Mehr Kontext: Wien
Unser Fokus hat bisher immer auf Bremen gelegen. Doch wir wollen unseren Blick auch mal auf andere Städte in Deutschland, Europa und der ganzen Welt werfen. Mit unser neuen Kolumne „Mehrkontext“ werden wir in nächster Zeit unseren Kontext erweitern und nicht nur andere Orte, sondern auch andere Formen aus. Den Anfang macht die österreichische Hauptstadt Wien mit einem Interview.
Juliana Okropiridse ist auf dem Gründungskonvent von “Wien anders” am 21. März zu deren Spitzenkandidatin für die Gemeinderatswahl in Wien im Oktober gewählt worden. Die 22-jährige Studentin ist Jugendkoordinatorin der österreichischen Piratenpartei und Vorstandsmitglied der Jungen Pirat*innen Österreich. Sie ist zudem Umweltaktivistin und ist überzeugte Europäerin. Wir haben mit ihr über die Wien-Wahl und das Bündnis “Wien anders” gesprochen:
Stadtkontext: Am letzten Wochenende bist du zur Spitzenkandidatin von „Wien Anders“ für die Gemeinderatswahl in Wien gewählt worden. Was ist Wien Anders eigentlich für ein Wahlbündnis und wie kam es dazu?
Juliana Okropiridse: Schon zur Europawahl, hatten wir die Wahlallianz „Europa anders“ gegründet. — Ein Bündnis aus der Piratenpartei, der KPÖ (vergleichbar mit „Die Linke“), Der Wandel (eine junge, kleine österreichische Partei) und zahlreichen unabhängigen Personen. In dieser Formation haben wir dann, mit Martin Ehrenhauser als Spitzenkandidaten, unseren Europawahlkampf bestritten, sind zwar nicht eingezogen, haben aber dennoch gezeigt, dass man nicht immer als einzelne Partei antreten muss, sondern auch als Bewegung aus der Bevölkerung erfolgreich sein kann.
Nun steht Anfang Oktober die Wienwahl an und wir haben — diesmal ohne den Wandel — das Bündnis wieder aufleben lassen. Dieses mal haben wir zahlreiche kleinere Gruppen und eine Plattform der Unabhängigen (die sich im Rahmen des Europawahlkampfes gebildet hatte), Abspaltungen der Grünen und Podemos dazu geholt. Wien anders ist daher eine wirklich breite Bewegung aus der Bevölkerung und wir haben eine gute sehr diverse Liste, was Alter, Herkunft und Geschlecht angeht, aufgestellt.
Stadtkontext: Was sind eure inhaltlichen Schwerpunkte und was wollt ihr anders machen?
Juliana Okropiridse: Wir wollen radikal verändern, wie Politik gemacht wird – ein breites Umdenken ist unser Ziel. In den Bereichen Wohnen, Soziales, der Repräsentation von Minderheiten in Wien, Verkehrspolitik, Umgang mit Sucht und Drogen und auch bei Themen wie Demokratie und Transparenz steht Wien anders für Veränderung, damit Wien eine Stadt für alle ist und nicht nur für die gutverdienende Oberschicht.
Die regierende SPÖ heftet sich gerne Erfolge an die Brust, gerade im
Bereich Wohnen und Soziales, doch hinterrücks werden da die absurdesten Dinge vorangetrieben, wie Spekulationen mit Wohnbauten beispielsweise. Die haben überall ihre parteibuch-umklammernden Finger im Spiel. Wir wollen da Transparenz schaffen und deren Lügen aufzeigen.
Stadtkontext: Was ist eurer Bild von einer modernen Stadt? Was ist eure Vision für Wien?
Juliana Okropiridse: Wir wollen ein breites Umdenken erreichen: Wien ist für uns nicht nur Teil von Österreich, sondern ein Teil von Europa und das wollen wir den Menschen klar machen.
Wien könnte hier eine Vorreiterrolle innerhalb der EU übernehmen.
Konkret wäre für uns ein Ziel den ÖPNV fahrscheinlos anzubieten und damit die Mobilität zu etwas Alltäglichem und für alle erschwinglich machen – neben den sozialen Effekten kann damit auch ein Beitrag geleistet werden, um den Autoverkehr zu verringern und damit die Abgasbelastung zu drücken.
Stadtkontext: Kann diese Form des Bündnisses ein Vorbild für andere politische Bewegungen in Europa sein?
Juliana Okropiridse: Auf jeden Fall. Dass wir es geschafft haben, uns zusammenzuraufen und so ein breites Bündnis zu bilden, ist schon ein großartiges Statement gegenüber dem Rest des Landes und auch Europas. Wir sind uns nicht in allen Punkten einig, aber wir sind uns einig, dass Wien eine Stadt ist, die für alle schön sein soll und nicht nur für eine wohlhabende Minderheit – und das können wir nur gemeinsam schaffen, deswegen sehe ich “Wien anders” da durchaus als Vorbild.
Stadtkontext: Glaubst du an den Einzug ins Stadtparlament?
Juliana Okropiridse: Da Wien schon lange von der SPÖ regiert wird und die Menschen Angst vor Veränderungen haben, müssen wir hart arbeiten und zeigen, dass es auch anders geht. Es wird auf jeden Fall nicht leicht, aber ich sehe realistische Chancen.
Stadtkontext: Viele Dank für das Interview!
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