf den Ostkurvensaal wurde er zudem wegen der sexistischen Beleidigung einer Anwältin angezeigt.
André S.
Eine weitere Figur, die seit langem in der Bremer Szene auffällt ist André S der ebenfalls bereits wegen diverser Körperverletzungsdelikte verurteilt wurde. Im Jahre 2012 sollen im Rahmen einer Hausdurchsuchung 81 Patronen für groß- und kleinkalibrige Waffen bei ihm gefunden worden sein.
Beide, Hannes O. und André S., gehörten viele Jahre zur mittlerweile zumindest offiziellaufgelösten Nazihooligangruppe „Standarte Bremen“ und tauchten nach dem Prozess immer wieder im Zusammenhang mit Gewalttaten auf. So sollen Mitglieder der Standarte bei einemAngriff auf das linksalternative Kulturzentrum “Wohnwelt“ in Wunstorf im Jahre 2012 beteiligt gewesen sein.
Als am 5. Mai 2012 ein Schalke Fan vom Hooligan Rene W. fast tot getreten wurde, war André S. mutmaßlich ebenfalls anwesend und soll zusammen mit dem Täter geflohen sein.
Bis heute treten beide öffentlich in Erscheinung, ob, wie Hannes O., als Organisator und “Einheizer” bei Nazi-Aufmärschen oder wie André S. als rechtsradikaler Hooligan, der vermeintliche Linke bedroht und angreift.
Am 23.05.2012 griff der Neonazis Sascha S. einen weiteren Gast in der Kneipe ‘Klause 38’ mit einer abgebrochenen Flasche an. Es wurde im Prozess vermutet, er habe persönlichen Kontakt zu Hannes O. gehabt. Zudem fanden sich in seinem Haus nicht nur diverse Nazidevotionalien sondern auch ein ‘Standarte Bremen’ Aufkleber an seinem Auto, als auch ein ‘Standarte’ Schlüsselband.
Die Situation am ‘Verdener Eck’
Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht dieser Protagonisten sind die Berichte von Zeugen, dass der erste Angriff am ‘Verdener Eck’ von den Hooligans ausging glaubhaft. Nach diesem ersten Angriff sollen die angegriffenen Ultras zum Stadion hin ausgewichen sein. Dort soll die Polizei repressiv gegen sie vorgegangen sein. Schon hier stellt sich uns die Frage, wieso die Polizei die Polizei die für ihre extreme Gewaltbereitschaft bekannten Hooligans so nah ans Stadion und das Viertel heran lies. Selbst ohne die Tatsache, dass die Bremer Hooliganszene fast geschlossen faschistisch ist, definieren sich Hooligans im Gegensatz zu den Ultras fast ausschließlich über Gewalt und Auseinandersetzungen mit Fans anderer Mannschaften. Wie es dann dazu kommen kann, dass eine größere Gruppe aus bekannten und gewalttätigen Nazis und Hooligans so nah an der Stadion und damit andere Fans kommen kann, ist für uns völlig unverständlich.
Nachdem die Polizei ihre Maßnahmen abgeschlossen hatte, sollen die Ultras als mehr oder wenig geschlossene Gruppe unterwegs gewesen sein. Gemäß mehreren Berichten, die auch durch die Darstellung der Polizei bestätigt werden, wurde die Gruppe der Ultras sodann mit einer so genannten Sprinträumung in Richtung des ‘Verdener Ecks’ getrieben. Dort hielt sich noch immer die Gruppe von rechtsextemen Hooligans auf, die durch den vorherigen Angriff schon deutlich gemacht hatte, weswegen sie eigentlich dort war.
Trotz des Angriffes der Hooligans kurz zuvor, waren zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung keine Polizeikräfte vor Ort, auch gab es, soweit wir wissen, keine repressiven Maßnahmen gegen die Hooligans.
Hätte die Gruppe der Ultras den Konflikt mit den Neonazis am ‘Verdener Eck’ gesucht, hätten sie dies direkt dann tun können, als sie als geschlossene Gruppe agieren konnten. Stattdessen war es wohl vielmehr so, dass sie von den Polizeikräften gegen ihren entschlossenen Widerstand vom Stadion in Richtung ‘Verdener Eck’ regelrecht getrieben wurden.
