Der 27. Januar und ich
Lange habe ich überlegt, wie ich den 27.01.2015 würdigen könnte. Die Befreiung des Vernichtunglagers Auschwitz-Birkenau jährt sich an diesem Datum zum 70sten mal.
Sprachlos steht mensch vor den Grausamkeiten, die dort stattfanden. Doch eben genau das dürfen wir nicht sein, Sprachlosigkeit ist ein Privileg, das wir dazu nicht verdient haben.
Dieser Text aus der Welt beschreibt ganz gut, was Aufarbeitung heute heißt.
Für mich jedoch heißt sie etwas anderes.
Aufarbeitung heißt auszusprechen, dass mein Urgroßvater mütterlicherseits wohl Kriegsverbrecher war. Zumindest wurde er nach dem Krieg zweimal deswegen „abgeholt“ und beim zweiten Mal ist er im NKDW-Lager Mühlberg gestorben. Aufgearbeitet wurde das in meiner Familie nie wirklich. Wenn ich danach fragte hieß es nur, er* war kleiner Fisch oder wurde von den Nachbarn verraten, aus Missgunst. Meine Meinung dazu: Er* wird es wohl verdient gehabt haben. Mein Opa war mindestens ebenfalls Mitglied der NSDAP, sein Abzeichen habe ich kurz vor seinem Tod gefunden. Über die Zeit damals hat er kaum geredet. Mit einer Waffe auf Menschen geschossen hat er angeblich nie. Meine Großmutter erzählte nur einmal, als wir an den Ort ihres Arbeitspflichtjahres zurückkehrten, wie sie damals Lieder über das Verstümmeln von Jüd*innen gesungen hätten und wie sehr sie sich dafür schämte.
Eine Aufarbeitung der Geschichte, nein, das haben wir verpasst, ob es möglich gewesen wäre weiß ich nicht. Jetzt ist es nicht mehr möglich.
In meiner Schule spielte die Geschichte Deutschlands zwischen 1933 und 1945 durchaus eine Rolle. Auch wir haben, wie wohl die meisten Schüler*innen aus Ostdeutschland, Buchenwald besucht. Begreifen konnten wir das jedoch nicht, nein, begreifen kann ich es selbst heute noch nicht.
Meine eigene Aufarbeitung bleibt mir dagegen sehr gut in Erinnerung. Als ich in der 5. oder 6. Klasse war, machte ich einen sehr hässlichen Witz über Jüd*innen und meine Mutter hat mir dafür eine saftige Ohrfeige gegeben, eine, für die ich ihr noch heute dankbar bin.
Einen weiteren Moment hatte ich bei meinem kurzem Besuch in Israel im Jahr 2010.
Nicht in nur in der Gedenkstädte Yad Vashem, sondern in Tel Aviv in einem Internetcafé.
Ein alter Mann empfing uns dort, wir sprachen mit ihm Englisch und untereinander wie immer Deutsch, als er* uns dann in Deutsch antwortete, waren wir stumm. In einem Zustand zwischen geschockt und beschämt. Gesprochen haben wir erst Stunden nach Verlassen des Internetcafés darüber, leider nicht mit dem Mann*.
Ja, wir wissen nichts über unsere eigene Geschichte und ja, wir ignorieren sie noch immer weg.
Aufarbeitung heißt auch, uns mit unserer persönlichen Geschichte auseinander zu setzen.
Für mich steht dieser 27.01. eben nicht nur für die Befreiung von Auschwitz-Birkenau, sondern auch für eine Verantwortung, die wir als Deutsche übernehmen müssen.
So sehr ich Nationalstaaten ansonsten überwinden möchte, im Falle Israels empfinde ich ihn als wirksam und wichtig. Die Verantwortung für das Erinnern an die Millionen Toten der Shoa ist eine deutsche. Genau wie zu verhindern, dass eine solche industrielle Tötung noch einmal passiert.
Genau deswegen ist mein Antifaschismus zwar anti-national, jedoch auch deutsch und die Aufgabe Antisemitismus, egal in welcher Form er auftritt, zu bekämpfen, eine Aufgabe, die ich ebenfalls als eine historische Verantwortung als Deutsche*r sehe.
Die Chance, dass ich erfahre, wie groß die Schuld an der Shoa seitens meiner Familie ist, ist vertan.
Mein Antifaschismus wurde durch eine verdiente Ohrfeige geweckt. Dessen Motto heißt
„Kein Vergeben, kein Vergessen.“
Ich hoffe, dass ich dies immer verwirklichen kann.
Disclaimer: Ich rede in diesem Text von deutsch und Deutschen, dies sehe ich als historische Nationalität. Ich lehne das Denken in Nationalstaaten, wie auch das Deutschsein durch Blut ab. Jedoch sehe ich genau in diesem und nur in diesem Kontext meine Verantwortung auch und gerade durch meine Abstammung von deutschen Täter*innen.
Links zu bewegenden Perspektiven von Shoa-Überlebenden
http://www.sueddeutsche.de/politik/auschwitz-ueberlebende-magda-hollander-lafon-ich-sah-leichen-die-angezuendet-wurden-1.2319576
http://www.sueddeutsche.de/politik/auschwitz-ueberlebender-yehuda-bacon-wir-wussten-dass-niemand-hier-herauskommt-1.2319370
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