Während nun zahlreiche Ultras wegen der Auseinandersetzungen am “Verdener Eck” angeklagt sind, lassen die Anklagen gegen die beteiligten Neonazi-Hooligans auf sich warten. Selbst wenn keiner der zunächst angegriffenen Ultras, in Anbetracht eines in der Szene vorherrschenden, unter anderem durch den “Ostkurvensaal-Prozess” entstandenen, massiven Vertrauensverlusts in die Justiz, Anzeige erstattet hätte, so hat die Polizei beim Verdacht von Gewaltdelikten solchen Ausmaßes die Pflicht, gegen alle Beteiligten Ermittlungen anzustellen. Auf der Anklagebank sitzen jedoch ausschließlich linke Ultras.
Das Ermittlungsverfahren
Statt einer neutralen Sachverhaltsaufklärung ermittelte die Polizei also massiv gegen Ultras. Eine Vielzahl von Hausdurchsuchungen waren die Folge. Im Rahmen dieser Durchsuchungen kam es auch zur Inhaftierung Valentins.
Während Valentin und sein Anwalt, Horst Wesemann, sich bemühten, unter anderem durch die Durchführung von “Anti-Gewalt”-Trainings, die Voraussetzungen für eine Haftentlassung zu schaffen, argumentierten Staatsanwaltschaft und Gericht am Thema vorbei. In Untersuchungshaft sei Valentin, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft, damit er keine weiteren Straftaten begehen könne. Die Möglichkeiten, die von Wesemann und Valentin vorgeschlagen wurden, dies zu versichern, z.B. durch eine, bei Heimspielen von Werder Bremen bestehende, Meldepflicht Valentins, wurden abgelehnt. Stattdessen wurde sich darauf berufen, dass Valentin keine “Haftbeeindruckung” zeige.
Der Grund der Untersuchungshaft war aber nie und darf es juristisch auch niemals sein, den Inhaftierten charakterlich zu ändern oder zu “beeindrucken”.
Untersuchungshaft darf lediglich unter bestimmten Voraussetzungen verhängt werden. Sie dient jedenfalls niemals der Bestrafung des Angeklagten, denn dann wäre der Grundsatz, dass es ohne Urteil keine Strafe gibt, ein fundamentales rechtstaatliches Prinzip, auch offiziell ad absurdum geführt.
In diesem Fall wurde auf eine angebliche “Wiederholungsgefahr” bei Valentin abgestellt.
So soll die Inhaftierung Valentins die Öffentlichkeit lediglich vor angeblichen neuen Straftaten schützen. Wieso plötzlich eine “Haftbeeindruckung” Voraussetzung für die Entlassung sein soll, ist nicht ersichtlich. Vor allem vor dem Hintergrund, dass er bis zur Verurteilung als unschuldig gelten muss und sich somit von nichts distanzieren muss.
Schlussendlich wurde Valentin aus der Untersuchungshaft entlassen. Er hatte Auflagen zu erfüllen, die er erfüllte, dazu gehörte das regelmäßige Melden bei der Polizei. Kurze Zeit später wurde er im Rahmen einer dieser Meldungen auf dem Polizeirevier von einem Einsatzkommando überfallartig festgenommen. Das Oberlandesgericht hatte die Entscheidung zur Aufhebung der Untersuchungshaft kassiert (hier links zur entscheidung). Wieso Valentin nicht einfach eröffnet wurde, dass er wieder in Haft käme, sondern er stattdessen direkt von einem Einsatzkommando festgenommen wurde, erschließt sich uns ebenfalls nicht. Vor allem vor dem Hintergrund, dass er seinen sonstigen Auflagen verantwortungsvoll nachkam.
Doch die Reihe der Merkwürdigkeiten erstreckt sich noch weiter. Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen wurde Valentin in ein Gefängnis in Mecklenburg-Vorpommern verlegt. Dieses Gefängnis ist bekannt für die hohe Anzahl der rechtsradikalen Inhaftierten. Die Lage ist dort so prekär, dass ein anderer inhaftierter Antifaschist extra aus diesem Gefängnis verlegt wurde, um den “Anstaltsfrieden” zu sichern. Wir können nicht beurteilen, ob dies einfach unbedacht war. Wir halten aber auch eine gewollte Eskalation durch Justiz und Staatsanwaltschaft für denkbar, in deren Folge die Haftbegründung von Valentin nachträglich verfestigt hätte werden können.
Neben der hohen Anzahl der Neonazis ist diese Verlegung auch vor dem Hintergrund der kommenden Feiertage unverständlich. So wurde es Valentin noch weitererschwert, an den Feiertagen seine Familie zu sehen. Als Begründung wurde lediglich angeführt, Valentin müsste vor “Solidaritätsbekundungen geschützt” werden. Warum er vor diesen geschützt werden musste und wie ihn diese in einem Gefängnis mit meterhohen Zäunen und Betonwänden überhaupt hätten gefährden können, erschließt sich uns ebenfalls nicht.
Doch auch juristisch ist diese Entscheidung äußerst fragwürdig. So ist Valentin nun etwa 300km von seinem Verteidiger entfernt. In Anbetracht der Tatsache, dass der Prozess gegen ihn bald beginnt und die Vorbereitung mit seinem Verteidiger nur persönlich geschehen kann und besonders kurz vor dem Prozess besonders wichtig ist, wird hier das Recht auf effektive Verteidigung stark und unserer Meinung nach auch rechtswidrig eingeschränkt.
Die Polizei und die Ultras
Doch nicht nur die Staatsanwaltschaft hat sich unserer Ansicht nach fragwürdig verhalten. Auch die Polizei und ihre Gewerkschaften. Während das Verhältnis zwischen Ultras und Polizei noch nie gut war, sollte die Polizei doch zumindest die Errungenschaften der Ultras würdigen.
So äußerte sich selbst Dr. Hubertus Hess-Grunewald, Präsident und Geschäftsführer des SV Werder Bremen folgendermaßen: „Ebenso unumstritten ist, dass der SV Werder Bremen stolz auf seine Fans ist, die in den vergangenen Jahren Rassismus und Diskriminierung durch sensiblen und engagierten Einsatz aus unserem Stadion verbannen konnten.“ Es ist für uns offensichtlich, dass damit die Ultras gemeint sind, die seit Jahren auf Rassismus, Sexismus und andere Menschenfeindlichkeit im Stadion aufmerksam machen, mit kreativen und aufwändigen Choreografien gegen eben jene Diskriminierungsideologien angehen und versuchen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der dies eben keinen Platz hat.
Vor den dargestellten Hintergründen, besonders im Bezug darauf, dass Ultras und Hooligans sich eben völlig unterschiedlich definieren, ist es besorgniserregend, wie sich die Polizei und ihre Gewerkschaften verhalten.
„Die Erfolge der Ermittlungsgruppe sorgen dafür, dass ein deutliches Zeichen in die
Szene der Gewalttäter gesendet wird“ so Jochen Kopelke, Vorsitzender GdP.
Als Szene der Gewalttäter definiert Jochen Kopelke hier die Ultras. Während überall in Deutschland, auch in und um Bremen, Asylunterkünfte brennen und Hooliganaufmärsche regelmäßig in Gewalt eskalieren, wird hier verdreht, welche eigentlich die Szene der Gewalttäter ist.
Zudem lässt sich die Tendenz erkennen, dass viele Delikte gegen die Polizei, sei es der Angriff auf eine Wache an Silvester oder die Brandstiftung gegen Einsatzwagen in Horn, einer diffusen, aus vielen unterschiedlichen Gruppen bestehenden, linken Ultraszene zugerechnet werden, ohne, dass die Polizei diese Zurechnung hinreichend belegen kann.
Die Ultras bilden ein wichtiges Gegengewicht zu den Neonazis und anderen Menschenfeinden im Stadion. Es ist ihr Verdienst, dass offen zur Schau gestellter Rassismus oder andere rechtsradikalen und faschistischen Gesinnungen im Stadion nicht mehr problemlos möglich sind. Die öffentliche Diskreditierung und das repressive Vorgehen gegen die gesamte Szene führt zu einer Schwächung der Ultras und kann in einem Wiedererstarken der Neonazis münden.
Und am Ende
Die wegen des Angriffs auf den Ostkurvensaal angeklagten Nazi-Hooligans bekamen am Ende maximal Geldstrafen. Die Justiz hat sich ein schnelles Ende des unrühmlichen Prozesses durch einen Deal erkauft, in Rahmen dessen die Angeklagten durch simple Schuldeingeständnisse mit lächerlich geringen Strafen davon kamen. Von Reue oder Prozessbeeindruckung war keine Spur. Im Gegenteil, wie unter anderem die sexistische Beleidigung einer Anwältin durch den angeklagten Hannes O. zeigt.
Ob und inwiefern dieses überaus milde Urteil die Hooligans zu weiteren Angriffen motiviert hat, lässt sich nicht ausmachen, aber vermuten.
In Anbetracht der Art und Weise wie Valentin und die antifaschistische Ultraszene schon mit Beginn des Ermittlungsverfahrens von den Medien diffamiert und von der Justiz schikaniert wurde, bleibt nur zu hoffen dass Valentin und seinen Mitangeklagten ein fairer Prozess ermöglicht wird.